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Warum Verzicht Freude bereiten kann

Yelizaveta Tomashevska/ Shutterstock
Yelizaveta Tomashevska/ Shutterstock

Erfahrungen in der Familie

Weniger ist mehr, dachte sich unsere Autorin Maria Köpf. Doch geht weniger Konsum auch als Familie? Hier berichtet sie, wie sie ohne Auto unterwegs sind und Second Hand kaufen. Die kleinen guten Taten beflügeln sie und stärken Selbstwirksamkeit und Hoffnung.

Der Minimalismus, also mit so wenig wie möglich auskommen, lag schon in den letzten Jahren im Trend. Die Demonstrationen der Fridays for-Future haben diesen bei vielen Menschen noch verstärkt , auch bei mir. Zunehmend machte man sich Gedanken über die ethische Dimension von Urlaubsflügen, Konsum und der Frage, welcher Ernährungsstil gut ist für den Planeten.

Im Sommer stieß ich auf einen Youtube-Kanal, in dem eine vollkommen minimalistisch eingerichtete Wohnung zu sehen war: Im Badezimmer einer jungen Frau standen ein grauer Becher mit einer Zahnbürste aus Naturfasern und eine Seife für Haut und Haar.

Neugierig nahm ich das völlige Fehlen „ziviler Errungenschaften“ wahr: Keine Dusch-, Haarschampoos und Conditioner in dreifacher Ausführung. Weder Handseife noch Handcreme oder Abschminktücher, stattdessen bloß jenes besagte Stück Seife und ein kleines Handtuch.

Im Schlafzimmer stand anstelle eines opulenten Kleiderschranks ein offenes Gerüst, die Kleider waren auf einer Stange aufgereiht. Das Bett bestand aus einer hochliegenden Matratze, ohne Gestell.

Auch das Wohnzimmer zierten nur wenige Möbel. Ein Couchtisch fehlte. Und doch schaffte es die junge Frau, mit wenigen liebevollen Details eine wohnliche Atmosphäre zu kreieren. Damals dachte ich inspiriert: „Wie spannend, dass man doch nicht so viel benötigt, wie uns so oft suggeriert wird!“

Doch lässt sich der Minimalismus auf das Leben einer Familie übertragen? Ließe sich beispielsweise auch unser Lebensmitteleinkauf auf ein „weniger“ statt „mehr“ bringen? Lässt sich bewusst Älteres verwerten, statt Neues zu kaufen? Kann man gezielt Treibhausgase einsparen, indem man eher lokale Produkte kauft und auf Plastikverpackungen verzichtet?

Verzicht auf Statussymbole

Ein Beispiel: Kürzlich steuerten wir auf die Einschulung unseres Sohnes zu, ich war gestresst. Wir hatten sämtliche Materialien besorgt, nur der Schulranzen fehlte noch. Wir leben in einer Kleinstadt, in der Kindern stets so qualitätsvoll wie möglich ausgestattet werden. Die Bindung zur Nachbarschaft ist hier ungleich enger als in der Stadt, man sieht eben genauer hin.

Als ich einen gebrauchten Schulranzen vorschlug, äußerte mein Mann zunächst seine Bedenken. Für einen gebürtigen Kleinstädter ist der Aspekt, doch um den ersten Eindruck bemüht zu sein, ein gewichtiger Faktor. Ich finde den äußeren Anschein nicht so wichtig: Als Städterin dachte ich. „Es geht doch um den Gesamteindruck. Ich denke, die Lehrer werden nicht annehmen, dass unser Sohn auf allzu viele Dinge verzichten muss.“

Letztlich erwarben wir einen gebrauchten, frisch gereinigten Schulranzen, der nicht nur beinahe wie neu aussah, sondern auch Beutel für Turnzeug, Stifte und Fahrkarten enthielt, dazu „Kletties“ zum Tauschen, ein blinkendes Raumschiff als Feature und mehrere Reflektorentaschen. Ein kleiner Schritt für uns und das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben, wirkten bei mir nach.

Jedes Mal, wenn ich heute die Schultasche unseres Sohnes betrachte, kommt ein inneres Lächeln auf. Und unser Sohn ist sichtlich stolz auf seine „Fast-wie-neu-Schultasche“.

Ohne Auto unterwegs: Kein Muss, sondern ein Plus

Wir fahren in unserer Kleinstadt bewusst kein Auto, werden aber oft gefragt, ob das nicht zu umständlich ist. Selbst im Urlaub verlassen wir uns fast immer auf Zug und Fernbusse. Nur selten nehmen wir einen kurzen Flug.

Heute, sieben Jahre nach der Entscheidung, das Auto abzuschaffen, wissen, wir, es geht auch so! Bedingung ist allerdings, dass die Wegezeit zur Arbeit, Schule oder Kindergarten nicht mehr als 30 Minuten beträgt und das Kind sich als sportlich erweist.

Diese Einstellung ist in unserer Kleinstadt die Ausnahme. Alles, was etwas auf sich hält, fährt einen SUV oder zumindest einen gut gepflegten Volvo. Und dies, obwohl sich viele Wege mit dem Rad auch in einer Viertelstunde erledigen lassen.

Und die Einkäufe? Daran musste ich mich gewöhnen. Wir kaufen zweimal wöchentlichen Lebensmittel, meistens auf dem Heimweg ohne mehr Zeitaufwand. Wir haben Rucksack und Fahrradtaschen. Wenn das nicht reicht, kann ich mir auch einen Fahrradanhänger für größere Lasten vorstellen.

Es macht sogar Freude, als Familie gemeinsam einzukaufen, auszuwählen und Fahrrad zu fahren. Zuweilen kommen wir auf dem Rückweg an einem Spielplatz oder Park vorbei und verweilen dort. Oder bauen „Quality time“ ein, indem wir im Restaurant essen.

Sowohl mein Mann als auch ich haben außerdem festgestellt, dass wir nicht konsequent Sport treiben. Hätten wir ein Auto, würden wir uns wohl viel seltener bewegen. So bleiben wir ganzjährig recht fit.

Mit weniger auskommen stärkt die Hoffung

Nach meiner Erfahrung bedeutet Verzicht nicht nur Abstriche von Wünschen und Bedürfnissen. Auch wenn mein Handeln gewiss nur einen Tropfen auf den heißen Stein ist, trägt es dazu bei, dass wir etwas zum Guten bewegen. Ich spüre, wie es meine Zuversicht stärkt, wie die eigene Selbstwirksamkeit wächst.

Dies beflügelt in mir Gedanken wie: Das ist ja interessant, Verzicht stärkt die Hoffnung und somit mich selbst und mein Umfeld. Denn Hoffnung und Handeln wirken positiv nach, während Desillusionierung, Gleichgültigkeit und Passivität mich schwächen.

Meine Quintessenz ist, dass wir uns letztlich selbst etwas Gutes tun, wenn wir im Alltag auf die Umwelt und Nachwelt achten. Freilich muss man zuweilen Abstriche machen. Wie in den ersten beiden Jahren, als unser Kind nach zwölf Monaten noch immer mehrmals nächtlich gestillt und gewickelt werden musste.

Hätte ich mich selbst kasteien Stoffwindeln nutzen sollen? Wir haben uns für die Einmalwindeln entschieden. Glücklicherweise gab es genügend Mütter in meinem Umfeld, die ebenso pragmatisch die Vor- und Nachteile abwiegen konnten.

Ich selbst fühle mich jedoch, wann immer sich eine Gelegenheit zum achtsamen, umweltbewussten Handeln bietet, handlungsfähiger, selbstbewusster und gesünder. In manchen Fällen erleichtert es bereits nach wenigen Monaten den Geldbeutel.

So kann sogar an die eine oder andere größere Investition gedacht werden. Wie in unserem Fall an einen Hausbau, damit wir vielleicht auch bald vom Obst und Gemüse unseres eigenen Gartens leben können.

Lesen Sie einen weiteren Beitrag der Autorin: Wie ernähre ich mich klimaschonend?

Maria Köpf arbeitet als Journalistin und Dozentin in Klagenfurt. Sie hat Germanistik und Judaistik studiert und schreibt u.a. für Magazine wie die Amira, den Wissenschaftsladen Bonn, Natur & Heilen, Ethik heute und das AVE-Institut. Sie schreibt über Bildung und Beruf, Gehirn und Gesellschaft und Achtsamkeit als Selbst- und Beziehungskompetenz. Sie lebte einige Zeit in Israel und in Spanien. Maria Köpf stammt aus Berlin und lebt heute mit ihrer Familie in Kärnten/Österreich. Mehr über sie auf www.mariakoepf.com

Foto: privat

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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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