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Was hilft gegen Gewalt?

Angeles Nassar
Angeles Nassar

Matthieu Ricard über die Kraft des Mitgefühls

Die Gewalt eskaliert weltweit. Matthieu Ricard, buddhistischer Mönch und Autor zahlreicher Bücher, appelliert an die Gesellschaft, jungen Menschen dabei zu helfen, ihre Herzensqualitäten wie Empathie und Mitgefühl zu entwickeln.
Fast jeden Tag geschieht irgendwo auf der Welt ein Massaker – in Syrien, im Sudan, in Pakistan, Nigeria und anderswo. Vor wenigen Tagen erschütterten die Attentate auf ein Kulturcafé und eine Synagoge in Kopenhagen die Welt, verübt von einem 22-Jährigen. Und die Anschläge von Paris, bei denen 17 Menschen starben, darunter 12 Journalisten des französischen Satiremagazins Charlie Hébdo, liegen erst einen Monat zurück.
In ihrer tragischen Verblendung sehen sich die Täter, die Urheber der Gewalt, oft als Opfer und behaupten, sie seien ‚gedemütigt“ worden. Ihre Nachbarn und Verwandten würden sie wahrscheinlich als „ganz normal“ bezeichnen, vielleicht sogar als „nette Kumpel“.
Doch wenn ihre Frustration steigt, wenn extremistische Ideologie die Leere in ihrem Leben füllt und ihnen noch dazu eine falsche moralische Rechtfertigung für ihre Taten liefert, dann können sie gewalttätig werden. Diese Verwirrung kommt vielleicht dadurch zustande, dass die Täter nicht in die Gesellschaft integriert wurden, dass sie wenig Empathie erfahren, Glaubenssätze und Werte nicht richtig verstehen und keinen Zugang zu einer guten Bildung erhalten.
Erziehung bedeutet mehr als nur lesen und schreiben zu lernen. Es heißt auch, das Herz zu bilden und jungen Menschen dabei zu helfen, gute Menschen zu werden. Wie Aristophanes sagte: „Erziehung ist wie das Entzünden einer Flamme, nicht das Füllen eines Gefäßes“.
Menschen, die solche entsetzlichen Gewaltverbrechen verüben, mögen leidenschaftlich sein, intelligent und mutig, aber ihnen fehlen die Qualitäten des Herzens – Mitgefühl, Empathie und Altruismus. Und doch hat jeder Mensch das Potenzial, sich zu verändern und diese Qualitäten zu entwickeln.

Nicht zu töten ist die wichtigste ethische Regel

Respekt muss auf Gegenseitigkeit beruhen. Man kann nicht verlangen, dass die eigene Religion um jeden Preis respektiert wird, während man selbst anderen Traditionen gegenüber intolerant ist und Gewaltakte verübt, wenn man sich beleidigt fühlt. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte fordert die grundlegende Freiheit, sich nicht von Dogmen unterjochen zu lassen. Jeder Mensch sollte die Freiheit haben, seinem eigenen intellektuellen oder spirituellen Pfad zu folgen und dabei anderen zugestehen, ihren eigenen Weg zu gehen, ob sie gläubig sind oder nicht, religiös oder atheistisch.
Beim einem Treffen von Vertretern verschiedener Religionen beim Weltwirtschaftsforum Ende Januar in Davos, an dem ich teilgenommen habe, sagte Erzbischof und Nobelpreisträger Desmond Tutu: „Ich kenne keine Religion, die behauptet, dass es erlaubt wäre zu töten.“ Es war entmutigend für mich zu sehen, dass einige religiöse Führer es ablehnten, Tutus Ideen voll und ganz beizupflichten.
In aller Bescheidenheit möchte ich vorschlagen, dass die religiösen Führer der Welt eine einhellige Erklärung herausgeben, in der sie ihre Gläubigen an die unbedingte Wahrheit von Tutus Aussage erinnern. Wenn die Religionen auch nur die Goldene Regel praktizierten, wonach man anderen nicht antun solle, was man selbst nicht von anderen erfahren möchte, würde es der Menschheit viel besser gehen.
Keine Religion ist in dieser Hinsicht ohne Schuld, nicht einmal der Buddhismus, wie die Heimsuchung von muslimischen Dörfern in Burma durch buddhistische Mönche zeigt. Streng genommen müsste man von „Ex-Mönchen“ sprechen, denn sobald ein Mönch tötet oder eine dritte Partei zum Töten animiert, verliert er sein Ordensgelübde. Einen Menschen zu töten ist unverzeihlich. Der Dalai Lama hat wiederholt erklärt, dass es aus Sicht des Buddhismus keine Rechtfertigung für die Anwendung von Gewalt gibt.
Wie Gandhi sagte: „Wenn man das Wort von ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn’ in die Tat umsetzt, wird die Welt bald blind und zahnlos sein“.
Wahrer Altruismus geht einher mit Offenheit, Toleranz und Respekt für andere. Er motiviert uns, anderen zu helfen und dafür Sorge zu tragen, dass ihr Leiden gelindert wird. Wohlwollen gegenüber anderen nützt beiden Parteien.
In einer Zeit weltweiter Herausforderungen brauchen wir den Altruismus mehr denn je. Ob wir einem spirituellen Pfad folgen oder nicht, die erste Aufgabe, der wir uns stellen müssen, ist, bessere Menschen zu werden.
Dr. Matthieu Ricard ist promovierter Molekularbiologe und seit 1979 buddhistischer Mönch. Als langjähriger Meditierender wirkt er an Studien zur Erforschung von Meditation mit. Er ist Autor zahlreicher Bücher, u.a. “Glück” (Knaur 2009) und “Meditation” (nymphenburger 2008). Im März 2015 erscheint in Deutschland sein Buch “Plädoyer für Tiere”.

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