Ein Interview zur Meditationsforschung
Die Kognitionsforscherin Prof. Böckler-Raettig hat am ReSource-Projekt mitgearbeitet, einer Studie zur Erforschung der Wirkung von meditations-basierten Trainings z.B. auf soziale Emotionen. Sie spricht im Interview über die Ergebnisse: Vor allem die Kultivierung des Mitgefühls – und nicht der Achtsamkeit – brachte Menschen dazu, zu teilen, zu spenden und zu helfen.
Das Gespräch führte Birgit Stratmann
Frage: Sie forschen im Bereich Soziale Kognition, u.a. zur Wirksamkeit von Meditation. Wenn von Meditationsforschung gesprochen wird, meinen die meisten Achtsamkeit, obwohl es unzählige Meditationsformen gibt. Ist Achtsamkeit die Basis?
Böckler-Raettig: Meditationen der Achtsamkeit sind häufig einfache Übungen, die den Einstieg in die Meditation erleichtern, etwa die Atemmeditation oder Körperbeobachtung. Diese Übungen sind niederschwellig und unmittelbar wirkungsvoll.
Ihr Spezialgebiet ist die Erforschung sozialer Emotionen wie Empathie, Mitgefühl und Theory of Mind. Bitte erklären Sie kurz die Begriffe.
Böckler-Raettig: Die Begriffe werden unterschiedlich definiert. Unter Empathie verstehe ich einen emotionalen Zustand, der ausgelöst wird vom Zustand einer anderen Person und mit diesem identisch ist. Ich sehe jemanden, der trauert, und empfinde selbst Traurigkeit.
Davon grenze ich das Mitgefühl, englisch compassion, ab: Dies ist ein Wohlwollen, eine Wärme anderen gegenüber, verbunden mit der Motivation, Leiden zu lindern. Beide spielen sich auch in unterschiedlichen Hirnregionen ab.
ToM bedeutet, dass ich versuche, zu erkennen, was eine andere Person denkt, weiß, will – und der Zugang ist hier kognitiv. Dazu gehört eine Distanz zum eigenen Denken, ein Perspektivwechsel.
Es braucht spezifische Trainings, je nachdem, was man erreichen will.
Sie haben am ReSource-Project mitgearbeitet, der bisher größten Studie zu den Wirkungen von Meditation. Was haben Sie herausgefunden?
Böckler-Raettig: Ein Ergebnis ist, dass Mitgefühl und ToM durch unterschiedliche Meditationen gefördert werden. Mitgefühl wird gestärkt, indem man positive Emotionen wie Dankbarkeit, Wohlwollen anderen gegenüber kultiviert und lernt, mit negativen Emotionen umzugehen.
ToM wird am meisten gestärkt durch kognitive Übungen, z.B. Meta-Kognition, also dass wir uns mit den eigenen Gedankenmustern auseinandersetzen, Abstand nehmen von inneren Prozessen, beobachten, einordnen, vorbeiziehen lassen.
Wie viel muss man üben, damit Effekte sichtbar werden?
Böckler-Raettig: Je kürzer die Trainings in Meditations-Studien andauern, um so größer sind häufig die Effekte. Das könnte daran liegen: Am Anfang ist Meditation hochmotivierend und interessant. Man sieht Erfolge, wenn man übt, aber langfristig ist es schwierig, dranzubleiben, wie bei anderen Aktivitäten, etwa Sport – und dadurch relativieren sich die Effekte mit der Zeit etwas. Im ReSource-Projekt haben wir eine Übungsphase von drei Monaten für jedes Modul angesetzt, beim MBSR-Programm sind es acht Wochen.
Wie können soziale Qualitäten außerhalb von Meditation gestärkt werden?
Böckler-Raettig: Dazu gibt es z.B. Forschung an Kindern. Gerade bei ToM gibt es vielversprechende Befunde, die zeigen, dass sich ToM durch gezielte Übungen verbessern lässt: Was siehst du, wenn du da stehst, was sieht jemand, der dir gegenüber steht? Wie kann ich mit den Augen eines anderen schauen? Was bedeuten Gesten in verschiedenen Situationen?
Soziale Emotionen wie Mitgefühl zu kultivieren, führt zu entsprechenden Handlungen.
Wenn wir über die Ethik sprechen, so steht hier das Handeln im Mittelpunkt. Wenn es gut ist, Empathie und Mitgefühl einzuüben, wie geschieht der Übergang zum Handeln? Was gibt den Ausschlag, dass man sagt: Jetzt helfe ich.
Böckler-Raettig: Prosoziales Verhalten, also Teilen, Spenden, Hilfe anbieten, zeigten sich in der Resource-Studie vor allem nach den Meditations-Modulen zu Mitgefühl, kaum nach dem dreimonatigen Training der Achtsamkeit.
Hier ging es nicht um moralische Aufforderungen: „Du müsstest mehr dies und mehr das tun“, sondern die Motivation für das Handeln entstand aus den Emotionen heraus. Wenn wir den Mitgefühlsmuskel trainieren, fördern wir damit prosoziales Verhalten.
Es gibt natürlich andere Wege. Ein verhaltenspsychologischer Ansatz könnte sein zu üben, zum Wohle anderer zu handeln. Jeden Tag eine gute Tat. So schaffen wir Gewohnheiten.
Meditation macht Menschen nicht zu Egomanen.
Es gibt harsche Kritik an Achtsamkeit als selbstbezogen. Aber diese teilen Sie demnach nicht.
Böckler-Raettig: Schaut man in die Werbung, könnte man den Eindruck gewinnen, dass es bei Achtsamkeit nur um mich geht: „Hol dir das Glück, gönne dir etwas“. Es wird suggeriert, dass es bei der Meditation darum gehe, sich selbst zu schonen oder wichtiger zu nehmen. Aber die bisherigen Studienergebnisse legen nicht nahe, dass Meditation Menschen zu Egomanen macht.
Selbst wenn die Motivation ist, dass es einem selbst besser geht, so gilt doch: Wenn man Meditation übt, entfaltet diese oft eine eigene Kraft. Man gewinnt die Einsicht, dass das Leben mehr ist als Leistung, Erfolg und Konsum. Das kann ein Gegenpol zur Konsumkultur sein.
Bei den Befragungen in den Studien spielt die Selbsttäuschung eine große Rolle, d.h. Menschen halten sich für sozialer als sie es im Handeln sind. Wie kommen Sie dem auf die Schliche?
Böckler-Raettig: Wenn wir im Rahmen von Studien Menschen direkt zu ihren eigenen Fertigkeiten und Tendenzen befragen, zum Beispiel zu ihrer Hilfsbereitschaft, kann es viele Verzerrungen geben. Wir Menschen wollen uns möglichst gut darstellen, auch in anonymen Befragungen. Weiter gibt es kognitive Prozesse, die unbemerkt ablaufen. Wenn wir z.B. andere beurteilen, dann suchen wir einige Situationen heraus, die wir mit der Person erlebt haben, und sagen: Manchmal ist sie hilfsbereit und manchmal egoistisch.
Wenn wir uns aber selbst beurteilen, fallen uns vor allem Situationen ein, in denen wir uns positiv, hilfsbereit verhalten haben. Und wenn es mal nicht so geklappt hat, entschuldigen wir es damit, dass es einen Grund hatte: Wir waren zu gestresst, hatten kein Geld dabei usw. Diese Gründe kennen wir bei anderen nicht.
Soziale Emotionen zu kultivieren ist möglich, aber es ist Arbeit.
Wie gehen Sie in Ihren Studien damit um?
Böckler-Raettig: Ganz ausschließen können wir es nicht, aber es gibt Wege, die Eigenschaften von Menschen indirekt zu erschließen. Wir stellen z.B. hypothetische Fragen zu bestimmten Situationen und können dann sehen, ob Leute eher an Wettbewerb oder am Wohl anderer orientiert sind.
Man kann Personen auch in Interaktion bringen und dann das Verhalten im Geschehen testen wie bei den mikroökonomischen Austauschspielen. Die Teilnehmenden verteilen Punkte, die einem Geldwert entsprechen, z.B. 10 Euro, 5 Euro, und diese müssen aufgeteilt werden.
Auch in Computerspielen kann man z.B. Hilfsbereitschaft testen. So lässt man die Spieler Abenteuer erleben und „nebenbei“ gibt es Möglichkeiten, anderen spontan zu helfen.
Welche Lehren ziehen Sie persönlich aus der Studie zu den sozialen Emotionen?
Böckler-Raettig: Um soziale Emotionen und Perspektivwechsel zu trainieren braucht es spezifische und intensive Trainings; das ist Arbeit. Wir können unseren Mitgefühlsmuskel stärken, unser Gehirn ist flexibel. Wir können lernen, ein Leben lang, und das ist gerade auch mit Bezug auf Meditation eine gute Nachricht.
Wir sollten uns mehr mit uns und der Welt abseits von Zwängen, Leistung und Arbeit beschäftigen und die Verbindung mit uns und der Welt entdecken. Die Meditation kann ein Weg dahin sein.
Anne Böckler-Raettig ist seit 2021 Professorin für Forschungsmethoden und Soziale Kognition an der Universität Würzburg. Nach Promotion in den Niederlanden und einem Forschungsaufenthalt an der Princeton University arbeitete sie am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. Seit 2015 Juniorprofessorin in Würzburg, 2020 nahm sie einen Ruf als Professorin für Allgemeine Psychologie an die Leibniz Universität Hannover an.
Hier geht es zum Vortrag von Böckler-Raettig vom 10. Mai 2022