Eine Teilnehmerin des “Weisheitstrainings” berichtet
Das Netzwerk Ethik heute bietet ein Weisheitstrainng auf der Basis von Achtsamkeit an. Ina Heidmann gehört zu den ersten, die mitgemacht haben und schildert ihre Erfahrungen: neue Handlungsspielräume im Alltag, mehr Wohlwollen im Umgang mit anderen Menschen und die Erkenntnis, dass Gedanken nicht die Realität sind.
Weisheitstraining? Kann man Weisheit trainieren? Was verbirgt sich dahinter? Als ich im Herbst 2014 vom Weisheitstraining hörte, war meine Neugierde schnell geweckt. Und ich meldete mich für das 1. Modul an: „Arbeiten, chillen – war´s das?“, so der Titel.
Das Programm war vielversprechend, mit Wissensvermittlung von Referenten aus verschiedenen Disziplinen – Philosophie, Meditation und Therapie -, Gelegenheit zum Austausch über wichtige Lebensfragen und Meditations-Übungen. Es war die Chance für mich, an meine positiven früheren Erfahrungen mit der Achtsamkeit anzuknüpfen, sie zu vertiefen und mich weiterzuentwickeln.
Mit dem Achtsamkeits-Training (MBSR) hatte ich im Jahr 2012 begonnen, als mein Leben sich fast ausschließlich um die Arbeit gedreht hatte, nach dem Motto „Arbeiten und das war´s“. Die Praxis der “Stressbewältigung durch Achtsamkeit” schenkte mir mehr Gelassenheit in Alltag und Beruf. Doch dabei wollte ich nicht stehen bleiben, sondern mich weiterentwickeln.
Viele Fragen beschäftigen mich: Was ist für mich ein gutes Leben? Wie gelingt es mir, positive Emotionen zu kultivieren und im hektischen Alltag parat zu haben? Welche Möglichkeiten gibt es, Gewohnheiten zu ändern, die mir und anderen nicht gut tun? Wie kann ich mich verändern und auch Schattenseiten wahrnehmen und transformieren? Genau darum sollte es beim Weisheitstraining gehen. Wann und wo hat man schon die Gelegenheit, sich über solche wichtigen Fragen unter qualifizierter Anleitung auszutauschen!
„Glaube nicht alles, was du denkst“
Achtsamkeit ist der Anfang, die Basis für die weitere Erforschung und innere Arbeit. Meine Erwartungen wurden mit dem 1. Modul mehr als erfüllt. In vertrauensvoller Atmosphäre wurden ich und die Teilnehmer zunächst in die Achtsamkeit eingeführt – und zwar in die Theorie und die Praxis.
Wir lernten unter anderem, die Selbstwahrnehmung zu schärfen und bewusster mit Gedanken und Impulsen umzugehen. Denn wie oft sind wir davon beherrscht! Es geht um innere Freiheit, mehr Handlungsspielräume. Das ist genau mein Thema. Meine bisherigen Glaubenssätze wie „Geht nicht, gibt´s nicht“, „wat mut dat mut“, „Augen zu und durch“ haben mich lange Zeit mehr oder weniger gut durchs Leben getrieben. Dieser Modus lief meist einfach ab und wurde selten in Frage gestellt.
Im Alltag setzte sich automatisch mein vermeintlich bewährter Gedankenapparat in Gang, wenn neue Herausforderungen auf mich zukamen. Sofort suchte ich nach Lösungsvorschlägen, machte Zeitpläne, schrieb To do-Listen und und und … Es gab ja eh keine Wahl, also: Ärmel hochkrempeln und los. So war meistens meine Wahrnehmung.
Das 1. Modul zur Achtsamkeit erinnerte mich wieder daran, diese meine inneren Antreiber bewusst wahrzunehmen. Wir hatten zu den „Antreiber-Gedanken“ eine intensive Übung in der Gruppe gemacht, die mir half, meine alten Glaubenssätze zu hinterfragen und zu entkräften.
Heute fällt es mir dadurch leichter, innezuhalten und die Gedanken zu beobachten. Mit der wichtigen Erkenntnis, dass ich nicht meine Gedanken bin. „Glaube nicht alles, was du denkst“, steht auf einer Karte, die bei mir im Regal steht. Sie erinnert mich täglich daran, die Gedanken zu betrachten, sie zu verstehen, einzuordnen und dann erst zu handeln.
Neue Handlungsspielräume
Und es ist erstaunlich, wie viele Handlungsspielräume sich mit einem Mal für mich auftun. In den meisten Situationen gibt es alternative Sichtweisen und Wahlmöglichkeiten, die man vorher nicht gesehen hat. Den Gedanken nicht automatisch zu folgen, heißt nicht, sie zu unterdrücken, sondern sich zu entscheiden, ob man ihnen nachgeht, ob man sie loslässt oder ihnen andere Gedanken entgegen stellt.
Das ist eine neu gewonnene, innere Freiheit. Sie eröffnet mir Tag für Tag, im Beruflichen genauso wie im Privaten, die Möglichkeit, neue Wege zu gehen. Ein Beispiel: Früher hätte ich mir nie erlaubt, mich ernsthaft mit meinem Traum, eine Weltreise zu unternehmen, auseinanderzusetzen. Ich glaubte meinen Gedanken, die mir sagten: „Das lässt sich nicht mit dem Beruf vereinbaren, das kann ich nicht finanzieren, das ist bestimmt nichts für meinen Mann usw.“ Ich habe durch vertieftes Nachdenken nun viele Punkte entkräften können und bin gerade dabei, mit meinem Mann tatsächlich eine solche Reise für 2017 zu planen.
Inspirierend waren die ethischen Aspekte der Achtsamkeit für mich. Wir befassten uns intensiv, auch in der Meditation, mit dem Wohlwollen uns selbst und anderen gegenüber. Denn alles hängt miteinander zusammen. Wenn ich mich besser verstehe, kann ich auch andere besser verstehen.
Das Grundbedürfnis, glücklich und zufrieden zu sein, haben andere Menschen genauso wie ich. Das heißt, wenn ich Glück für mich beanspruche, dann darf mein Glück nicht auf Kosten anderer gehen. Eigentlich selbstverständlich und doch gerät es manchmal aus dem Blickfeld.
Die Meditation des Wohlwollens war sehr hilfreich, sich auf diese wesentlichen Dinge zu fokussieren. Wir lernten dabei, uns selbst und anderen Menschen wohlwollender und mit mehr Mitgefühl zu begegnen. Es fällt mir heute viel leichter, meine Bedürfnisse wahrzunehmen und gleichzeitig Verständnis für die Sichtweisen meiner Mitmenschen zu haben.
Verschiedene Blickwinkel auf ein Thema
Viele dieser Themen sind nicht unbedingt neu. Interessant in diesem Training ist, dass ein Thema aus verschiedenen Blickwinkeln erörtert wird, zum Beispiel das Denken aus Sicht der Philosophie und was der Nutzen des korrekten Denkens ist und dann aus der Sicht der Therapie: was die Grenzen des Denkens sind und wie wir aus Grübelschleifen herauskommen.
Und dann kommt der Aspekt der Anwendung hinzu: Wir wissen vieles, aber warum handeln wir dann nicht öfter so, dass es uns und unseren Mitmenschen gut geht? Das Wissen allein reicht eben nicht aus, wir müssen es auch anwenden, denn Weisheit ist Lebenspraxis. Und das erfordert tägliche Übung. Das wurde im Weisheitstraining schnell deutlich.
Die Achtsamkeit ist die Stellschraube für mein Bewusstsein. Wenn ich achtsam bin, kann ich eine positive Geisteshaltung fördern und mir meiner inneren Werte gewahr werden, wie wir es aus einer Definition der Achtsamkeit vom Dalai Lama kennengelernt haben.
Insofern brauche ich Achtsamkeit, um mich und die Lebenswelt zu verstehen, zur Einsicht zu kommen, mein Verhalten zu ändern und es ins Verhältnis zu anderen zu setzen. Ein wichtiger Baustein waren hier die Meditationseinheiten. Unter Anleitung einfühlsamer Meditationslehrer lernten wir die innere Sammlung und Fokussierung der Aufmerksamkeit.
Was dieses Training für mich auch so wertvoll macht, ist die Inspiration, die von der Gruppe ausgeht. Es gab viel Raum für den Austausch über inhaltliche Fragen, und diese Zusammenarbeit war geprägt von Offenheit, Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung. Ich habe viele Anregungen auch von anderen Teilnehmern mit nach Hause genommen.
Oftmals im Alltag reden Menschen ausführlich über Dinge, die überhaupt nicht wichtig sind. Hier ist es umgekehrt: Es kommen existenzielle Fragen auf den Tisch, die intensiv in relativ kurzer Zeit besprochen werden, zum Beispiel die Frage, was Glück für mich bedeutet oder was ich der Welt zu geben habe. Das ist auch den kompetenten Referenten zu verdanken, die solche teilweise erstaunlichen Fragen stellen und zum Nachdenken und zu Diskussionen anregen. Sie machen keine Vorgaben, sondern schaffen Raum, um die eigene Weisheit zu entdecken.
Das Weisheitstraining wirkt noch heute nach und hat Einzug in meinen Alltag gehalten. „Arbeiten und chillen – war´s das?“ – nein, mitnichten! Der Alltag ist für mich ein Lernfeld geworden. Ich bin gespannt auf das 2. Modul des Weisheitstrainings:„Die innere Landschaft erkunden“. Denn es gibt viel zu entdecken – nicht nur in der äußeren Welt.
Ina Heidemann ist Dipl. Biologin und seit über 15 Jahren im Bereich Öffentlichkeit für die Themen Stadtgrün und Umwelt tätig. Sie lebt mit Ihrem Mann in Hamburg und hat eine erwachsene Tochter. Seit langer Zeit interessiert sie sich für Fragen zur Selbsterkenntnis und Ethik. Im Jahr 2012 begann sie mit Kursen zur “Stressbewältigung durch Achtsamkeit” (MBSR).
Das Weisheitstraining in vier Modulen ist ein Angebot des Netzwerks Ethik heute. Es möchte Impulse für inneres Wachstum geben.
Das 1. Modul startet erneut im Januar 2016: am Wochenende 23./24.1.
Infoabende:
Wir laden Sie ein zu einem kostenlosen Infoabend: am 10. November 2015 um 19 Uhr in der Modern Life School, Bäckerbreitergang 12 in Hamburg. Bitte melden Sie sich formlos an: anmeldung@ethik-heute.org
Wer nicht in Hamburg wohnt, kann sich per Web-Seminar über das Weisheitstraining informieren: am 19. November 2015 und 19 Uhr. Sie brauchen nur einen Browser. Bitte schicken Sie uns eine mail, wir schicken Ihnen die Zugangsdaten.