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Heikle Themen ansprechen

Aaron Blanco Tejedor/ Unsplash
Aaron Blanco Tejedor/ Unsplash

Wie man im Kleinen Frieden stiften kann

Eine der wichtigsten Ursachen von Konflikten ist, dass Menschen nicht klar sagen, wie es ihnen geht und was sie wollen, so der Mediator Jürgen von Oertzen. Damit Konflikte im Persönlichen, auch in der Liebe, nicht eskalieren, empfiehlt er, sich zu öffnen und die Auseinandersetzung zu suchen. Kirsten Baumbusch sprach mit ihm, wie wir auf persönlicher Ebene Frieden stiften.

Der 54-jährige promovierte Politikwissenschaftler Jürgen von Oertzen hat sich das Friedenstiften in Familien, am Arbeitsplatz, in Organisationen und Firmen als Beruf gewählt. „Einigungshilfe“ lautet der Name seines Mediationsbüros in Karlsruhe. Darüber hinaus beschäftigt den Familienvater die tiefe Kluft in der Gesellschaft, die in der Pandemie sichtbar geworden ist.

Mit seiner Initiative „Corona-Denkräume“ hat er geimpfte Menschen und Impfskeptiker ins Gespräch gebracht. „Das war nicht einfach“, wie er berichtet. Viel Verzweiflung, viel Unverständnis, kurz: viel Unfriede herrscht zwischen den beiden Gruppen.

Warum fällt uns das Friedenschließen so schwer? „Versöhnung ist schwierig, weil Einer oder Eine anfangen muss, auf den Anderen zuzugehen“, erklärt der Mediator. „Und das erfordert immer Mut“. Und dann muss auch noch Mitgefühl dazu kommen. Wenn beide den Schmerz des Gegenübers wahrnehmen können, werden die notwendigen Schritte – bis hin zum Verzeihen, Wiedergutmachen und Vorbeugen künftiger Eskalationen – möglich, auch in Liebesbeziehungen.

Interessant übrigens, dass die deutsche Sprache zwar den Ausdruck kennt „es tut mir leid“, aber dass man sich nicht selbst entschuldigen kann, sondern um Entschuldigung bitten muss. Das wird zwar im alltäglichen Sprachgebrauch oft nicht beachtet, aber für Jürgen von Oertzen ist der richtige, historische Gebrauch der Wendung ein Indiz für die Weisheit der Sprache. Versöhnung kann nur zusammen gelingen.

Eine Kommunikation von Herz zu Herz bringt Frieden.

Konflikte, schon im Privaten, eskalieren, wenn sich beide Kontrahenten schützen wollen und Angst voreinander haben. Wer sich in diesem Modus befindet, ist nicht mehr offen für Empathie und Vertrauen. Dann verengt sich die Wahrnehmung bis hin zum Tunnelblick.

Der Andere wird nur noch als Täter wahrgenommen, während man sich folgerichtig selbst als zumindest potentielles Opfer sieht. So entstehen Spiralen der Eskalation, wie sie etwa Professor Friedrich Glasl beschreibt: Auf Stufe 9 geht es nur noch „gemeinsam in den Abgrund“.

Zwar wollen wir als Menschen und soziale Wesen von Natur aus kooperieren, dennoch braucht es viel Mut, um nach einem Streit aufeinander zuzugehen. Und sei es nur mit der schlichten Frage: „Wie wollen wir es denn künftig miteinander halten?“ (Interview mit Glasl zum Ukraine-Krieg)

Foto: Jürgen Stephan

Von Oertzen sieht es als eine wichtige Erziehungsaufgabe von Eltern an, diese Kulturleistung mit ihren Kindern vorzuleben und einzuüben. Wenn es Menschen nach einem schlimmen Konflikt wagen, sich zu öffnen und dann zu versöhnen, so hat er in über 100 Mediationen erlebt, ist das für alle eine ungeheure Erleichterung und eine Quelle des Glücks.

Der große Pluspunkt einer Mediation (lateinisch für Vermittlung) ist, dass im Gegensatz zu einem Gerichtsverfahren am Ende kein Urteil steht, sondern eine mit Hilfe eines unabhängigen Dritten ausgehandelte Vereinbarung, die den Bedürfnissen und Interessen aller Beteiligten entspricht. Was ist die Voraussetzung?

„Der Rahmen, in dem es möglich ist, miteinander zu reden“, betont von Oertzen. Dazu gehören Vertraulichkeitsregeln und die Gewissheit, dass Mediator oder Mediatorin nicht parteilich sind. Aber auch das Gefühl, hier alles sagen zu dürfen. Gleichzeitig muss man bereit sein es auszuhalten, wenn das Gegenüber das auch tut. Um Schuld geht es dabei nicht, unterstreicht von Oertzen, sondern um ein gemeinsames Verstehen der Situation und der damit verbundenen Emotionen.

Kritische Dinge zu benennen ist eine echte Leistung.

Sieht er sich selbst eher als Konfliktklärer oder als Friedensstifter? Oertzen räumt ein, dass er als Dienstleister auf Wunsch eine Klärung in der Sache, also ohne Klärung auf der Beziehungsebene anbietet, also einen Interessensausgleich. Sein eigentliches Anliegen aber, und so versteht er sich selbst, ist es, echtes Verständnis zu ermöglichen. „Eine Kommunikation von Herz zu Herz bringt Frieden“.

Wenn es so anstrengend ist, sich wieder zu versöhnen, wäre es dann nicht besser, Konflikten ganz aus dem Weg zu gehen? Jürgen von Oertzen lächelt und sagt, „die Gretchenfrage für Mediatoren“. Er weiß, dass es nichts bringt, alle heiklen Themen unter den Teppich zu kehren – weder im beruflichen, noch im privaten Bereich.

Aber auch hierzu ist wieder Mut und Vertrauen notwendig. Wem fällt es schon leicht, beispielsweise seiner Chefin zu sagen, dass sie einen verletzt hat? Zwar eröffnet ihr das die Möglichkeit, an sich zu arbeiten und in Zukunft das verletzende Verhalten zu unterlassen. Gleichzeitig bekommt sie aber eine „Waffe“ in die Hand, die sie bei nächster Gelegenheit gegen einen verwenden könnte. Kritische Dinge zu benennen, ohne das Ganze in die Destruktion kippen zu lassen, das nennt der Profi-Konfliktklärer eine echte Leistung.

Eine der wichtigsten Ursachen von Konflikten sei es, dass Menschen nicht klar sagen, wie es ihnen geht und was sie wollen. Viele trauen sich weder in der Familie noch bei der Arbeit Dinge anzusprechen, die schmerzen oder kontrovers sein könnten. Sie haben es nicht gelernt, Gefühle zu formulieren und verschiedene Positionen auszuhandeln.

Stattdessen wird vieles mit Pseudo-Harmonie und Schweigen zugekleistert, bis es nicht mehr auszuhalten ist. Wer unterschiedliche Wahrnehmungen oder Meinungen hat, sich nicht gesehen oder wertgeschätzt fühlt, der tut deshalb gut daran, rechtzeitig die sachliche Auseinandersetzung zu suchen.

Wie gut wäre es, wenn wir andere Menschen in ihrer Unvollkommenheit annähmen

Warum hat die Corona-Pandemie so viele Konflikte ausgelöst? Laut Jürgen von Oertzen ist bei Vielen in den letzten zweieinhalb Jahren der Eindruck entstanden, das eigene Leben nicht mehr zur Verfügung zu haben, nichts entscheiden zu können, ausgeliefert zu sein.

Im Herbst 2021 drohte auch ihn selbst das Gefühl zu überwältigen, der Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft und Gefährdung der Demokratie nichts entgegensetzen zu können. Daraus entstand schließlich die Idee der digitalen „Corona-Denkräume“ mit Geimpften und Ungeimpften. (LINK: www.coronadenken.de)

Hier schuf der Mediator den geschützten Rahmen, in dem die Teilnehmenden in Kleingruppen sprechen konnten, ohne dass jemand widersprach oder etwas entgegnete. Im nächsten Schritt hörte man dem oder der Anderen zu, was sie gerade umtrieb. Ein anrührendes Format, das Begegnung ermöglichte und Verhärtungen aufbrechen ließ. Ihn freut, dass es Bestrebungen gibt, diese Dialogkreise fest einzurichten und es auch für andere Streitpunkte wie beispielsweise die Lieferung von Kriegswaffen zu nützen.

Was hätte im Hinblick auf Corona besser laufen können in der Politik? Auch hier hat der Friedensstifter eine ungewöhnliche Antwort parat: „Gegen das Gefühl des Ausgeliefertseins hilft es, eine Strategie zu kennen“. Und wenn man dann auch noch teilnehmen könne am Prozess, beschere das den Bürgerinnen und Bürgern wieder ein Gefühl der Selbstwirksamkeit. Selbst wenn sie – wie das in der Demokratie unvermeidlich ist – einmal zur Mehrheit, die sich durchsetzt, und ein andermal zur Minderheit gehören.

Die letzte Frage des Gesprächs freut ihn sichtlich: Jürgen von Oertzen begegnet dem großen, goldenen Friedensengel und er hat drei Wünsche frei. Was wären die? „Ich glaube, ich würde ihn fragen, was ich für ihn tun kann, damit er seinen Frieden überall hinbringt“. Und er würde sich wünschen, dass der Engel uns allen viel Kraft gibt, die anderen als Menschen mit ihren Unvollkommenheiten zu sehen und sie so anzunehmen.

Als letztes wäre dann noch der Wunsch nach einem Tipp, wie es möglich ist, Selbstwirksamkeit zu erfahren, in einer Welt, in der man „nur“ Einer von acht Milliarden ist. „Und“, so schließt er schmunzelnd, „so viel Freude am Leben zu haben, dass mir dabei kein Zacken aus der Krone bricht“.

Dr. Jürgen von Oertzen ist Mediator, Trainer und Konflikt-Manager. Er hat zusammen mit seinem Team Menschen und Organisationen in über 100 Mediationen und Konfliktmanagementprozessen in ganz Deutschland unterstützt. Zu seiner Website

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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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