Ein Projekt von Kindern für Kinder
Im Rahmen des interkulturellen Schulprojekts „Nachbarschaft Welt“ haben zwei Schulklassen in Hamburg Geld für Flüchtlingskinder gesammelt und gespendet. Lesen Sie den Bericht über das großartige Engagement der Sechstklässler.
„Der Gedanke, dass andere Kinder sich freuen, war für mich der schönste Moment“, berichtet mit leuchtenden Augen Andreas-Pedro, 12 Jahre alt, aus der Klasse 6 b der Stadtteilschule in Hamburg-Bahrenfeld. Die Schüler haben 1.000 Euro gesammelt und für Flüchtlingskinder an UNICEF gespendet.
In 2015 hatten sich die beiden Klassen an dem Projekt „Nachbarschaft Welt“ beteiligt, das die Diplompädagogin und Lehrerin Andrea Vermaaten für das Netzwerk Ethik heute initiiert hatte. Darin ahmten die Schülerinnen und Schüler ganz konkret eine andere Kultur nach.Für die Dauer des Projekts erhielten sie einen anderen Namen und schlüpften in die Haut von Indern, Iranerinnen oder Chinesen. Sie hießen dann Rohit, Shirin oder Liem und waren plötzlich Bauern, Hausfrauen oder Händler. So konnten sie nachempfinden, wie es ist, so zu leben, und Verständnis für andere Lebensformen und Wertvorstellungen entwickeln.
Zum Ende des Jahres fertigten die Kinder Collagen an. Die Aufgabe war, die fünf wichtigsten Dinge, die sie aus ihrer Kultur in Erfahrung gebracht hatten, mit Bildern darzustellen und zu einem Gesamtkunstwerk zusammenzusetzen. Kreativ, wie sie waren, nutzten sie dafür nicht nur Bilder, sondern auch Stoffe, Ess-Stäbchen, Tee-Beutel, Samen und Körner. Das Projekt hat den Kindern Spaß gemacht und sie tauchten immer mehr in die Kultur ein, die sie sich ausgesucht hatten. Indem sie die Collagen den anderen präsentierten und erklärten, haben sie ihr Wissen vertieft und immer mehr Vertrautheit mit ihrer neuen Identität gewonnen.
250 Kalender verkauft
Anfang Dezember entsteht die Idee, aus den Collagen einen Kalender zu fertigen. Die Schülerinnen und Schüler liefern alle Bestandteile – die 12 Monatsblätter sowie das Titelblatt, das sie selbst auswählten. Eine Grafikerin hilft ehrenamtlich daraus eine Druckvorlage zu erstellen. Die Produktionskosten übernimmt eine Spenderin des Netzwerks Ethik heute.
Dann geht es an den Verkauf, und auch hier führen die Schülerinnen und Schüler Regie: Es gilt, den Preis festzulegen (5 Euro) und 250 Exemplare des Kalenders an den Mann und die Frau zu bringen. Damit ist klar: Der Verkauf muss weit über die Klasse hinaus organisiert werden.
Wie aber verkauft man? Und muss man auch Werbung machen? Braucht man dafür vielleicht einen passenden Slogan? Die ganze Klasse überlegt, wie das gehen könnte. Nach langen Beratungen einigt man sich auf den Slogan „Von Kindern für Kinder“, denn es ist schnell klar, dass der Gewinn Kindern zugute kommen soll, die in Not sind.
Flugs werden Werbepostkarten selbst hergestellt und mit den Kalendern zum Beispiel in Eine-Welt-Läden ausgelegt. Auch werden Eltern, Lehrer und andere Klassen eingespannt. Der Erfolg lässt nicht auf sich warten: Kurz vor Nach Weihnachten sind alle Kalender ausverkauft, 1.000 Euro sind durch den Verkauf zusammen gekommen.
Wohin nun mit dem Erlös? Es folgen lebendige Diskussionen in der Klasse, welche Organisationen in Frage kamen. Klar ist: Das Geld soll an Flüchtlingskinder gehen. Aber: Sollte man alles an eine Initiative geben oder doch lieber splitten? Mehrmals wird abgestimmt, die Ergebnisse sind äußerst knapp. Irgendwann entscheiden sich die Kinder mehrheitlich, alles Geld der UNICEF-Kindernothilfe zu spenden.
„Ich finde es traurig, dass Kinder vertrieben werden“
UNICEF ist weltweit aktiv und kümmert sich im Moment besonders auch um syrische Familien. Auf der Internetseite der Organisation kann man etwas über die Schicksale der Kinder nachlesen, zum Beispiel über Saria aus Aleppo, 8 Jahre alt: „Ich war froh, dass wir Syrien verlassen konnten. Europa ist schön, hier wird nicht geschossen“. Oder die Geschichte von Hussein, 10 Jahre, der als palästinensischer Flüchtling in Syrien lebte. Durch den Krieg erlebte er nochmals Gewalt und wurde ein weiteres Mal vertrieben und lebt jetzt in Deutschland.
Manche der Schüler hatten schon Berührung mit Flüchtlingen, sei es in ihrer Nachbarschaft, auf dem Weg zum Sport oder weil die Eltern sich engagieren. Die Schicksale gehen ihnen nah. „Ich kam mal an einem großen Flüchtlingsheim vorbei und fand, dass man den Kindern den Schock ansehen konnte. Sie müssen Schlimmes erlebt haben,“ sagt die 12-jährige Hevin-Amira nachdenklich.
„Ich finde es traurig, dass Kinder, obwohl sie nichts getan haben, aus ihren Ländern vertrieben werden und zum Teil noch ihre Eltern verlieren. Gerade wenn es noch Babies sind, ist es sehr gefährlich ohne Eltern“, fügt Andreas-Pedro hinzu.
So hat den Schülern gefallen, dass UNICEF sich gerade um die Kleinsten kümmert. In den ersten Wochen des Jahres 2016 will die Organisation eine Million Kinder in Syrien und insgesamt 1,5 Millionen Kinder in Irak, Jordanien, Libanon, Türkei mit lebenswichtiger Winterhilfe versorgen. Unter anderem sollen Winterkleidung und warme Decken verteilt und Klassenräume winterfest gemacht werden. Genau hier unterstützen die Klassen mit ihrer Spende.
Fatma-Zola fasst ihre Gefühle so in Worte: „Der schönste Moment in diesem Projekt war, als ich erfahren habe, wie viel Geld für die Flüchtlingskinder zusammen gekommen sind: 1000 Euro! Ich habe nachgespürt, wie es den Kindern wohl geht und dachte, dass sie sich bestimmt darüber freuen.“
Als Anerkennung für ihr Engagement hat UNICEF den Schülerinnen und Schülern Urkunden ausgestellt. Es ist ein feierlicher Moment, als jedem Kind der Klassen 6a und 6b das Dokument überreicht wird. „Ich bin stolz, dass jetzt einige Flüchtlingskinder glücklich sind“, sagte Malte-Hu-Bao-Li am Ende der kleinen Zeremonie im Klassenzimmer.
Birgit Stratmann
Lehrerinnen und Lehrer, die Interesse an dem Projekt “Nachbarschaft Welt” haben, wenden sich bitte an Andrea Vermaaten: andrea.vermaaten@ethik-heute.org