Einordnung einer ARD-Dokumentation
Die ARD-Dokumentation „Krank durch Meditation“ vom März 2024 informiert über die Gefahren intensiver Meditationspraxis. Viel mehr Aufklärung ist notwendig, schreibt Birgit Stratmann von Ethik heute. Dabei sollte man verschiedene Formen von Meditation unterscheiden und mehr Wissen über Ziele, Voraussetzungen und Wirkungen von Meditation vermitteln.
Im Westen ist Meditation in Form von Achtsamkeit mittlerweile weit verbreitet. Jon Kabat-Zinn katapultierte sie mit seinem Programm „Stressbewältigung durch Achtsamkeit“ (MBSR) mitten in die Gesellschaft, wirkt sie doch nachweislich als Mittel gegen Stress und für den ersehnten inneren Frieden.
Doch es bleibt nicht bei einfachen Achtsamkeitsübungen. Ein Viertel aller Deutschen hat eine Meditations-App auf dem Handy. (1) Meditiert wird in Achtsamkeitskursen, aber auch beim Yoga, in buddhistischen Zentren. Man liest darüber in Zeitschriften, im Internet, auf Social Media. Längst ist ein unüberschaubarer Markt entstanden mit seriösen, aber auch weniger seriösen Angeboten.
Kein Wunder, dass sich jetzt auch die ARD des Themas angenommen hat: Ihre 30-minütige Dokumentation „Krank durch Meditation? Die unbekannten Gefahren der Achtsamkeit“ vom 19. März 2024 beleuchtet die Schattenseiten dieses Trends.
Das geschieht anhand von Beispielen: Der Film stellt zwei Menschen vor, die extrem schlechte Erfahrungen mit Meditation gemacht haben und in psychische Krisen geraten sind. Zudem waren die Lehrenden überfordert, nicht psychologisch geschult und konnten keine adäquate Hilfestellung bieten.
Im Interview mit Liane Hoffmann und Ulrich Ott, die in Freiburg eine Beratung bei spirituellen und meditationsinduzierten Krisen gegründet haben, erfährt man, dass rund zehn Prozent derjenigen, die Meditation ausüben, mit psychischen Problemen zu kämpfen hätten. Doch es gebe zu wenig Angebote, um den Betroffenen aus der Krise herauszuhelfen. (2)
Es gibt unzählige Meditationsformen
Wie so oft wird auch in der ARD-Doku nicht zwischen Achtsamkeit und Meditation differenziert; die beiden Begriffe werden nicht definiert, die verschiedenen Formen der Meditation werden nicht unterschieden.
Diese Unterscheidung ist aber unabdingbar, wenn man das Thema umfassend verstehen will. Achtsamkeit kann man so beschreiben: „eine Haltung und eine Praxis, in der man versucht, in der Gegenwart absichtslos präsent zu sein, bewusst wahrzunehmen, zu spüren, zu fühlen“, sagt der Psychiater Dr. Michael Huppertz im Interview auf Ethik heute. (3)
Menschen können die Achtsamkeit im Alltag praktizieren, um dem, was sie tun, mehr Aufmerksamkeit zu schenken und Grübeleien zu durchbrechen. Diese Präsenz kann sogar in psychischen Krisen hilfreich sein. Huppertz nutzt kleine Achtsamkeitsübungen zur Unterstützung einer therapeutischen Behandlung.
Meditation hingegen „ist immer Teil der spirituellen Suche“, so Huppertz. Damit wirke sie auf die ganze Existenz des Menschen. (3) Oft ist Meditation verbunden mit asketischen Praktiken wie Schweigen, Rückzug von der Welt, stundenlangem Sitzen. Das unterscheide sie von Achtsamkeit, die jederzeit, auch im Alltag funktioniere.
Im Westen zeichnen viele ein rosiges Bild und verbinden mit meditativen Übungen innere Ruhe, Frieden, Gelassenheit, eine Auszeit vom stressigen Alltag, verbunden mit Wohlgefühl. Diese Vorstellungen beruhen oftmals auf geringem Wissen über das Ziel, die Durchführung, aber auch die Hindernisse, die bei einer Praxis auftauchen können.
„Wir brauchen mehr Wissen über Meditation“
Ursprünglich, etwa in den Kulturen Asiens, aus denen viele Meditationsformen stammen, ist die Meditation ein Mittel der Selbsterkenntnis, der Weisheit. Und der Weg zur Weisheit ist bekannterweise steinig und beschwerlich.
Meditation wird hier im Rahmen spiritueller Wege gelehrt, wo es ein religiöses Heilsziel gibt, Lehrende, die die Übungen erklären, eine Gemeinschaft von Übenden, mit denen man sich austauschen kann – und im besten Fall eine qualifizierte Person, an die man sich wenden kann, wenn es Probleme gibt.
Doch „Meditation ist kein Allheilmittel“, wie es der Dalai Lama einmal ausdrückte. Und sie ist gewiss nicht das Einzige, was für die innere Entwicklung und Reifung gebraucht wird. (4)
„Wir brauchen mehr Wissen über Meditation“, ist der Psychiater und Meditationslehrer Dr. Guido Peltzer überzeugt. „Das betrifft den Prozess des Meditierens, aber auch die psychischen Wirkungen. Hier gibt es viele Irrtümer und Fehleinschätzungen.“
Das Problem: Zum einen seien Meditationslehrerinnen und -lehrer oft nicht psychologisch ausgebildet, um psychische Probleme bei den Teilnehmenden erkennen und dabei helfen zu können. Sie könnten oft nicht einschätzen, ob die Person überhaupt in der Verfassung sei, sich auf diese tiefen inneren Prozesse einzulassen.
Zum anderen wüssten die Meditierenden selbst oft nicht, worauf sie sich wirklich einlassen, weil sie nicht unter qualifizierter Anleitung, in einem geschützten Rahmen praktizieren. Manche üben einfach nur mit Apps. Oft geschieht dies aus einem starken Bedürfnis, dem schwierigen Alltag zu entfliehen.
Vorbehalte gegen intensive Meditationspraxis
Es muss also mehr Aufklärung über Meditation und mehr Unterstützung von Meditierenden geben. Der ARD-Film kann nur ein Anfang sein. Denn die Meditation ist, anders als die einfache Achtsamkeitspraxis, ein intensiver innerer Prozess, der auch schwierige Themen in der eigenen Biografie ins Bewusstsein spülen kann. Sie hat zwar das Potenzial zur Transformation, aber dafür sind viele förderliche Bedingungen notwendig.
Gerade die nicht-gegenständlichen Meditationsformen, etwa im Zen, in denen man Erfahrungen mit Leere, Raum oder Nicht-Selbst macht, können zu Dissoziation, also der Abspaltung von Persönlichkeitsanteilen führen, wie in dem Filmbericht dargestellt, und sogar psychische Krankheiten wie Psychosen auslösen.
Wie Guido Peltzer in einem Artikel schrieb, verursache die Meditation zwar selbst kein Trauma, aber sie könne Traumata aus der frühen Kindheit reaktivieren. Dies geschehe spontan, wie aus dem Nichts. „Das kann sogar dann geschehen, wenn Menschen schon mit ihren Traumata therapeutisch gearbeitet haben“, so Peltzer. (5)
Östliche Traditionen betonen die introvertierte Praxis
Die Desorientierung, die in diesen intensiven Meditationen geschieht, ist eigentlich Teil des spirituellen Weges, rüttelt sie doch an festen Selbstbildern und starren Konzepten, die man auf die Wirklichkeit projiziert. Das kann jedoch nur gelingen, wenn man gleichzeitig ein gesundes Selbstbewusstsein entwickelt hat. Sonst könnte ein solches inneres Geschehen als nicht beherrschbar erlebt werden.
So sieht es auch der Psychiater Huppertz. Er schätzt die Praxis der Achtsamkeit, sieht aber eine intensive Meditationspraxis im säkularen Zusammenhang eher skeptisch. Wer intensiv meditiert – zurückgezogen, im Schweigen, viele Stunden am Tag sitzend –, brauche eine stabile Persönlichkeit und Urvertrauen.
Aus seiner Sicht betonten die östlichen Traditionen zu sehr die introvertierte Praxis, statt die Beziehungen zu unserer Umwelt und Mitwelt. „Der Mensch kann sich nicht aus der Welt zurückziehen. Wir sollten in der modernen Welt mehr von der Vernetzung mit Dingen, Natur und anderen Menschen her denken.“ (3)
Bleibt die Frage, wie das Bedürfnis vieler Europäerinnen und Europäer nach innerer Ruhe erfüllt werden kann. Dafür scheint Meditation nicht für jede und jeden die richtige Wahl zu sein. Besser geeignet könnten Achtsamkeit, Qigong, Yoga, Autogenes Training, Wandern oder Naturerfahrung sein. Wer Meditation ausprobieren möchte, sollte sich vorher gut informieren.
Birgit Stratmann
Quellen
(2) https://www.igpp.de/beratung/beratung_krisen.htm
(3) https://ethik-heute.org/wir-sollten-die-achtsamkeit-mehr-in-beziehung-bringen/
(4) https://ethik-heute.org/meditation-ist-kein-allheilmittel/
(5) https://parasamvit.de/wp-content/pdf/%C3%9Cberlegungen%20Med%20PT.pdf
Hilfe für Meditierende:
Netzwerk für spirituelle Entwicklung und Krisenbegleitung
Caringnet – Eine Initiative für Hilfe in spirituellen Krisen
Buchtipp: Liane Hoffmann, Patrizia Heise. Spiritualität und spirituelle Krisen: Handbuch zu Theorie, Forschung und Praxis. Stuttgart 2018