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Meditation: ein Zustand von Weite und Stille

Ingrid Maasik/ shutterstock.com
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Interview mit den Meditationslehrern Christiane und Guido Peltzer

Meditation bedeutet, vollständig da zu sein, ohne die Dinge ändern zu wollen, sagen die Meditationslehrer Christiane und Guido Peltzer. Sie sprechen im Interview über vollkommene Bewusstheit, die Sehnsucht nach Stille und wie man es vermeidet, in Abhängigkeit von Lehrern zu geraten. Denn Meditation bedeutet, innere Freiheit zu gewinnen.

 

Das Gespräch führte Birgit Stratmann

Frage: Was bedeutet eigentlich Meditation, worum geht es da?

Christiane Peltzer: Meditation ist für mich eine Schulung der Bewusstheit, die mir hilft, ein Leben in innerer Freiheit zu führen. Wenn ich diese Haltung in den Alltag bringen kann, erfasse ich den gegenwärtigen Moment vollständig.

Guido Peltzer: Meditation hat unterschiedliche Ebenen. Für viele ist es eine Entspannungsmethode. Meditation kann aber viel mehr sein, nämlich eine Haltung dem Leben gegenüber, also präsent, vollständig da zu sein, und das, was ich bemerke, nicht sofort ändern zu wollen. Die Dinge verändern sich einfach dadurch, dass wir wahrnehmen.

Psychologisch gedeutet heißt das: Unsere normalen Reaktionen auf Schwierigkeiten sind wegzulaufen, zu kämpfen, zu erstarren, also so tun, als ob es nicht da wäre. Meditation hilft uns innezuhalten und hinzuschauen. So können wir Schwierigkeiten als Wachstumsimpulse nutzen.

Christiane Peltzer: Bei der stillen Meditation sitze ich und lasse einen gedankenfreien Zustand in mir entstehen: Ich bin mir der äußeren Welt zwar bewusst, aber innerlich frei von Gedanken und Gefühlen, in einem anderen Bewusstseinszustand.

Was sollte der Vorteil sein, wenn die Gedanken aufhören?

Guido Peltzer: Das führt in der Meditation dazu, dass ich die Hintergründe der Gedanken bemerke, also das, was man Unbewusstes nennt. Dieses rückt in die Aufmerksamkeit, wird dann aber verabschiedet, bis es zu einem Zustand der Gedankenlosigkeit kommt. Das ist eine tiefe innere Stille. Dadurch gehe ich über das Denken hinaus.

Christiane Peltzer: Wo immer Denken und Wahrnehmen ist, ist auch Unterschied. Da ist ein gut oder schlecht, richtig oder falsch. In der Meditation kann dieser Unterschied aufgehoben werden. Dann ist der Raum frei, und es kann sich ein anderer innerer Zustand einstellen, den man auch als Liebe bezeichnen kann: eine Liebe zu allem, was ist, die keine Bedingungen hat und alles als Sosein akzeptiert und schätzt.

Guido Peltzer: Warum ist das wichtig? Wir alle haben eine Sehnsucht danach, bedingunglos angenommen und geliebt zu werden. Meditation ist eine Möglichkeit, uns dies zunächst selbst entgegen zu bringen.

Ein ganzheitlicher Zustand des Betrachtens

Kann jeder meditieren lernen?

Guido Peltzer: Bei einer schweren psychischen Krankheit sollte man vorher mit einem Psychotherapeuten oder einem Psychiater abklären, ob Meditation angezeigt ist, etwa wenn man eine Psychose oder schwere Persönlichkeitsstörungen hat.

Foto: C. Spitz

Foto: C. Spitz

Christiane Peltzer: Ansonsten kann jeder meditieren, und es ist eine ergänzende Erfahrung zum Alltagsbewusstsein, bei sich zu bemerken, dass es auch jenseits von Denken und Fühlen noch etwas gibt: einen inneren Beobachter, eine Instanz, die wahrnimmt, was innerlich geschieht. Es ist ein ganzheitlicher Zustand des Betrachtens, der aber kein Widerspruch zum Denken ist. Meditation bereichert Denkprozesse und führt sie zum Wesentlichen zurück.

In der sogenannten Kontemplation stellt man sich eine Frage und nimmt sie mit aufs Kissen. Man lässt sie kreisen und löst sich dann davon, indem man alle Gedanken und Gefühle ziehen lässt. Stunden, manchmal Tage später stellt sich eine Antwort ein, ohne dass man sich damit bewusst auseinander gesetzt hat.

Die Menschen sind ja sehr verschieden. Gibt es nicht auch andere Wege, präsent zu sein, etwa die Kunst oder das Naturerleben?

Guido Peltzer: Ich glaube, dass viele Künstler solche Zustände kennen, ohne dass sie sie als Meditation bezeichnen würden. Ein Beispiel ist der Maler Gerhard Richter, von dem ich viele Bilder meditativ interpretieren würde. In Interviews spricht er auch darüber.

In der Musik ist das eher verbreitet. Das Ensemble Resonanz etwa entwickelt seine Kunst aus der Stille heraus. Das ist ein zutiefst meditatives Verständnis von Musik. Auch Barenboim äußert sich im Interview in ähnlicher Weise.

Christiane Peltzer: Das Wunderbare ist, dass sich die Erfahrung der Künstler auf die Zuhörer überträgt. Sie gelangen in einen Zustand innerer Erfülltheit und machen die Erfahrung, dass alles mit allem verbunden ist. Das erleben wir auch beim Betrachten von Gemälden oder wenn wir in die Natur gehen. Die Sinneseindrücke sind dann wie Türen, um in eine innere Stille und Weite einzutreten.

Das Innehalten ermöglicht ethisches Handeln

Wenn wir ethisch leben wollen, so scheitern wir oft an unseren Impulsen, Emotionen und Gedanken. Wie kann Meditation helfen?

Guido Peltzer: Bisher haben wir über die Sitzmeditation gesprochen. Weiter gibt es die Übung, im Laufe des Tages Pausen einzulegen – und zwar besonders dann, wenn ich über etwas stolpere.

Dann geht es darum innezuhalten, tief Luft zu holen, bewusst auszuatmen und noch einmal auf das, was ich erlebt habe, zu schauen. Wenn wir uns daran gewöhnen, werden wir schneller Verstrickungen bemerken. Ethik ist für mich, im Alltag und in Beziehung zu anderen Menschen möglichst angemessen zu reagieren.

Christiane Peltzer: Bei uns Menschen tauchen Gefühlszustände mehr oder weniger von allein auf. In der Biochemie unseres Körpers wird ein Gefühl für 90 Sekunden aufrecht erhalten, dann ebbt es im Körper wieder ab.

Wenn es mir gelingt, in diesen eineinhalb Minuten nichts zu tun, habe ich danach die Möglichkeit, meine kognitiven Fähigkeiten einzusetzen, auf die Gesamtsituation zu blicken und angemessen zu handeln. Das Innehalten ermöglicht mir erst ethisches Handeln.

Guido Peltzer: Neuere neurowissenschaftliche Studien stellten fest, dass das Gehirn von Menschen, die regelmäßig meditieren, mit weniger Angst reagiert. Der Mandelkern, die Amygdala, ist weniger aktiv, vor allem während der Meditation, aber bei erfahrenden Übenden auch im Alltag.

Wenn es um ethisches Handeln geht, ist der Aspekt wichtig, dass regelmäßige Meditation Angst verringert. Denn wenn ich Angst habe, bin ich meinen Impulsen viel stärker ausgeliefert. Weniger Angst und Alarmbereitschaft ermöglichen mir, die Pause wahrzunehmen und mich mitfühlender zu verhalten.

Stillemomente im Alltag finden

Viele Menschen sehnen sich nach Stille. Was ist das für eine Erfahrung?

Guido Peltzer: Es ist paradox: Die Menschen sehnen sich nach Stille, aber sobald sie eintritt, erschrecken sie sich. Wir sind heute Stille kaum mehr gewohnt, besonders in der Stadt. Manche sprechen von der „donnernden Stille“, denn die Wirkung kann mächtig sein.

Christiane Peltzer: Wir verbinden mit Stille die Abwesenheit von Außen- oder Innengeräuschen. Darüber hinaus gibt es auch eine körperliche Stille. Der Atem wird flacher, bis er kaum mehr spürbar ist, Körpergefühle ebben ab, bis sie nicht mehr wahrnehmbar sind. Auch Körpergrenzen lösen sich auf. So entsteht ein Zustand großer Weite und Stille. Diese Stille ist eigentlich immer da, aber wir nehmen sie im Alltag durch Ablenkungen nicht wahr.

Guido Peltzer: Auch wenn wir religiöse Gebäude betreten, eine Kirche oder einen Tempel, so begegnen wir der Stille. Wir sind voller Ehrfurcht, wir flüstern. Das kennen wir vielleicht auch im Wald oder am Ende eines Musikstücks. Wir lassen die Musik oder einen Gong nachklingen, bis sie verhallen.

Viele von uns leben gestresst und wir sind sehr aktiv. Was empfehlen Sie Menschen, die ein Bedürfnis nach Stille haben?

Christiane Peltzer: Als erstes empfehle ich eine kleine Achtsamkeitsübung für den Alltag: Wir legen mehrmals täglich eine kleine innere Pause ein. Wir werden uns gewahr, was wir gerade tun, wie es dem Körper geht, was wir fühlen, wo die Gedanken sind. Nur ein kurzer Check und danach einen Moment innehalten.

Oder wir können im Verlauf des Tages bewusst nach dem Ausatmen und dem Einatmen die Pause spüren und darin verweilen. Es geht darum, im Alltag kleine Stillemomente zu finden.

Guido Peltzer: Eine weitere Möglichkeit ist ein achtsames Gespräch am Ende des Tages. Wir erzählen einem Menschen, was uns gerade wichtig ist. Der andere hört nur zu, ohne zu kommentieren oder zu sprechen. Dann tauschen wir die Rollen.

Auch Bewegung ist wichtig: eine halbe Stunde am Tag rasches Gehen oder Fahrradfahren, dazu Gymnastik oder Yoga, Taichi, Qigong. Das hilft dem gestressten Organismus aus der Alarmreaktion herauszugehen.

Christiane Peltzer: Wir können auch in der Natur, in einem Park zunächst bewusst schnell gehen, die Stressenergie rauslassen und stoßweise ausatmen. Dann das Gehen verlangsamen und so in die Stille gleiten, vielleicht einen Moment stehen bleiben, die Füße spüren und dem Atem folgen.

„Wir sollten uns nicht von Lehrern abhängig machen“

Es gibt einen großen spirituellen „Markt“ mit zahllosen Meditationslehrern, Gurus, auch schlechten, die andere ausnutzen wollen. Wie verhindert man, in Abhängigkeit zu geraten? Woran erkennt man gute Meditationslehrer, welche Qualifikation brauchen sie?

Guido Peltzer: Unser indischer Lehrer hat einmal 25 Merkmale aufgezählt, an denen man jemanden erkennt, der qualifiziert ist.

Christiane Peltzer: Das bezieht sich darauf, wie ein Mensch das meditative Bewusstsein in den Alltag bringen kann. Ich prüfe die Meditationslehrerin daraufhin, wie sie sich zu mir und anderen verhält. Lebt sie, was sie spricht, oder vermittelt sie nur eine Technik, die sie in sich nicht umgesetzt hat?

Guido Peltzer: Man sollte den gesunden Menschenverstand einschalten, auch wenn es um Dinge geht, die vom Denken nicht erfasst werden können. Das heißt auch zu prüfen, was gesagt wird.

Es ist hilfreich, sich nicht zu sehr zu binden und auf den Meditationslehrer zu fixieren. Trotzdem ist eine Begleitung von jemandem gut, der oder die mehr Erfahrung mit Meditation hat als ich.

Christiane Peltzer: Ein guter Lehrer betont immer, dass er frei ist und seine Schüler frei bleiben. Ich kann jederzeit kommen und gehen, der Unterricht ist an keine Bedingungen geknüpft. Das ist ein wichtiges Kriterium.

Wenn wir intensiv meditieren, wird vieles in uns hochgespült, wir sehen unschöne Aspekte von uns selbst, die normalerweise zugedeckt sind. Wie gehen wir damit um?

Christiane Peltzer: Zunächst kommen wir uns durch die Meditation näher und lernen uns besser kennen und das ist gut. Dann schauen wir: Was kommt hoch, und brauche ich bei der Bewältigung Unterstützung?

Kleinere Probleme lösen sich durch innere Erkenntnisprozesse von allein. Aber es gibt schwerere psychische Störungen, die sich durch Meditation nicht lösen lassen, zum Beispiel Erfahrungen von Gewalt oder sexuellem Missbrauch. Wenn Traumata durch die Meditation angetriggert werden, brauchen wir professionelle Hilfe.

Meditieren ist wie atmen

Wie lange meditieren Sie schon und was hat sich dadurch in Ihrem Leben verändert?

Christiane Peltzer: Ich habe Meditation kennengelernt, als ich 16 war – und zwar im Rahmen von Yoga. Über die Transzendentale Meditation (TM), Zen und Kontemplation bin ich zur indischen Tradition gekommen, die ich bis heute praktiziere.

Was sich klar verändert hat: Ich bin mehr im Moment. Ich habe keine Angst mehr, was ich in verschiedenen Lebenssituationen überprüfen konnte, u.a. als mir auf der Autobahn ein Geisterfahrer entgegen kam. (lacht) Es war keine Angst da. Ich mache mir wenig Sorgen um die Zukunft und vertraue darauf, dass aus jedem Moment der nächste Schritt sichtbar wird.

Mein Leben hat sich vereinfacht, ich spüre innere Freiheit und Unabhängigkeit, ich bin frei in meinen Handlungen. Ich kümmere mich weniger um Mode, was andere über mich denken, mir sagen, von mir wollen. Ich nehme es wahr, aber es bindet mich nicht.

Guido Peltzer: Mir ist die Meditation vor rund 30 Jahren durch Ulrich Hennings begegnet, der in der indischen Tradition verwurzelt war. 1994 sind wir auf eine lange Hochzeitsreise nach Indien gegangen. Wir waren ein Jahr unterwegs und trafen Swami Shyam in seinem Ashram in Kullu, den wir dann regelmäßig alle zwei Jahre besucht haben.

Ich habe von Haus aus eine hohe Angstbereitschaft. Das hat sich durch die Meditation gelegt, was mich sehr entlastet. Ich bin nicht mehr so nervös, nicht so beschleunigt, das Leben ist angenehmer geworden.

Meine psychotherapeutische Arbeit hat sich durch die Meditation weiterentwickelt. Ich glaube, dass ich präsenter und zugewandter bin. Dadurch geschehen die Veränderungen bei den Patienten leichter und gehen tiefer, vor allem dann, wenn sie selbst auch meditieren.

Könnten Sie sich ein Leben ohne Meditation vorstellen?

Christiane Peltzer: Nein, Meditation ist wie atmen. Es ist eine Haltung im Alltag geworden, die von mir nicht mehr zu trennen ist.

Guido Peltzer: Meditation wird zum Lebensinhalt. Sie ist der Raum, in dem alles stattfindet und mehr Spaß macht. Daher ist meine Devise: Wenn Sie meditieren, seien Sie freundlich zu sich. Es geht nicht darum, sich zu etwas zu zwingen oder Schmerzen auszuhalten, wie es manchmal gefordert wird. Es geht um Freude und ein tiefes Gefühl für Schönheit.

Dr. Guido Peltzer und Christiane Peltzer sind Ärzte für Psychotherapeutische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie, niedergelassen in eigener Praxis in Winsen und haben langjährige Meditationspraxis in der indischen Tradition. Sie leiten Workshops im Rahmen des Weisheitstrainings. Weitere Informationen auf www.parasamvit.de

Die beiden bieten auch Meditationskurse im Netzwerk ethik heute an. Mehr Infos

 

 



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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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