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Well-being Economy: Glück vor Wachstum

Gantas Vaiciulenas/ Unsplash
Gantas Vaiciulenas/ Unsplash

Island geht voran

Nach permanentem Wirtschaftswachstum zu streben ist nicht mehr zeitgemäß – dieser Gedanke bewegt Island derzeit. Deshalb orientiert sich das Land an der Well-Being Economy: In Politik und Haushaltsplanung sollen das Wohlbefinden der Bevölkerung und der Schutz der Natur Vorrang haben. Alles eine Frage des politischen Willens.

Die Ökonomie hadert mit dem Klimaschutz: Können wir echten Wohlstand schaffen, wenn wir ständig Rücksicht auf Mensch und Natur nehmen müssen? Doch sollte die Frage nicht viel mehr lauten: Wie können wir eine Ökonomie zulassen, die Wohlstand und Wohlergeben für Gegenspieler hält? In diesem Sinne keimt in Island derzeit eine neue Bewegung auf: die Well-being Economy.

Island ist bekannt für schräge Musik, heiße Quellen und atemberaubende Landschaften. Momentan macht die Insel mit einem neuen Wirtschaftsmodell auf sich aufmerksam.

Obwohl oder gerade, weil Island weniger Einwohner als Bochum hat, zettelt der Inselstaat eine Wirtschaftsrevolution an. Doch dafür steigen sie nicht säbelrasselnd auf die Barrikaden – es ist eine sanfte Revolution, die Glück und Zufriedenheit für alle schaffen möchte.

Statt auf das Brutto-Inlandsprodukt (BIP) zu schauen, also der Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen, die ein Land in einem Jahr erwirtschaftet, möchte Island unter der Führung von Premierministerin Katrin Jakobsdottir den Wohlstand auf andere Weise messen. In ihrem Ansatz geht es nicht um Geld, sondern um das kollektive Wohlergehen der Menschen und des Planeten. Der neue Index soll entsprechend mehr angeben als bloß das, was einen Preis hat. Während das BIP beispielsweise steigt, wenn ein Land seine Wälder rodet, um daraus Möbel zu bauen und diese zu verkaufen, taucht Care-Arbeit, also die Pflege von Älteren und Kindern kaum bis gar nicht im BIP auf.

Die Well-being Economy hat eine ganzheitliche Sicht auf den Fortschritt und schließt die Gesundheit, Bildung, soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit ein. Dieser Ansatz findet weltweit immer mehr Anhänger und bietet eine vielversprechende Alternative zu traditionellen Wachstumskonzepten.

Asiatische Vorreiter gehen glücklich voran

Doch Island ist keineswegs das erste Land, dass umdenkt. Das kleine asiatische Land Bhutan ermittelt seit Jahrzehnten neben der ökonomischen Wirtschaftsleistung des Landes vor allem auch den Gross National Happiness Index – einen Nationalen Glücksindex. Die Politik orientiert sich am Bruttonationalglück.

Anders als bei vielen internationalen Glücksvergleichen geht es hier nicht nur um ökonomisches Wohlergehen, etwa wie gut die Bildungschancen sind und wie viele Krankenhäuser es in der Nähe gibt.

In Bhutan gehen Staatsbeamte einmal im Jahr von Haus zu Haus und befragen die Bewohnerinnen und Bewohner, wie zufrieden sie mit ihren Beziehungen zu ihren Nachbarn sind, ob sie sich gut in die Gemeinschaft im Dorf integriert fühlen und ob sie sich allgemein glücklich fühlen.

Klar, auch in Bhutan sind die Menschen nicht durchgehend glücklich. Doch der entscheidende Punkt ist: Die Regierung fokussiert nicht auf das materielle Wohlergeben, sondern auf das subjektive Wohlbefinden. Kurz: Statt dem Warenglück ermitteln sie das wahre Glück.

Strenge Umweltgesetze und ein hohes Umweltbewusstsein

In Bhutan führen die Erhebungen oft zu handfesten Maßnahmen. So stehen mittlerweile weite Teile des Landes unter Naturschutz. Die isländische Variante holt den Fokus auf Mensch und Natur nun nach Europa.

Da die finanziellen Unterschiede in den meisten westlichen Ländern deutlich größer sind als in Bhutan, setzt sich die Well-being Economy gezielt für soziale Gerechtigkeit und Inklusion ein. Deshalb wollen die Anhänger dieser Bewegung umfangreiche Sozialschutzsysteme und Programme zur Unterstützung benachteiligter Gruppen schaffen.

Doch auch robuste Gesundheits- und Bildungssysteme sind den isländischen Umdenkern wichtig, sorgen sie doch für mehr Gerechtigkeit und ein höheres individuelles Wohlbefinden. Deshalb sollte der Staat vor allem in diese Bereiche investieren.

Schon längst hat sich Island verpflichtet, seine natürlichen Ressourcen nachhaltig zu nutzen und fast ausschließlich erneuerbare Energien zu verwenden. Strenge Umweltgesetze und ein hohes Bewusstsein für den Schutz der Natur sind fest in Politik und Gesellschaft verankert.

Diese nachhaltigen Praktiken tragen dazu bei, die natürlichen Ressourcen zu schonen und die Umwelt für zukünftige Generationen zu bewahren. Diese ökologische Verantwortung spiegelt die Erkenntnis wider, dass der Schutz der Umwelt nicht nur eine ökonomische Notwendigkeit, sondern auch ein ethisches Gebot ist.

Mehr als eine verklärte Utopie

Die Förderung der Gemeinschaft und der kulturellen Identität ist ein weiterer Eckpfeiler der Well-being Economy in Island. Deshalb ermuntert die Well-Being Economony auch zu gemeinschaftlichen Aktivitäten und kulturellen Veranstaltungen. Diese stärken den Zusammenhalt und dadurch auch die Lebensqualität.

Auch sollen die Traditionen gepflegt und zugleich kulturelle Vielfalt gefeiert werden. So wollen die Well-being-Ökonomen dem menschlichen Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit und kultureller Selbstbestimmung Rechnung tragen.

Die Well-being Economony findet seit ihrer Entstehung im Jahr 2000 immer mehr Anhänger. Mittlerweile pflegen Island, Schottland, Neuseeland, Wales, Finnland und Kanada die sogenannte Well-being Economy Governments Partnership (WEGo), eine internationale Partnerschaft für eine bessere Zukunft für alle.

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterstützt neben einigen Nicht-Regierungsorganisationen wie Oxfam oder dem Club of Rome die Idee eines grundlegenden wirtschaftlichen Umdenkens. Und wer weiß, vielleicht brechen sogar noch während der wirtschaftlich angespannten Lage schon bald zufriedenere Zeit in Europa an.

Ines Maria Eckermann machte einen Doktor in Philosophie. Nebenbei heuerte sie als freie Mitarbeiterin bei verschiedenen Medien an und engagiert sich im Umweltschutz.

 

 

 

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Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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