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Big Data und Big Business

Rommel Canlas/ shutterstock.com
Rommel Canlas/ shutterstock.com

Wird der Mensch abgeschafft?

Die IT-Giganten des Silicon Valley dehnen ihre Macht mit Hilfe von Internet und Technik aus. Big Data, das massenhafte Sammeln von Daten, ist nur der Anfang. Der Philosoph Christoph Quarch beschreibt in einer Artikelserie, wie mit Bio-Tech, Robotik und Künstlicher Intelligenz der Mensch, wie wir ihn kannten, abgeschafft zu werden droht.

 

Noch 25 Jahre, dann kommt die Unsterblichkeit. Zumindest wenn die Auguren im Silicon Valley Recht behalten. Denn für das Jahr 2040 verheißen sie die Überwindung der Schwelle von künstlicher und organischer Intelligenz – das heißt, wir werden dann unser Gehirn auf einen Computer hochloaden können und seinen Inhalt verewigen. Und nicht nur das. Wir selbst werden Knoten im World Wide Web, unser Gehirn wird unser PC, unser PC zu unserem Gehirn.

Vom Menschen, wie wir ihn kannten, wird jedenfalls nicht viel bleiben, wenn Cyborgs, Roboter und digital optimierte Wesen die Welt bevölkern, meint der Philosoph Christoph Quarch. In einer Artikel-Serie ordnet der Autor neueste technologische Entwicklungen ein. Und er erläutert, warum der Mensch vielleicht doch nicht so antiquiert ist, wie uns die Propagandisten des Transhumanismus glauben machen wollen. Der 1. Beitrag gibt eine Einführung ins Thema Big Data.

Digitale Überwachung

Wir kennen es als Internet – als das Netz. Ein Netz – das lohnt sich einen Augenblick lang zu bedenken – ist wesentlich eine Waffe. Ursprünglich dient es zum Töten. So das Spinnennetz, so das Fischernetz. Später erst wird es zum Fangnetz für fliegende Bälle oder entgleiste Skiläufer. Das Ziel: Man soll sich in ihm verstricken. Gilt das auch fürs Internet?

Das vielleicht nicht, doch steckt die Möglichkeit der Waffe auch in ihm. Und diese Möglichkeit wird Wirklichkeit. Denn ein globales Netz ist nicht irgendeine Waffe. Das Internet birgt die Gefahr, in einem Maße und auf eine Weise das Leben der Menschen zu beeinflussen und zu manipulieren, dass die Menschlichkeit dabei auf der Strecke bleibt.

Zu einer solchen Waffe wird es gegenwärtig von denen aufgerüstet, in deren Händen es sich befindet: den IT-Riesen des Silicon Valley und den mit ihnen kollaborierenden US-amerikanischen Eignern der Hardware des Netzes. Big Data ist das Stichwort – eine freundliche Umschreibung dafür, was wir gegenwärtig erleben: die totale digitale Überwachung.

Konzentration von Kapital, Intelligenz und Technik

Niemand sollte sich über die Macht täuschen, die heute im Silicon Valley akkumuliert ist. Mit Google, Apple, Facebook, kurz Google & Co – wie ich sie der Kürze halber nennen werde – ist eine Konzentration von Kapital, Intelligenz und technischer Macht entstanden, die ihresgleichen sucht.

Allein Google macht pro Jahr zwischen 45 und 50 Milliarden Euro Umsatz. Der Börsenwert des Unternehmens lag 2014 bei rund 250 Milliarden Euro. Diese Übermacht hat im Frühjahr des gleichen Jahres dazu geführt, dass mehrere Internet-Firmen bei EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia Klage gegen den IT-Giganten eingelegt haben. Der Vorwurf: Google versuche mit unfairen Methoden, kleine Firmen aus dem Markt zu drängen, um ungehemmt die Daten unseres Alltags zu sammeln.

Ja, wenn es nur das wäre! Die Marktmacht von Google reicht längst in das Feld der politischen Macht hinüber. Als im Februar 2010 drei Manager von Google (bzw. der Google-Tochter youtube) von einem italienischen Gericht zu Bewährungsstrafen verurteilt wurden, dauerte es nicht lange, da folgte durch ein Berufsgericht der endgültige Freispruch (1).

Seither reißen die Gerüchte nicht ab, dass womöglich ein Anruf aus der Konzernzentrale beim italienischen Justizministerium reichte, um dieses Urteil zu erwirken. Das mögliche Abschalten der Google-Dienste in Italien mit der Folge des Ausfalls von 80 Prozent der italienischen Mobiltelefone habe seine Wirkung nicht verfehlt.

Selbst wenn es nur ein Gerücht ist: Alle Gewalt, so will es scheinen, geht längst nicht mehr vom Volke aus, sondern vom IT-Konzern. Und wir dürfen sicher sein, dass es dabei oft um mehr geht als um die Freilassung von Managern. Nach einem Bericht des „Wall Street Journal“ hat Google so viel Zugang ins Weiße Haus wie kaum ein anderes Unternehmen (2).

Aufbau von Herrschaftsstrukturen

So oder so: Das Internet taugt zur Waffe: Man kann es für die Durchsetzung eigener Zwecke instrumentalisieren und mit ihm Herrschaftsstrukturen aufbauen. Das Ausmaße erahnen wir langsam – etwa wenn erkennbar wird, dass Nachrichtendienste wie die NSA ohne richterliche Genehmigung und ohne Verdacht massenhaft die Telefone und Computer ganz normaler Bürger überwachen oder wenn Netzanbieter die persönlichen Daten von Nutzern abschöpfen, um ihre Konsumgewohnheiten zu eruieren.

Wo solches geschieht, wird das Netz zu einem Gewaltmittel – denn Gewalt findet, wie Hannah Arendt lehrte, ihr Wesen darin, mittels effizienter Instrumente die eigenen Interessen gegen andere durchzusetzen. Und eben das geschieht dauernd, fortwährend und kaum verborgen Die Schaltzentrale liegt im Silicon Valley. Nach meinem Dafürhalten bei Apple und Google gleichermaßen. Lassen Sie mich einigen Indizien dafür nennen:

Apple kann mühelos über das iPhone jedes Gespräch von Ihnen abhören – auch wenn Ihr Gerät ausgeschaltet ist. Und natürlich kann Apple die solcherart gewonnenen Informationen auch speichern und auswerten. Immer größere und immer leistungsstärkere Rechner werden von den IT-Giganten rund um den Globus installiert, damit auch das letzte Molekül auf Erden irgendwann digital erfasst und kontrolliert werden kann.

Gegenwärtig schickt Google sich an, das Netz immer enger zu stricken – bis es kein Entrinnen mehr gibt. So arbeitet der Konzern parallel dazu fieberhaft daran, die Herrschaft über den internationalen Luftraum zu gewinnen. Nicht zufällig schluckte der Konzern im vergangenen Jahr den Drohnen-Hersteller Titan Aerospace (3). Es geht offiziell darum, fliegende Roboter für die Zustellung von Waren zu entwickeln (4). Doch nicht nur das.

2014 kursierte in den Medien, dass Google daran arbeite, sowohl eigene Satelliten in den Orbit zu schicken (5), als auch unbemannte Flugkörper in über 19.000 Meter Höhe kreisen zu lassen, mit deren Hilfe noch der letzte Winkel der Erde ausgespäht werden kann (6). Schon jetzt rühmt sich Google-Chef Eric Schmidt mit einer quasi göttlichen Allwissenheit: „Wir wissen, wo du bist. Wir wissen, wo du warst. Wir können mehr oder weniger wissen, was du gerade denkst.“ (7)

Big Data und die posthumane Welt

Aber das alles ist nur die Vorbereitung zum eigentlichen Angriff. Big Data schafft die Voraussetzungen, um in naher Zukunft mit Technologien aufzuwarten, die heute schon rudimentär zum Einsatz kommen und dieuns ahnen lassen, wohin die Reise geht: in die posthumane Welt – die Welt, in der es den Menschen, wie wir ihn bislang kannten, liebten und hassten, nicht mehr geben soll.

Die Welt, die von Wesen bevölkert wird, die sich der Mensch zu seinem Bilde schuf – die Welt der „besseren Menschen“, die freilich keine Menschen mehr, sondern Cyborgs sind. Es ist die Welt des Human-Enhancement – einer Bewegung, die mit Produkten und Technologie zu einer wunschgemäßen Optimierung menschlicher Fertigkeiten führen sollen.

Kein Zweifel kann daran bestehen, dass wir es hier mit Big Business zu tun haben. Denn die Aussicht auf gigantische neue Märkte treibt diese Anstrengungen voran. Neue Medizintechniken, die eine beträchtliche Erhöhung der
Lebenserwartung in Aussicht stellen, werden ebenso reißenden Absatz finden wie Roboter oder Cyborg-Technologien, die eine neue und vermutlich abschließende Welle der Rationalisierung klassischer Industriearbeit mit sich bringen und Arbeitsfelder wie das Gesundheits- oder Pflegewesen kolonialisieren werden.

Man muss kein Prophet sein, um zu prognostizieren, wer die Nutznießer dieser Entwicklungen sein werden: eben jene IT-Giganten des Silicon Valley – allen voran Google und Apple. So ist es nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, dass niemand sich der Macht von Google, Apple & Co wird entziehen können.

Die IT-Giganten des Silicon Valley sind die treibenden Kräfte einiger verstörenden Dynamiken, die alle auf den gleichen Zielpunkt zulaufen: die Abschaffung des Menschen. Die Rede ist von Bio-Tech, Human Enhancement, Robotik, Künstlicher Intelligenz und als Zusammenfassung alles dessen: Transhumanismus.

Christoph Quarch

Weitere Beiträge des Autors zum Thema: Die Macht der Künstlichen Intelligenz, Mit Biotech den neuen Menschen designen.

Quellenhinweise:

1 http://www.heise.de/newsticker/meldung/Youtube-Video-Google-Manager-in-Italien-endgueltig-freigesprochen-2069684.html

2 http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/netzwirtschaft/google/googles-lobbyisten-haben-im-weissen-haus-erfolg-13505625.html; http://www.wsj.com/articles/google-makes-most-of-close-ties-to-white-house-1427242076

3 http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/google-kauft-drohnen-hersteller-titan-aerospace-fuer-internetversorgung-a-964417.html

4 http://www.theatlantic.com/technology/archive/2014/08/inside-googles-secret-drone-delivery-program/379306/?single_page=true

5 http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/netzwirtschaft/google/google-baut-ein-internet-satellitennetz-12968391.html

6 http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/netzwirtschaft/google/die-technik-der-google-drohne-von-titan-aerospace-12896915.html

7 http://www.bild.de/geld/wirtschaft/google/ist-die-firma-gefaehrlicher-als-die-nsa-35358912.bild.html

 

Foto: Nomi Baumgartl

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Dr. phil. Christoph Quarch ist freischaffender Philosoph und Autor. Er lehrt an verschiedenen Hochschulen und veranstaltet philosophische Reisen, u.a. mit ZEIT-Reisen. www.christophquarch.de

 

 

 

 

 

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