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Wir verspielen unsere Freiheit

Welzer

Das neue Buch von Harald Welzer zur Digitalisierung

Der Soziologe Harald Welzer holt in seinem neuen Buch „Die smarte Diktatur“ zum Rundumschlag gegen die Digitalisierung aus. Wir beraubten uns unserer Freiheit, so die These, weil wir der Macht der Internetkonzerne nichts entgegenstellten. Doch sähe ein Welt ohne Smartphones besser aus?

Die Gefahren der Digitalisierung sind in vielen Büchern und von kompetenten, internetaffinen Autoren diskutiert worden. Der Soziologe Harald Welzer, nicht gerade ein Computerfreak, wagt in seinem neuen Essay die Vogelperspektive auf alles, was aus seiner Sicht mit dem Internet zusammenhängt: insbesondere Unfreiheit und selbst gewählte Unmündigkeit, Hyperkonsum, die Auswüchse des Kapitalismus und der Mangel an politischem Bewusstsein.

Manchmal kommt man als Leser nicht ganz mit. Das Buch ist ein Rundumschlag zu den großen Problemen unserer Zeit, die eins nach dem anderen in verschiedenen Kapiteln abgehandelt werden: die Verschwendung von Ressourcen und die Zerstörung der Umwelt, der Kapitalismus, die Flüchtlingskrise und der Terrorismus, die Krise der Demokratie und die mangelnde Wertschätzung für Freiheit und Menschenrechte, der maßlose Konsum und das außengesteuerte Selbst sowie die Macht der Internetkonzerne.

All das bringt Welzer irgendwie mit dem Internet in Verbindung. Wie die Zusammenhänge genau sind, das erschließt sich nicht immer, denn viele dieser Probleme gab es bereits vor der Digitalisierung. Die These ist, dass sich unsere Gesellschaft im Zuge der Digitalisierung radikal zum Negativen verändere, ohne dass uns das bewusst sei. Das Private verschwinde zunehmend – mit der Gefahr von Kontrolle, ja sogar Totalitarismus. Als Beleg führt der Autor auch denkwürdige Zitate von Konzernchefs aus dem Silicon Valley an, die von totalitären Phantasien und antidemokratischer Gesinnung zeugen.

Das Fatale aus Sicht des Soziologen: Niemand muss, wie etwa in einem Überwachungsstaat, all die Daten mühsam besorgen, sondern die Menschen geben freiwillig, unüberlegt und naiv Privates und Persönliches im Internet preis. Dies geschehe nicht nur über Facebook und Google, sondern vor allem auch durch das Smartphone, mit dem sich Menschen zum Beispiel orten lassen. Auch das Einkaufen im Internet prangert der Soziologe an – dadurch hinterließen wir Spuren und Daten. Am Ende, so Welzers Prognose, sei die Überwachung perfekt. Jeder könne „die Gestapo des anderen sein“.

Digitalisierung – die Wurzel allen Übels?

Als Leser bleibt man nach diesem düsteren Zukunftsszenario ratlos zurück. Ist die Digitalisierung nun die Wurzel allen Übels? Das Digitale und die Art, wie wir damit umgehen, könnte genauso auch Ausdruck (und nicht Ursache) der Krise sein: der mangelnden Achtsamkeit, des fehlenden Verantwortungsgefühls und Denkens und Fühlens in größeren Zusammenhängen.

Könnte man nicht auch eine geistige Krise diagnostizieren, ein Mangel an ethischem Bewusstsein, an innerer Orientierung? Und liegt hier nicht die Ursache für den Rückzug ins Private, das Betäuben mit exzessivem Konsum und Internetgebrauch? Sähe eine Welt ohne Smartphones besser aus? Gäbe es dann weniger Umweltzerstörung, weniger Gewalt, weniger Armut, weniger Konsum, mehr Freiheit, mehr Demokratie? Nach der Lektüre des Buches fängt die Diskussion eigentlich erst an.

Es ist Welzers Verdienst, mit diesem Buch die Schattenseiten deutlich aufzuzeigen und die Tatsache, dass das Internet keine Oase ist, sondern in Wechselwirkung zu all dem steht, was es im realen Leben an Problemen gibt. Wir müssen intensiv darüber nachdenken und diskutieren, wie wir weniger Ressourcen schonend nutzen, Konfliktmineralien vermeiden, unsere Freiheit und Privatsphäre um der Demokratie willen wahren, die Macht der Internetkonzerne eindämmen und Visionen für eine bessere Welt entwickeln. Insbesondere hier gibt Welzer wichtige Impulse, denn oftmals haben wir uns in der Komfortzone eingerichtet, ohne uns dafür zu interessieren, wie die drängenden Probleme unserer Zeit gelöst werden können.

Auch das Schlusskapitel gibt einige Anregungen, was wir der Macht des Digitalen entgegen setzen können: uns wieder mehr im realen Leben mit anderen zusammentun, Gemeinschaften bilden, Visionen für eine bessere Welt entwickeln und die ersten Schritte gehen. Das Buch ist eine Aufforderung, das eigene Verhalten in einem größeren Zusammenhang zu sehen und unsere Freiheit nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen.

Birgit Stratmann

Harald Welzer: Die smarte Diktatur. Der Angriff auf unsere Freiheit. S. Fischer, Frankfurt a. M. 2015; 320 S., 19,99 €, als E-Book 18,99 €

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