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Wozu meditieren?

Christof Spitz
Christof Spitz

Fred von Allmen: Buddhistische Perspektive

Wir Menschen heute erleben Stress, Leistungsdruck und sehnen uns nach einem ruhigen Leben. Es gibt viele Gründe, sich der Meditation zu widmen. Eine wird oft außer Acht gelassen: Den Geist zu befreien von alten Mustern der Wahrnehmung, des Denkens, Fühlens und Verhaltens, die dazu führen, dass wir uns selbst immer wieder inneres Leiden schaffen.
Achtsamkeit ist längst kein Fremdwort mehr und im Bildungs-, Arbeits- und Gesundheitswesen angekommen. Und wer täglich übt, dem zeigen sich die positiven Wirkungen. Es gibt aber tiefere Gründe, sich der Meditation zu widmen, wie es die spirituellen Traditionen des Ostens darlegen, aus denen heutige Formen der Achtsamkeit stammen: die Meditationen der Einsicht, die zu tieferer innerer Befreiung führen, sowie Meditationen, die ein integres ethisches Verhalten und mitfühlendes Engagement in der Welt hervorbringen.

Folgende Zielsetzungen für die Meditation kann es geben:

(1) Menschen interessieren sich für Meditation, wenn sie unter Stress oder Burnout leiden, sich niedergeschlagen fühlen, deprimiert sind oder einfach ihrer aktuellen Lebenssituation nicht mehr gewachsen sind. Sie suchen Unterstützung in einer körperlich oder seelisch schwierigen Lebenssituation und möchten wieder ganz, gesund und heil sein.

Das ist eine sinnvolle Zielsetzung. Hier bieten sich diverse Therapie-Methoden ebenso an wie meditative Zugänge, etwa Stressbewältigung durch Achtsamkeit (MBSR), Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie (MBCT). Achtsamkeits-bezogene Therapien und Meditationen können Erstaunliches leisten, sofern man bereit ist, Interesse, Bemühen und genügend Zeit aufzuwenden.

(2) Ein weiteres Ziel der Meditation kann es sein, einfach nur mehr Wohlbefinden zu erlangen und den Geist zu beruhigen. Meditation versetzt uns in die Lage, den Alltag besser zu bewältigen. Sie wirkt aufbauend und unterstützt uns darin, emotionales Gleichgewicht zu schaffen. Auch dies sind sehr gute Beweggründe, eine regelmäßige Meditationspraxis zu pflegen. Diese beiden Zielsetzungen (die therapeutische und die aufbauende) können, je nach Talent und Beharrlichkeit, zu äußerst heilsamen und erfreulichen Resultaten führen.

Die Interessen anderer ins Zentrum rücken

(3) Eine Zielsetzung, die darüber hinaus und tiefer geht, wäre eine spürbare Befreiung von schwierigen Emotionen – den täuschenden und quälenden Eigenschaften von Herz und Geist, die wir als Menschen in uns tragen. Denn wenn wir tiefer schauen, beginnen wir zu erkennen, dass es nicht nur äußere Probleme sind, die uns zu schaffen machen. Sondern es sind viel grundsätzlichere Tendenzen und Muster unserer Wahrnehmung, unseres Denkens, Fühlens und Verhaltens, die dazu führen, dass wir uns selbst immer wieder inneres Leiden schaffen.

Ziel der Meditation kann es sein, über die Heilung von spezifischen Problemen wie Stress, innere Unruhe hinaus, die tiefer liegenden, allen Menschen eigenen, hinderlichen, ja sogar destruktiven Tendenzen wie Ärger und Hass, Verlangen und Anhaften, Neid, und Dünkel zu erkennen, zu durchschauen und abzubauen.

Auch kann Meditation helfen, positive, heilsame Tendenzen wie Erkenntnis, Großzügigkeit, Güte und Mitgefühl zu kultivieren. Das eigentliche Ziel ist, größere innere Freiräume zu schaffen.

Hier beginnt das, was ich (in Ermangelung eines besseren Begriffs) eine ‘spirituelle Praxis‘ nenne. Hier beginnt der Praxisweg zu innerer Freiheit, zum Erwachen. Und dabei geht es nicht nur um Achtsamkeit oder Meditation, sondern um eine Praxis, die unser Leben viel umfas­sender beeinflusst, als dies eine gelegentliche oder selbst eine regelmäßige Meditation tun könnte.

(4) Darüber hinaus kann es das Ziel von Meditation sein, nicht nur mehr innere Freiheit zu erreichen, sondern die Interessen und das Wohlergehen anderer zunehmend ins Zentrum unseres Lebens und unseres Handelns zu stellen. Dies ist eine umfassende Zielsetzung und eine große Aufgabe, für die wir unser ganzes Sein, unser ganzes Leben einsetzen müssen. Auf diesem Weg können wir innere Freiheit und tiefe Verbundenheit mit anderen miteinander verbinden.

Ziele setzen ist wichtig, auch in der Meditation

Ich halte es für äußerst bedeutsam, dass wir uns in Bezug auf die Meditation Ziele setzen, wie wir das auch in anderen Lebensbereichen tun, und dass wir die gesetzten Ziele dann auch wirklich anstreben. Beryl Markham schreibt: „….kein Horizont ist so weit entfernt, dass du ihn nicht erreichen – oder über ihn hinausgehen kannst!“ (Beryl Markham, West with the Night)

Natürlich sind die eben beschriebenen Ziele nicht voneinander zu trennen, sie schließen sich nicht aus. Unserer Zielsetzungen und Motivationen fließen ineinander. Trotzdem stellt sich die Frage, was unser Schwerpunkt, was das Hauptziel und die Motivation unserer Meditationspraxis ist.

Fred von Allmen

Die Meditation ist auch Thema im Weisheitstrainings vom Netzwerk Ethik heute

 

 

 

 

 

 

Fred von Allmen ist Meditationslehrer. Er war einer der ersten Schweizer Lehrer der Vipassana-Meditation und hat das Meditationszentrum Beatenberg mitbegründet, Autor zahlreicher Bücher zur buddhistischen Praxis.

Weitere Beiträge zur Meditation von Fred von Allmen:

Die Meditation der Sammlung

Meditation und Einsicht

Ethik und Meditation

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