Online Magazin für Ethik und Achtsamkeit

Suche
Close this search box.

Coronapandemie: Ein kritischer Rückblick

Buch von Christian Drosten und Georg Mascolo

Im Buch „Alles überstanden?“ halten Prof. Christian Drosten und der Investigativjournalist Georg Mascolo kritisch Rückschau auf die Corona-Pandemie. Wichtige Themen wie die Corona-Maßnahmen, Schulschließungen und Impfpflicht werden bewertet und hinterfragt. Denn es ist wichtig, Lehren zu ziehen und vorbereitet zu sein, falls sich wieder eine Pandemie ereignet.

Im Falle des „Nie Dagewesenen“ – nämlich des hoch infektiösen und potenziell tödlichen Virus SARS-CoV-2 – waren Menschen wie der Buchautor Prof. Christian Drosten rar gesät: Es fehlten Wissenschafter, die die breite Bevölkerung verständlich aufklären konnten. Und solche, die die politische Spitze informieren. Zu seiner Motivation, gleich beide Aufgaben in Persona zu übernehmen, sagt Christian Drosten im Buch: „Es gab zur damaligen Zeit für verantwortungsvolle, sozial engagierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschafter eben einen altruistischen Grund zur Aufklärung der Bevölkerung.“

Auf der anderen Seite ist der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo. Er geht den Motiven von Politikern und Wissenschaftlern akribisch nach. Hier legt er immer wieder verschiedene Gradmesser an: etwa die Frage der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen – oder der strukturellen Demokratieferne politischer Gremien wie der Ministerpräsidentenkonferenz oder den Expertenrat der Kanzlerin, dem auch Drosten angehörte.

Die Schließung der Schulen war ein Fehler

Beiden Autoren zufolge seien zunächst, laut einer Initiative der britischen Royal Society, also der nationalen Wissenschaftsakademie in Großbritannien, fünf Maßnahmen besonders effektiv gewesen: die Ausgangssperren, die Versammlungsbeschränkungen, das Homeoffice im Arbeitsleben und das Maskentragen. Je qualitativ hochwertiger die Maske, umso wirkungsvoller der Schutz. Dabei habe sich ein freiwilliges Tragen weit weniger hilfreich erwiesen als ein verpflichtendes.

Zu den Schulschließungen gibt es ein gemischtes Urteil: Diese hätten sich als wirksam gezeigt. Allerdings hätte ein täglicher Antigentest an Schulen die Übertragung offenbar genauso wirksam gesenkt wie das Unterbinden aller Kontakte – mit all den Konsequenzen für die jungen Menschen.

Rückblickend urteilt Drosten: „All dies klammerte die negativen Effekte von Schulausfällen aus, genauso wie die Tatsache, dass Kinder weniger schwer erkrankten als Erwachsene.“ Hier bezieht Drosten klar Stellung gegen Maßnahmen, die in erster Linie die Familien und sozial Schwachen betrafen.

Häufig mussten sich zuerst die Familien und nachrangig das Arbeitsleben und die Wirtschaft einschränken. Es herrschte offenbar der Konsens, dass die Schulen dringend schließen sollten, damit „der Rest der Gesellschaft wie bisher weitermachen kann“, wird die Kultusministerin Stefanie Hubig zitiert.

Dilemma der Politik

Als Bürgerinnen und Bürger schafften es während des ersten Lockdowns viele Menschen, Solidarität zu zeigen. Es wurden Masken genäht, für andere eingekauft, gekocht, miteinander weiträumig spaziert, Ellenbogen statt Hände „geschüttelt“. Doch gesellschaftlich begann es auch bald zu rumoren, so die Autoren: „Es gab den Wunsch nach Lockerungen, das begann schon direkt nach Ostern 2020. Kanzlerin Angela Merkel kreierte dafür das seltsame Wort von den ‘Öffnungsdiskussionsorgien’“, erinnert sich Mascolo.

Dabei räumt Drosten ein, dass der Harvard-Epidemiologe Marc Lipsitch im April 2020 herausfand, dass der Sommereffekt die Coronaübertragung leider nur um 20 Prozent reduzierte: „Da dachte ich zum ersten Mal: Okay, (…) man wird wohl noch weitere Maßnahmen brauchen“.

Mascolo und Drosten sprechen hier vom politischen „Präventionsparadox“: Was durch kluge Prävention an Tod und schweren Erkrankungen verhindert wurde, sah im Winter 2020 nach den ersten Lockdowns kaum jemand. Erst, wenn viele Menschen sterben, wird ein Mangel an Prävention sichtbar. Dann würde die politische Führung auch folgerichtig stark kritisiert.

Auch stellen die Autoren klar: „In Mecklenburg-Vorpommern machten sich Einwohner auf die Suche nach Besitzern von Ferienwohnungen (…) und alarmierten anschließend die Polizei. Früh wurde also klar: Man kann Leben retten, aber auch Existenzen vernichten.“

Politische Fehler: Warum entscheidet nicht das Parlament?

Vielleicht kam die Politik aus diesem Grund nicht umhin, ihre Entscheidungsfindung frühzeitig abzuschirmen. Allerdings wurden das geschaffene Organ der „Erweiterten Ministerpräsidentenkonferenz“ (MPK) und diverse Kanzlerexpertenrunden später öffentlich als „demokratiefern“ kritisiert.

Das neu eingerichtete Gremium der MPK aus 20 führenden Politikerinnen und Politikern bestimmte über fast zwei Jahre das Geschick eines ganzen Landes, zeichnet Mascolo nach: „Andererseits war das demokratische Defizit – die Parlamente sind nun mal der zentrale Ort der Demokratie – sehr früh zu erkennen.“

Noch eins blieb intransparent: „Kein Tonband lief in diesen Beratungen, es wurde nicht einmal ein anständiges Protokoll geführt.“ Gerade dieser falsche Krisenmodus der Merkel-Regierung befeuerte letztlich wohl Misstrauen.

Drosten übt Kritik an Medien

In einem Kreuzverhör knöpfen sich die beiden Autoren auch ihre eigenen Berufssparten vor. Christian Drosten fordert, das die Medienwelt bei einer künftigen Pandemie nicht mehr „fortgesetzt für eine verharmlosende Berichterstattung“ sorgen sollte, etwa mit Berichten gegen Corona-Maßnahmen und Impfplicht. Auch habe die Berichterstattung den Ruf einiger Wissenschaftler öffentlich beschädigt.

Mascolo räumt ein, dass Selbstkritik in den Medien oft nicht ausreichend existiere. Ein hoher Pressestandard werde nur erreicht, wenn Betrügereien einzelner Medienvertreter nicht schweigend übergangen würden. Im Gegenzug fordert er jedoch von den Wissenschaftlern künftig homogenere und verständlichere Vorschläge.

Zudem kritisiert er zu umständliches Abwägen, denn: „Prävention macht auch dann Sinn, wenn es noch keine abschließende Evidenz gibt“. Hier führt Mascolo das wochenlange Zaudern der Wissenschaften an, ob Masken gut oder schlecht schützten.

Die Stärken und Schwächen des Buchs

Das Buch ist in weiten Teilen hervorragend, informativ und kritisch. Aber es gibt einige Schwächen. Lesende fragen sich bei der Aufarbeitung der Pandemie zuallererst: Wie viele Impftote und wie starke Impfnebenwirkungen hat es tatsächlich gegeben? Wie verhältnismäßig waren insbesondere die 2G-Regeln, die Zugang zu öffentlichen Gebäuden nur Geimpften und Genesenen erlaubten? Und wie viele hätten durch einen besseren Schlüssel bei den Pflegekräften vermieden werden können?

Das umstrittene Impfthema und die Pflegeproblematik werden jedoch nur am Rande gestreift. Eine Antwort wäre aus dem aktuellen Sachstand des Bulletins für Arzneimittelsicherheit (1) ersichtlich gewesen: Demnach bestand in 56.432 Fällen der Verdacht auf schwerwiegende Impffolgen (1,77 Verdachtsfälle auf 1000 Impfungen). In 1,98 Prozent der Verdachtsfälle verstarben die Geimpften in zeitlicher Nähe zur Impfung. Dies betrifft 3315 Fälle, von denen sich 127 klar aufgrund der Impfung ereignet haben könnten.

Dem gegenüber stehen 183.496 Menschen in Deutschland, die an oder mit Corona verstarben. (2) Eine neuere mathematische Modellierung von Forschenden des London Imperial College hatte weltweit ergeben, dass ohne Impfung weltweit 31,4 Millionen Tote erwartbar waren. Demnäch wären knapp 20 Millionen Tote vermutlich durch die Impfung verhindert worden. (3)

Dennoch hat das Buch Vorzeigecharakter. Insbesondere, weil es die Aufgabe übernimmt, die eigentlich die deutsche Politik übernehmen müsste : Bislang kam es aufgrund von Unstimmigkeiten in der Koalition noch immer nicht zur so notwendigen Pandemieauswertung.

Soll ein Bürgerrat die Perspektiven der Bevölkerung einbeziehen oder eine Enquete-Kommission Politiker und Sachverständige befragen oder eine Kommission aus Bundesrat und Bundestag gebildet werden?

Es wäre so wichtig, dass die Politik handelt. Das Buch ist eine gute Anregung für die Politik, endlich mit der Aufarbeitung der Corona-Pandemie zu beginnen. Denn es ist gut möglich, dass es nicht die einzige Pandemie gewesen sein wird, mit der die Menschheit konfrontiert war.

Maria Köpf

Christian Drosten, Georg Mascolo. Alles überstanden? Ein überfälliges Gespräch zu einer Pandemie, die nicht die letzte gewesen sein wird. Ullstein 2024, 272 Seiten.

Quellen:

(1) Auswertung des Paul-Ehrlich-Instituts zu Impfschäden durch COVID19-Impfung: Bulletin für Arzneimittelsicherheit Juni 2023, dort auf Seite 2 im PDF bzw. S. 13 im Bulletin.

(2) Corona in Zahlen: Statistische Werte für Deutschland.

(3) Wie viele Coronatote sind durch Impfungen verhindert worden: Modellierungen des London Imperial College Juni 2023.

Newsletter abonnieren

Sie erhalten Anregungen für die innere Entwicklung und gesellschaftliches Engagement. Wir informieren Sie auch über Veranstaltungen des Netzwerkes Ethik heute. Ca. 1 bis 2 Mal pro Monat.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare

Mehr zum Thema

Cover das-nomadische-jahrhundert

Migration im Zuge des Klimawandels

Lösungsansätze und Ermutigung zum Handeln In ihrem Buch untersucht die preisgekrönte Sachbuchautorin Gaia Vince, wie die Klimakrise Menschen zu Nomaden macht und wie Migration gelingen kann – vor allem durch mehr internationale Kooperation.
Cover Sandel, Vom Ende des Gemeinwohls

Woher kommt das Erstarken des Rechtspopulismus?

Eine Analyse des Philosophen Michael J. Sandel Die Rechstpopulisten haben Zulauf. Der Philosoph Michael J. Sandel sieht den Grund in der modernen Leistungsgesellschaft, in der es an Solidarität und Gemeinsinn fehlt. Eine moralische und politsche Erneuerung sei nötig, um die Demokratie zu stärken und den Rechtspopulismus zu stoppen.
aufbau Verlag

Gemeinsinn ist das Gegenteil von Egoismus

Buch von Ulrich Schnabel Wie wir Individualismus und Gemeinsinn in Balance bringen können, ist eine Schlüsselfrage unserer Zeit. Denn ohne Kooperation sind die drängenden Probleme nicht zu lösen. Ein erhellendes Buch, das viele Aspekte des Themas Gemeinsinn beleuchtet. Lehrreich, klug und lebensnah.
Cover Steve Heitzer, Hellwach

Durch das enge Tor des Augenblicks

Buch von Steve Heitzer Dem „Geheimnis des Lebens“ ist Steve Heitzer in seinem neuen Buch auf der Spur. Der Theologe und Achtsamkeitslehrer verbindet dazu persönliche Erfahrungen mit Perspektiven aus Religion und Mystik verschiedener Traditionen. Ein Beitrag zu einer zeitgemäßen Spiritualität.

Online-Abende: Kommen Sie mit uns ins Gespräch!

Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

Neueste Artikel

Kategorien