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Aus Liebe zur Erde handeln

Foto: Alexandra Zvekan
Foto: Alexandra Zvekan

Das bemerkenswerte Engagement der Zen-Meisterin Anna Gamma

Anna Gamma ist eine Zen-Meisterin, die täglich praktiziert und ihr spirituelles Wissen an andere weitergibt. Doch nur wenige kennen die andere Seite dieser starken charismatischen Frau: ihr soziales Engagement für Friedensprojekte auf der ganzen Welt – ob in den Slums auf den Philippinen oder in Israel und Palästina.

Ihre Spiritualität lebt Anna Gamma authentisch im Alltag. Sie beruht auf dem Wissen um die Verbundenheit aller Wesen. Sie ist Christin und Buddhistin und lebt in einer spirituellen Wohngemeinschaft. Selbst in der Küche beim Gemüseschneiden praktiziert sie Rituale des Verzeihens. Eine Trennung von Privat und Beruf existiert für sie nicht.

Eine ungewöhnliche Frau mit einem ungewöhnlichen Lebensweg: Die ehemalige Volksschullehrerin Anna Gamma wächst in einem kleinen Schweizer Dorf auf. Doch bald wird ihr die kleine Welt zu eng. Sie studiert Psychologie und Philosophie an der Universität Zürich, wo sie promoviert.

Der Weg zum Zen

Nicht nur die äußere Welt und die Aneignung von Wissen interessieren sie brennend, sondern spirituelle Wege, die in die Tiefe, in die Stille führen. Stille hat eine magische Anziehungskraft für eine Unerschrockene, die es wissen will, auch wenn der innere Weg der Selbstbegegnung oft genug radikal und steinig ist.

Der Beginn ihrer Zen-Praxis und ihres spirituellen Weges geht auf die Begegnung mit Pater Lassalle Ende der 1970er Jahre zurück, der als Pionier die Zen-Praxis in Deutschland nach dem Krieg etablierte. 2003 ernennen Pia Gyger Roshi und Niklaus Brantschen Roshi sie bereits zur Zen-Lehrerin und 2012 zur Meisterin.

Stetig geht es die Karriereleiter hinauf: Von 2003 bis 2014 leitet sie das Lassalle-Institut in Bad Schönbrunn mit den Schwerpunkten Leadership Training und Ethikforschung. Seit 2010 liegt der Schwerpunkt ihrer beruflichen Selbständigkeit auf Zen&Leadership in Trainings, Coachings und Beratung in Luzern. Dort leitet sie das Anna Gamma Institut Zen&Leadership und das Zen-Zentrum Offener Kreis Luzern. Neben all diesen Aufgaben ist sie seit Jahren in internationalen Friedensprojekten tätig.

Leitung von internationalen Friedensprojekten

Anna Gamma hat in ihrem Leben schon viele ihrer Träume verwirklicht. Jetzt spürt sie, dass sie älter wird und der Körper ihr Grenzen setzt. Trotzdem engagiert sie sich mit großem Elan für ihre Herzensprojekte in verschiedenen Ländern.

So unterstützt sie internationale Hilfsprojekte in Afrika, in Europa und auf den Philippinen. „Was mich glücklich macht, ist, dass ich Menschen und Projekte auf verschiedenen Kontinenten kenne, die Neues wagen, die aus Menschlichkeit und der Liebe zur Erde handeln, die lebendig sind und an innerem und äußerem Frieden arbeiten.“

Dieses Wissen schenkt ihr Hoffnung für eine Menschheit, die sich ihrer Ansicht nach in einer kritischen Phase befindet. Politische Verwerfungen in vielen Ländern, der Klimawandel und die unaufhaltsame Migrationsbewegung zählt sie zu den großen Herausforderungen der nächsten Jahre.

Was ihr Leben bestimmt? Ihre Berufung verbindet sie vor allem mit den Aufgaben im Katharina-Werk, einer ökumenischen Gemeinschaft mit interreligiöser Ausrichtung mit Sitz in Basel, in das sie 1979 eintrat. Ziele der spirituellen Gemeinschaft sind es, für das Wachstum von Einheit und Liebe in der Welt beizutragen.

Leben im Slum: „Die ärmste Schicht des Menschenkörpers“

Regelmäßig fährt sie in ehemalige Kriegsgebiete, um mit den Menschen vor Ort zu leben und ihnen vor allem zuzuhören. Es gibt für sie Strukturen, die krank machen, die Ausbeutung und Ungerechtigkeit begünstigen. Dagegen geht sie mit weitem Herzen an. Eine Offenbarung und Inspiration war für sie ein Friedensprojekt auf den Philippinen, das sie in den 90ger Jahren leitete. „Jedes Jahr habe ich dort eine gewisse Zeit in einer Hütte mitten im Slum gelebt. Der Ort und die Begegnung mit den Menschen, die in bitterer Armut leben, waren für mich große Lehrmeister.“

Am Anfang war ihr Tun noch ganz bestimmt vom „Kolonialisierungssyndrom“, nämlich genau zu wissen, wie Hilfe aussieht. „Aber das Wichtigste war am Ende, den Menschen zuzuhören, sie zu sehen und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen.“

Im Slum hat sie viel über das Wesen der Macht gelernt: „Wenn wir uns nicht in unsere Macht stellen, bestimmen andere über uns.“ Daher ermutigt sie, bewusst aus dem gängigen Opfer-Täter-Muster auszusteigen nach dem Motto: „Ich bin der Akteur in meinem eigenen Leben und bestimme mit, was in meinem Land, auf unserem Kontinent geschieht.“

Die zierliche, charmante und dennoch so mutig und resolut wirkende Anna Gamma ist sehr dankbar für diese lehrreiche Zeit und fährt nun seit 18 Jahren das erste Mal wieder auf die Philippinen. Dort wird sie ein Projekt initiieren, das sie zusammen mit ExpertInnen erarbeitet hat.

Viele Männer und Frauen wurden auf den Philippinen vor den Augen der Kinder getötet. Sozialarbeiter baten um Programme im Umgang mit diesen traumatisierten Kindern, Opfer des von Präsident Duterte zugelassenen Programms zur außergerichtlichen Tötung im Rahmen seines Drogenkriegs.

Tiefenarbeit für den Frieden: Reisen zu Konfliktherden

Anna Gamma weicht der Begegnung mit Krieg und Schmerz nicht aus. Stets geht sie an Belastungsgrenzen und in die Tiefe. Das Fundament dafür hat sie sich in jahrzehntelanger Praxis auf dem Meditationskissen geschaffen. Auch ihre Friedensbemühungen in Bosnien spiegeln das beeindruckende Engagement einer Grenzgängerin, die bewusst die Konfliktherde in Europa aufsucht.

„Bosnien ist das vergessene Land im Süden Europas.“ Sie reist mehrmals jährlich nach Bosnien zum Aufbau einer Zen-Gruppe, zur Heilungsarbeit und zur Unterstützung eines Genossenschaftsprojekts, das Kleinbauern die Möglichkeit gibt, ihre Überproduktion zu verkaufen.

Auch den Nahen Osten bereits sie regelmäßig und versucht, sich im Israel-Palästina-Konflikt für den Frieden zu engagieren. Im Kontakt mit Israelis und Palästinenser bestehe „die Kunst darin, eine neutrale Haltung gegenüber den Konfliktparteien zu bewahren, in der inneren Mitte zu bleiben und sich nicht mit einer Seite zu verbrüdern.“ Dies sei nicht immer so einfach. Das Wichtigste für die Menschen vor Ort sei das Versprechen, immer wieder zu kommen.

Im Herbst 2018 folgt sie einer Einladung nach Lettland. Das Land ist noch jung. Dort nimmt sie die untergründige Angst wahr, von Russland wieder vereinnahmt zu werden. Den Letten möchte sie die Zuversicht der Verbundenheit vermitteln: „Ich sehe, du bist nicht allein, wir sind ein Körper.“

Alle Projekte sind für sie Hoffnungsprojekte.

Stille ist mein tägliches Brot“

Die Frage ist, wie sie alle diese Aufgaben bewältigt. „Stille ist mein tägliches Brot, das Wasser meines Lebens, die Luft, die ich atme“, so die Antwort von Anna Gamma. Ihr soziales Engagement erwächst vor allem aus der Stille.

Wenn die vielbeschäftigte 68-jährige Zen-Meisterin und Leadership-Trainerin keine Termine hat, meditiert sie bis zu zwei Stunden täglich. Das gibt ihr die Kraft, aus der inneren Tiefe zu schöpfen und sich für Frieden und Versöhnung in aller Welt einzusetzen. Die Meditation hilft ihr auch, Schwierigkeiten zu klären und zu heilen. Meditation ist für sie wie ein Jungbrunnen, der nie zu sprudeln aufhört.

Wenn sie heute auf dem Sterbebett liegen würde, was würde sie jungen Menschen raten, um glücklich zu leben? Ihre Antwort: „Bleib dir selber treu. Höre auf deine innere Stimme und bringe die inneren Impulse, die du in dieser Verbundenheit vernimmst, in die Welt.“

Ethische Werte: zum Wohl der Menschheit

Ihre ethischen Werte lebt sie in einer Haltung, die dem Wohl und der Würde der Menschen dient. „Auch wenn das Bankkonto bescheiden ist, der innere Reichtum wächst, wenn Du ihn verschenkst“, so ihre tiefe Überzeugung. Besonders wichtig sind für sie das friedliche Zusammenleben über alle Verschiedenheit an Hautfarbe, Kultur und Geschlecht hinaus. Dafür setzt sie sich auch als Leiterin des Instituts ANNA GAMMA Zen&Leadership in Luzern ein.

Themen, für die sie sich in Zukunft noch engagieren möchte, sind vor allem die ausgleichende Partnerschaftlichkeit und Versöhnung unter den Geschlechtern. Über die Auseinandersetzung mit dem Thema Frau-sein ist ein neues Buch in Planung.

Nur ein Herzenswunsch ist für sie noch offen. Der Wunsch nach einem einfachen Rückzugort in einer Klause, wo sie ganz in die Stille und die Schönheit des Ortes eintauchen kann.

Michaela Doepke

Dr. Anna Gamma ist Zen Meisterin, Psychologin, Buchautorin und seit Jahren in internationalen Friedensprojekten tätig. Seit 2010 liegt der Schwerpunkt ihrer beruflichen Selbständigkeit auf Zen&Leadership in Trainings, Coaching und Beratung. Sie leitet das ANNA GAMMA Institut Zen&Leadership sowie das Zen Zentrum Offener Kreis in Luzern und ist Leiterin der Internationalen Sangha Offener Kreis. www.annagamma.ch,

www.zenzentrum-offenerkreis.ch

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