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„In der Kunst lasse ich mich von inneren Kräften überraschen“

Foto: Kreisfilm
Foto: Kreisfilm

Interview mit Robert Gwisdek alias Käptn Peng

Robert Gwisdek ist als Schauspieler und Musiker unter dem Namen Käptn Peng bekannt. Im Interview spricht er über seinen ersten Kinofilm „Der Junge, dem die Welt gehört“, die kreative und künstlerische Arbeit, die große Bedeutung der Poesie und über Filme als Spiegel des Menschen.

Anfang Mai 2024 kommt der erste Spielfilm von Robert Gwisdek in die Kinos: „Der Junge dem die Welt gehört“. Darin thematisiert er die Vielheit der inneren Landschaft und wie wir mit allen Anteilen in uns Frieden schließen können.

Das Gespräch führte Mike Kauschke

Warum hast du dich dem Medium Film zugewandt?

Gwisdek: Bei Käptn Peng ist mein Wunsch, über Wörter innere Bilder im Zuhörer zu erschaffen. Beim Film ist es andersherum. Bilder erschaffen innere Worte im Zuschauer. Hier kommt zuerst das Bild, das Wort ist zweitrangig. Das Bild, der Klang und der Rhythmus machen den Film. Deswegen war es schon immer mein Wunsch, auch den Film als Medium zu nutzen.

Wie war der kreative Prozess bei der Arbeit an dem Film?

Gwisdek: Es gab zauberhafte Unfälle, die uns dazu gezwungen haben, im Laufe des Prozesses ganz viel zu verändern. Wir haben eine Villa in Palermo gemietet, nachts darin geschlafen und tagsüber gedreht. Dadurch bekam der Film immer wieder neue Wendungen.

Es wurde viel improvisiert, aber anders als in anderen Filmen haben nicht die Schauspieler improvisiert, sondern ich als Regisseur. Ich habe nachts neue Texte geschrieben, Situationen verändert, Kamerafahrten gebaut – wie in einem Rausch. Ein halbes Jahr später kam ich zu diesem Material zurück und habe begonnen zu schneiden.

Ich habe mich von dem Film führen lassen.

Wie war deine Erfahrung als Regisseur in so einem dynamischen Prozess?

Gwisdek: Der Film funktionierte überhaupt nicht mehr nach dem ursprünglichen Drehbuch, sondern entfaltete eine ganz eigene Dynamik. Es war ein unfassbar aufregender Prozess des Selbstlesens. Das ist ähnlich wie bei Käptn Peng, wenn ich in eine Art Schreibrausch komme und erst im zweiten Schritt lese und wahrnehme, was darin verschlüsselt liegt.

Für diese Art, Filme zu machen, gibt es bekannte Beispiele. David Lynch zum Beispiel lässt sich von seinen Filmen führen. Er erlaubt seinem Unterbewusstsein, Entscheidungen zu treffen.

Diesen Raum muss man dem Unterbewusstsein aber auch geben und sich öffnen können. Dann jongliert man mit Kräften, die man nicht vollkommen unter Kontrolle hat. Diese Dynamik wird dann zum kreativen Prinzip.

In meiner Arbeit kombiniere ich das mit einer formalen Strenge. Eine klare Kamera, klares Timing, präzises Licht, klare Dialoge. In den Texten von Käptn Peng nutze ich präzise Reimstrukturen und technische Aspekte des Geschichtenerzählens, in die ich das Chaos einbette. Und in diesem strengen formalen Korsett möchte ich eine Impulsfreiheit haben. So entsteht im Idealfall ein Film, der ganz woanders hingreift.

Die verschiedenen Protagonisten zeigen Anteile der eigenen Person.

Der Film thematisiert die Wirkung des Unbewussten. Die Figuren bieten viel Raum für eigene Resonanz und Interpretation. Ist es dir mit dem Film ein Anliegen diese Beziehung mit dem Unbewussten spürbar zu machen?

Gwisdek: Ja, das ist eigentlich immer mein Wunsch. Beim Schreiben begegne ich Kräften, denen ich die Chance gebe, mich zu überraschen. Im Film führt das zu einem kathartischen Moment der Ichfindung. Am Ende ist man gar nicht mehr so sicher, ob es die Ichfindung des Hauptdarstellers ist oder eine ganz andere Ichfindung, die da stattfindet.

Es gibt eine Theorie beim Filmemachen, die großen Spaß macht. Man versucht den Film, den man schaut, nicht als eine Ansammlung von verschiedenen Figuren zu sehen, sondern man muss den ganzen Film als eine einzige Person verstehen. Und die Dinge, die darin passieren, als einen inneren Vorgang.

Plötzlich wird der normalste Actionfilm ein psychologisches Meisterwerk. Ein Spiegel des Menschen. Der Protagonist, der Antagonist, die Liebesgeschichte sind alle Anteile.

Im Film läuft alles auf einen kathartischen Moment der Heilung oder Integration dieser inneren Vielheit zu. War das so von Anfang an beabsichtigt?

Gwisdek: Mir war klar, dass ich eine Katharsis möchte, aber ich wusste nicht wie. Dieser kathartische Moment soll eine Stelle in deinem Unterbewusstsein berühren, wo du dich intuitiv orientieren musst. Du spürst Befreiung, das Ende eines Zyklus. Es kommt etwas zueinander, was zueinander gehört – aber du kannst nicht deinen Finger drauflegen und es klar benennen.

Filmszene aus “Der Junge, dem die Welt gehört”, Mai 2024, Foto: Kreisfilm

Ich muss akzeptieren, dass ich eine Vielheit bin.

Ist das der Effekt, den du bei den Leuten erreichen möchtest – dass sie mit diesen unbewussten Bildern und Energien in Resonanz gehen?

Gwisdek: Wenn man akzeptiert, dass man eine Vielheit ist, kann man viel besser zu sich finden, glaube ich. In mir gibt es eine Person, die konstant über das Publikum nachdenkt. Und es gibt einen Anteil in mir, der könnte nichts unwichtiger finden, als was das Publikum denkt.

Und die beiden streiten nicht miteinander, die sind einfach da. Diese beiden Personen sind exakt gleichwertig da und haben kein Problem miteinander. Ich weiß nicht, wie das funktioniert. Es ist ein Wunder.

Wir Menschen sind verrückt und so ist auch dieser Film verrückt. Es ist ein Liebesfilm für Verrückte, wenn du so willst. „Verrückte“ sind Menschen, die sich dessen gewahr sind, dass keiner von uns normal ist.

Warum ist es dir so wichtig, diese Vielheit darzustellen?

Gwisdek: Weil es der einzige Weg ist, um Konflikte zu verstehen. Wenn der Mensch in Konflikten gefangen ist und sich darin verknotet, hat es ganz viel damit zu tun, dass er glaubt, er müsste eine Person sein, die einem klaren Ziel, einem Wunsch, einer Nation, einer Religion folgt.

Ich glaube, zu akzeptieren, dass man eine Vielheit ist, ermöglicht erst, Frieden zu schließen mit vielen Dingen. In meinem eigenen Leben muss ich die ganze Zeit Frieden schließen zwischen den Polen, und ich fühle mich eigentlich nur in dieser Haltung wohl.

Sobald ich ein einzelner Pol oder eine Meinung bin, fühlt es sich falsch an. Sobald ich sage, „Auf dieser Seite stehe ich“, fühle ich mich nicht wohl. Ich bin wohl auf ewig der Kindergärtner meiner Psyche.

Poesie braucht Wahrheit.

Der Film thematisiert die Suche nach der Poesie. Diese Uneindeutigkeit, Vieldeutigkeit und eine assoziative Wirkung, ist eine Fähigkeit von poetischer Sprache. Ist das für dich eine Spur, die du in dem Film und deinen Texten erforschst?

Gwisdek: Ja, ich glaube, dass die Poesie als Symbol der größte Unterschied des Menschen zum Tier ist. Poesie verstehe ich hier sehr weit gefasst. Wissenschaft ist auch Poesie, weil du dafür Geschichten definierst. Du gibst den Dingen einen Namen.

Es ist poetisch, dass wir dem Objekt Stuhl den Klang „Stuhl“ zuordnen. Wir haben uns eine eigene Wissenschaft und damit auch eine eigene Poesie erfunden, die die Welt definiert, in Grenzen hält und damit auch neue Dinge gebären kann.

Wenn du den Dingen einen Namen gibst, kannst du Kräfte neu kombinieren. Du kannst ein Buch schreiben, da sind nur Zeichen drin. Und ein Mensch schaut sich die Zeichen an und fängt an zu weinen, weil man in der Geschichte eines anderen Menschen dessen Leben für ein paar Stunden erfahren kann.

Dieser Vorgang ist Poesie. Gleichzeitig ist die Poesie eine Falle für den Menschen, weil er vollkommen davon gefangen werden kann. Er baut sich eine Welt in der Welt. Dann bewegen wir uns nur noch in Abstraktheiten und erkennen nicht mehr unsere wesenhafte Natur.

Du meinst, dass wir in unseren eigenen Schöpfungen so gefangen sind, dass wir da nicht mehr rauskommen und den unmittelbaren Blick auf die Welt verlieren?

Gwisdek: Ja, deswegen sagt im Film die Figur Kasimir: „Poesie ist Gift, wenn sie nicht nach der Wahrheit greift.“ Das bedeutet für mich, dass zum Beispiel eine traumatisierte Person ihr Leben lang künstlerisch dieses Trauma in allen Formen und Farben zum Ausdruck bringen kann, ohne davon frei zu werden. Oder ein traumatisierter Mensch wird Manager und versucht seine Unsicherheiten durch Erfolg zu kompensieren, aber er schafft es niemals, darüber hinauszuschauen.

Er weiß nicht, dass es eine wesenshafte Ebene in uns gibt, in der er den Erfolg gar nicht bräuchte, um Sicherheit zu spüren. Auch der Künstler bräuchte nicht 100 Gedichte über Liebe schreiben, sondern es würde reichen, dass er eines schreibt, das stimmt. Denn eigentlich sucht er die Liebe und nicht das perfekte Liebesgedicht.

Robert Gwisdek, geb. 1984, hat die Schule abgebrochen und als Schauspieler gearbeitet, er ist Sänger und Texter der Band Käptn Peng und die Tentakel von Delphi, filmt, schreibt und schneidet Musikvideos und Kurzfilme, baut Möbel und übt das Üben. Er kommt aus Berlin, wandert aber viel. www.kreisfilm.de

www.kreismusik.de

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