Bericht vom 1. Barcamp des Netzwerks Ethik heute
„Die Zukunft beginnt jetzt“ lautete der Titel des Barcamps am 15. Februar 2020 in Hamburg. Rund 100 Teilnehmer haben mitgemacht, den gesamten Tag selbst gestaltet und ihre Themen auf die Agenda gesetzt. Ein Tag in Gemeinschaft und regem Austausch.
Fotos von Christof Spitz
Ein Barcamp ist ein Kongress, der sich in Echtzeit frei entwickelt. Dass es mehr sein kann als ein Veranstaltungsformat für Digital-Nerds, zeigte sich am 15. Februar 2020 in Hamburg. Unter dem Motto „Die Zukunft beginnt jetzt“ hatten das Netzwerk Ethik heute und das Buddhistische Stadtzentrum Hamburg zum Barcamp eingeladen – die meisten keine Social Media-Experten.
100 Menschen im Alter zwischen 25 und 75, vor allem mittleren Alters kamen zusammen, um sich einen Tag lang über die konstruktive Gestaltung unserer Zukunft auszutauschen. Klimaaktivisten, Pädagoginnen, Buddhisten, Anthroposophen, Demokratie-Engagierte, Freidenker und Naturschützer waren da.
Ein Konferenz in Eigenregie
Das Besondere an einem Barcamp ist, dass keine Referentinnen und Referenten eingeladen werden. Es ist eine Art Open Space-Format, die Agenda mit den Gruppensitzungen (Sessions) entwickelt sich zu Anfang des Tages frei. Darum spricht man auch von „Unkonferenzen“. Alle begegnen sich auf Augenhöhe. Es ist das ideale Format für das Netzwerk Ethik heute mit seinem Hauptanliegen, Menschen zu verbinden.
„Jeder Teilnehmer ist Mitgestalter und kann, ja soll sich einbringen“, so Moderatorin Eva Ihnenfeldt, die durch Gelassenheit, Klarheit und einer guten Portion Humor glänzte. Immer wieder ermunterte die Social Media-Expertin dazu, Sessions anzubieten.
Es gab fünf Räume und fünf Stunden Zeit – es konnten also insgesamt 25 Einheiten angeboten werden. Die Veranstalterinnen waren gespannt, ob das gelingt. Trauen sich genügend Teilnehmer, selbst etwas anzubieten?
Die Veranstaltung fand statt im Rudolf Steiner-Haus, das das Barcamp als Kooperationspartner unterstützt hat. Schon lange vor dem Start um 10.00 Uhr waren viele Teilnehmer vor Ort. Und es entwickelten sich bereits lebhafte Gespräche und inspirierende Ideen, bevor man darüber nachdenken konnte, worauf man sich hier eigentlich eingelassen hat.
Wie durch Zauberhand passt alles zusammen
Am Anfang stand die Keynote der buddhistischen Lehrerin und früheren Aktivisten der Studenten- und Frauenbewegung Dr. Sylvia Kolk vom Buddhistischen Stadtzentrum. Sie spannte den Bogen vom politischen Engagement zur persönlichen Entwicklung. Transformation könne nur gelingen, so Kolk, wenn beides in Wechselwirkung tritt. Sie endete mit einer Übung „Die Kunst des achtsamen Gesprächs“ . Wie treffend für diesen Anlass!
Die Sessionplanung ist der aufregndste Teil beim Barcamp. Hier entsteht das, was Eva Ihnenfeldt „das Wunder der Barcamp-Kultur“ nennt. „Es ist meistens so: Wie durch Zauberhand passen Sessiongeber und Sessionplätze genau zusammen. So war es auch hier: Von den 25 möglichen Zeitfenstern (je 50 Minuten) wurden 23 gefüllt.“
Innerhalb einer Stunde entstand die Tagesordnung, der Sessionplan für den Tag. Jede Sessiongeberin kam nach vorn und stellte ihren Vorschlag kurz vor. Das Themenspektrum war breit und spiegelte die vielfältigen Interessen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die Angebote reichten von der Solidarischen Landwirtschaft, Verteilungsgerechtigkeit und Klimakrise über Dialog nach Bohm und Meditation bis zu Bildungsthemen, Wohnen, Trauern und Sinn.
In einigen Workshops gab es Präsentationen, die vorher angefertigt wurden, in anderen saß man in einer Runde zusammen und diskutierte. Mal vermittelten Sessiongeber Wissen, z.B. über ethische Geldanlagen oder „Wege des Selbst“, mal brachten sie persönliche, teilweise existentielle Themen ein. Auch eigene Projekte konnten vorgestellt werden, z.B. Solidarische Landwirtschaft, Nachbarschaft Welt, Integrative Medizin.
Zwischen den Sessions und beim Mittagessen gingen die Gespräche munter weiter. Man konnte sich mit anderen vernetzen, neue Leute kennenlernen und viele haben wichtige Impulse mitgenommen.
Eva Ihnenfeldt war erstaunt, dass die digitale Vernetzung in Hamburg weniger wichtig war als der direkte Kontakt. „Barcamps kommen eigentlich aus dem digitalen Bereich und normalerweise wird zwischendurch getwittert und gechattet. Es war für mich das erste Mal, dass Barcamp-Teilnehmer so analog waren.“
Kultur des Zuhörens und der Herzenswärme
17.00 Uhr endete der Tag mit einer Abschlussrunde. Fast alle Teilnehmer waren zu diesem späten Zeitpunkt noch da und machten mit. Einige gaben feed back, zum Beispiel über den wohltuend wertschätzenden Umgang miteinander in den Sessions.
Die junge Melina, die sich u.a. Extinction Rebellion engagiert, endete in ihrem Statement mit dem Aufruf an alle, sich mit einzubringen in die „Fridays for Future“- oder „Extinction Rebellion-Bewegung“, um gemeinsam eine gute Zukunft zu gestalten.
Auf diesem Barcamp hat man gesehen: Es gibt schon hier, in diesem kleinen Rahmen, viele Initiativen von Menschen, die sich konkret engagieren für eine demokratische Gesellschaft, eine am Menschen orientierte Medizin, die Transformation zerstörerischer Systeme und die Gestaltung eines gesunden Planeten. Und es gibt die stillen Wegbereiter, die durch Meditation und Kontemplation den Boden bereiten für eine Welt, in der sich alle Menschen mit Wohlwollen begegnen. Viele sind auf beiden Feldern unterwegs: der inneren Arbeit und dem gesellschaftlichen Engagement.
Veranstaltungen wie diese machen es möglich, die Potentziale der Menschen zu heben und sich gleichzeitig für Neues und Anderes zu öffnen, das einem vielleicht fremd ist. Die Teilnehmer in Hamburg haben an diesem Tag gezeigt, dass eine lebenswerte Welt möglich ist, wenn die Kultur des Zuhörens, der Achtsamkeit und Herzenswärme praktiziert wird und wenn wir das, was wir wissen, in Handeln umsetzen. Auch für konkretes Handeln gab es viele Ideen und Anregungen.
Eva Ihnenfeldt, Moderatorin des Barcamps, schildert in ihrem Blog ihre Eindrücke vom Barcamp in Hamburg, zum Artikel