Was Hoffnung gibt in dieser Zeit
Was gibt Hoffnung in einer Zeit des Groben, der Aggression, Unversöhnlichkeit und schrillen Töne? Der Pädagoge Steve Heitzer empfindet Hoffnung in der Begegnung mit Kindern, die das Zarte dieser Welt verkörpern und Herz zeigen – allen Schwierigkeiten zum Trotz.
Am Jahresanfang bat eine pädagogische Fachzeitschrift um kurze Beiträge zu dem, was uns für 2024 Hoffnung macht – trotz der Krisen und Kriege. Eine gute Idee. Nur leider kamen keine Rückmeldungen. Von mir auch nicht. Ich brauchte viel länger zum Nachdenken, als uns die Deadline Zeit gab.
Doch just eine Begegnung mit Kindern gab den entscheidenden Impuls, der am Schreibtisch nicht zu finden war. Kürzlich besuchte ich nach längerer Zeit einmal wieder den Kindergarten, den ich vor bald 25 Jahren mitgegründet hatte. Und plötzlich war der Hoffnungsschimmer wieder zu greifen.
Dabei gab es überhaupt nichts Spektakuläres in den vier Stunden, wo ich dort war. Aber ich hatte Zeit, ein paar Kinder besser kennenzulernen, die ich noch kaum oder gar nicht in der Gruppe erlebt hatte. Es beeindruckt mich immer wieder, wie diese kleinen Menschen in ein für sie so völlig neues Umfeld gehen und dort ankommen.
Da ist Raphael, dessen Brüder ich schon kannte. Ein unwiderstehliches Lächeln, sein Spiel strahlt Sicherheit und Geborgenheit aus. Er baut mit großen Holzklötzen an einer Straße, an Brücken, an einer Bahn für die kleinen Autos.
Immer wieder gesellt sich jemand dazu, spielt kurz mit, aber über weite Strecken ist er für sich. Er hat keinen Stress, wenn welche dazukommen; und keinen, wenn sie sich wieder davon machen. Er bleibt bei sich, ist zufrieden und offen für den Kontakt mit anderen Kindern, auch mit mir.
Er kommentiert das eine oder andere, zeigt mir etwas, und manchmal gibt es so ein Schulterzucken und immer wieder dieses Lächeln.
Kinder lassen sich ein auf das, was ist
Da ist Alenka; sie kennt mich zwar schon ein bisschen, versteckt sich aber vor mir. Und wenn ihre Betreuerin aus dem Raum geht, geht sie lieber mit. Ich spreche sie kurz an, erinnere sie daran, dass wir uns schon mal gesehen haben und nenne ihr nochmal meinen Namen.
Sie scheint kaum Notiz davon zu nehmen. Aber es dauert nicht lange, bis sie allein in den Bewegungsraum kommt, in dem ich mit drei älteren Kindern am Boden sitze, die mich schon länger kennen. Sie will eine Höhle bauen in einem kleinen Unterschlupf unter der Verbindungstreppe zum Hauptraum.
Ich bin schon dabei, die Großen zu fragen, was eigentlich mit ihrer Höhle ist, für die sie alle Polster und Decken verwendet haben. Diese, so sagen sie mir, brauchen sie natürlich noch.
Alenka hat längst ihren eigenen Plan und denkt viel kleiner, als ich dachte. Sie organisiert sich ein Kissen und eine Decke von oben und beginnt, mit mir über ihr Vorhaben zu reden. Irgendwann landet sie in der Hängematte, die die Großen natürlich auch noch brauchen würden. Aber die Hängematte ist gerade frei und daran erinnere ich die Großen auch.
Alenka wehrt sich gegen erste Versuche eines größeren Mädchens, ihr die Hängematte streitig zu machen. Ich mische mich nicht zu schnell ein, weil die Auseinandersetzung nicht eskaliert und weil sich die Kleine erstaunlich gut behaupten kann.
Ein wenig später – die ältere Valentina machte wieder Druck, dass sie sie jetzt wieder brauchen würden – verlässt Alenka die Hängematte wieder, ohne dass ganz ersichtlich ist, warum. Ihre Kraft und ihr Selbstbewusstsein sind beeindruckend. Etwas später trifft sie mich im Hauptraum wieder, setzt sich zu mir in die Bücher-Ecke und versteht uns beide als Team: „Jetzt müssen wir wieder runter!“
An Herausforderungen wachsen
Was macht Hoffnung in einer Zeit der Krisen? Einer Zeit der Verteilungskämpfe, der Verluste, der Wut und Aggression, in einer Zeit der Grobiane?
Für mich ist es die Erfahrung des Zarten und des Zärtlichen, die es auch gibt. Die Erfahrung, dass es Kinder gibt, die Leben und Licht ausstrahlen in einer Zeit der Verdunkelung.
Kinder, die Kraft haben und sich einlassen können auf eine Gruppe von Menschen, die ganz verschieden sind. Aber auch Erwachsene stiften Hoffnung, wenn sie sich den inneren Frieden bewahren, sich nicht von Aggressionen anstecken lassen und nicht mit gleicher Münze heimzahlen. Menschen, die zu Tausenden gegen Rechts demonstrieren und sich gewaltlos für die Demokratie und gegen die Klima-Katastrophe engagieren, mutige Frauen im Iran und in Afganistan, couragierte junge Menschen bei uns, die Fragen haben und Fragen stellen, die nicht alles gleichgültig hinnehmen.
Es sind Menschen, die offen bleiben und etwas lernen wollen; die bereit sind zu wachsen – an Herausforderungen, Störungen, Schwierigkeiten. Menschen, die zärtlich bleiben und Herz zeigen – wie die Kinder es können.
Herz zeigen, wie Kinder es können
Der Kindergarten ist keine heile Welt; selbst mit dem besten Konzept und den fähigsten Pädagog:innen und mit den wohlwollendsten Eltern. Der Kindergarten ist wie ein kleines Abbild der Gesellschaft, auch der Konflikte und Spannungen.
Ich habe selbst oft genug die Erfahrung gemacht, wie viel Herz wir dort hineinstecken und wie viel Kraft wir verlieren konnten.Doch es gibt wahrlich zweifelhaftere Orte, an denen man Herz und Leben erschöpfen kann.
Kindern können so herausfordernd sein, grob und aggressiv, schon im nächsten Moment sind sie zärtlich und voller Liebe.
Alenka schob ihre kleine Hand in meine, als wir zufällig nebeneinander in der Küche standen. Valentina schenkte mir schon beim Kommen ein kleines „Kristall“-Herz in grün und rot.
Als ich mit meiner Kollegin später nach Hause fuhr, kamen wir noch kurz auf Aggression bei Kindern zu sprechen. Manchmal gehen Kinder in ihrer Wut auf uns los. Das lässt uns auch als Profis nicht kalt, und wir müssen aufpassen und lernen, dass wir nicht auf die Aggression einsteigen. Wie heilsam ist es für alle, wenn uns das gelingt!
Wir erkennen: Jedes grobe Verhalten von Kindern scheint ihre Antwort auf etwas zu sein, das sie gerade nicht verarbeiten können; auf Angst und Ohnmacht. Ich bin dankbar für den Hinweis meiner Kollegen, dass dies mit Sicherheit auch für die Grobiane in der Welt gilt. Und die Grobiane in uns selbst. Wie gut, wenn wir uns und andere mit viel Zartheit und Zärtlichkeit umgeben können.
Was habt ihr heute gemacht? Eine beliebte Frage von Eltern, wenn sie ihre Kinder abholen. Nichts Besonderes. Außer Hoffnung zu geben, dass das Zarte in der Welt bleibt.
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- Steve Heitzer ist Achtsamkeitslehrer, Seminar- und Retreatleiter und lebt in Österreich. Neben Achtsamkeit und Pädagogik ist einer seiner Schwerpunkte die interspirituelle Begegnung von moderner Achtsamkeitspraxis, zeitgenössischer Weisheitslehre und der Botschaft Jesu. Zu seiner Website