Ein Interview mit Buchautor Uwe Böschemeyer
Der Psychotherapeut Uwe Böschemeyer hat ein Buch über die destruktiven Kräfte in uns geschrieben, die uns und anderen das Leben erschweren. Er spricht im Interview über unsere Gegenspieler Rücksichtslosigkeit, Dumpfheit, Verharmlosung der Erderwärmung und wie wir Kräfte aktivieren, die stärker sind.
Das Gespräch führte Agnes Polewka
Frage: Sie haben ein Buch über den inneren Gegenspieler geschrieben. Haben Sie auch „eine dunkle Seite“?
Böschemeyer: Ja, sicher. Jeder Mensch hat eine „dunkle Seite“, auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist oder sie nicht wahrhaben will. Diese Seite gibt es, seit es Menschen gibt. Leider haben viele keinen oder einen nur unzureichenden Zugang zu dieser Tatsache.
Wie macht die Ihnen das Leben schwer?
Böschemeyer: Eine sehr persönliche Frage! Dass das Leben so unvollkommen ist, dass meine Mitmenschen so unvollkommen sind, dass vor allem ich selbst so unvollkommen bin. Dass auch ich oft genug das Sinnvolle will, aber das Gegenteil tue. Aber das Schwere dominiert nicht in meinem Leben.
Sie spielen auf die Leichtigkeit als Gegenpol an. Wie kommt es zum Spannungsfeld in unserer Seele?
Böschemeyer: Es gehört zu den größten Rätseln menschlichen Lebens, dass „zwei Seelen, ach, in unserer Brust wohnen“, um Goethe zu zitieren. Die eine will Frieden, die andere Störung, wenn nicht Zerstörung.
Davon sprechen die Märchen, die bekanntlich Erfahrungen unserer Seele widerspiegeln. Davon sprechen die Träume und Imaginationen, jene bewussten Wanderungen in die unbewusste Welt.
Unbewusste Aggressivität kann dazu führen, dass diese nach außen verlagert wird. Dann sieht man andere als aggressiv an.
Wo im Alltag lässt sich das beobachten?
Böschemeyer: Zum Beispiel und vor allem in den mitmenschlichen Beziehungen, etwa in der Egomanie, in der Rücksichtslosigkeit, im Übersehen der Not schwacher Zeitgenossen. Im Umgang der Menschen mit der Natur: in der Verharmlosung des Klimawandels, in der geistigen Dumpfheit.
Die Idee von der guten und der dunklen Seite einer Seele reicht bis in die Antike zurück. Wie haben die Menschen heute auf Ihr Buch reagiert?
Böschemeyer: Es handelt sich ja um keine bloße Idee, sondern um eine Tatsache, die so alt ist wie die Menschheit selbst. Die Reaktionen auf mein Buch über den Gegenspieler waren ernsthaft, interessiert und berührend. Die Seminare, die ich im Anschluss an die die Veröffentlichung anbot, waren bis auf den letzten Platz besetzt.
Interessieren die Menschen sich heute überhaupt noch für solche Vorstellungen von ihrem Innersten?
Böschemeyer: Mehr denn je, ohne dass sie es an die „große Glocke“ hängen. Die Menschen begreifen zunehmend, dass der Verstand nur zu den Rändern der Wirklichkeit Zugang hat, dass das Innerste, also das Unbewusste, weit mehr ist als ein Anhängsel des Bewusstseins.
Und es ist wichtig, sich damit zu beschäftigen, weil es unser Leben und unsere Beziehungen maßgeblich beeinflussen kann – etwa über Projektionen. Nicht wenige Menschen wissen inzwischen, was Projektionen sind und warum diese stören oder zerstörerisch wirken können: Unbewusste Aggressivität kann beispielsweise dazu führen, dass diese nach außen verlagert und anderen Menschen Aggressionen unterstellt werden. Zahllose Beziehungsstörungen gehen auf dieses „Konto“.
Gleichsam lohnt es sich noch in anderer Hinsicht, sich damit zu beschäftigen. Im Unbewussten warten unsere Potentiale auf ihre Entfaltung: das, was wir wirklich sind und sein wollen; zum Beispiel die Fähigkeit, mutig zu sein. Deshalb sprach der große Heidelberger Arzt Viktor von Weizsäcker vom „wartenden Leben“ in uns. Es geht auch darum, die Kräfte zu mobilisieren, die stärker sind als der Gegenspieler, etwa die Freiheit oder die Liebe zum Leben.
Wie verhält sich der „durchschnittliche“ innere Gegenspieler in Krisensituationen, etwa der aktuellen Pandemie?
Böschemeyer: Es gibt keinen „durchschnittlichen“ Gegenspieler. Er ist immer radikal in seinen Versuchen, Menschen zu entwerten, ihnen also das Gefühl für den Wert der eigenen Persönlichkeit zu nehmen, ihnen den Blick auf die Zukunft zu trüben, ihnen Hoffnung zu nehmen. Das gilt auch und sicher im Besonderen in Zeiten der aktuellen Pandemie.
Deshalb kommt alles darauf an, vor dem Virus und seinen Mutanten nicht die Augen zu verschließen, sie nicht auf „Anweisung“ des inneren Gegenspielers zu leugnen, sondern sich vor allem auf das auszurichten, was stärker ist als der Gegenspieler: Verantwortlichkeit, Liebe zum Leben oder Spiritualität.
Es geht darum, die Kräfte zu mobilisieren, die stärker sind als der Gegenspieler wie Freiheit oder die Liebe zum Leben.
Wie erkennt man ihn?
Böschemeyer: Zunächst ist wichtig, überhaupt zu wissen, dass es im Menschen eine solche negative, destruktive, gegen das Leben gerichtete Kraft gibt. Zur Veranschaulichung einige konkrete Beispiele:
Eine Frau weiß, dass sie mit dem Rauchen aufhören müsste. Sie sagt sogar: „Ich ekle mich inzwischen vor dem Rauch.“ Aber dann steckt sie sich die nächste Zigarette an… Oder: Ein Vierzigjähriger sagt: „Ich wusste, dass der Satz, den ich auf der Zunge hatte, die endgültige Trennung von meiner Partnerin zur Folge haben würde (,was ich überhaupt nicht wollte). Aber dann sagte ich ihn doch…“
Akte des Gegenspielers sind meines Erachtens auch zum Beispiel die laschen Bemühungen der Politiker, dem immer deutlicher werdenden Klimawandel konstruktiv zu begegnen. Es musste erst ein Teenager kommen, um die „Großen“ auf ihre Pflichten aufmerksam zu machen. Was hat das mit dem Gegenspieler zu tun? Er „sorgt“ dafür, dass die Vernunft das innere Brennen für unseren wunderbaren Planeten niederhält.
Wie hilft uns die Erkenntnis über den inneren Gegenspieler dabei, ein besseres Leben zu führen?
Böschemeyer: Die gefühlte Erkenntnis, dass „zwei Seelen, ach, in meiner Brust wohnen“, kann zum achtsamen Umgang mit unseren eigenen Gedanken, Gefühlen und Handlungen führen und dazu, das Beste aus uns herauszuholen. Selbstverständlich kann sich daraus ein anderer, freierer, freundlicherer Umgang auch mit anderen entwickeln.
Allerdings ist es für manche Menschen, die die Bedeutung und große zerstörerische Kraft ihres Gegenspielers erkannt haben, wichtig, sich zunächst therapeutisch begleiten zu lassen. Nach einer gewissen Zeit ist auch ihnen aller Erfahrung nach ein eigenständiger Umgang mit der inneren Welt möglich.
Welche Rolle spielt dieses Wissen in der täglichen Arbeit von Psychotherapeuten?
Böschemeyer: In meiner Arbeit eine wesentliche. Denn zu mir kommen viele Menschen, für die der Gegenspieler harte Realität ist. Ich bin ihnen behilflich, diese negative Macht kennenzulernen. Dann aber geht es im Besonderen darum, ihnen zu helfen, die Kräfte zu mobilisieren, die tatsächlich stärker sind als der Gegenspieler. Das sind die bereits erwähnten, gefühlten spezifisch menschlichen Werte, wie Freiheit, Verantwortlichkeit oder die Liebe zum Leben.
Prof. Dr. Uwe Böschemeyer, geboren 1939, Bestsellerautor und Psychotherapeut, hat bei Viktor Frankl studiert und mit dessen Zustimmung das erste deutsche Institut für Logotherapie gegründet. Er ist Rektor der Europäischen Akademie für Wertorientierte Persönlichkeitsbildung und Leiter des Instituts für Logotherapie und Existenzanalyse in Salzburg. Außerdem war er viele Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter des „Hamburger Abendblatts“. 2016 erhielt er die Ehrenprofessur für sein Werk durch das Dept. für Existentielle Psychotherapie und Logotherapie des Universitätsinstituts für Psychoanalyse Moskau.
Bücher von Uwe Böschemeyer
Der innere Gegenspieler. Wie man ihn findet und überwindet, Verlag Ecowin 2020
Von den hellen Farben der Seele. Wie wir lernen, aus uns selbst heraus zu leben, Verlag Ecowin 2019