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Die Kunst bringt uns ins Jetzt

Alternativtext
Die Welt im Nebel: Bild aus der Installation von Eliasson “Dein blinder Passagier” |
Studio Olafur Eliasson

Eliasson bringt Achtsamkeit und Kunst zusammen

Olafur Eliasson ist einer der weltweit bekanntesten Installationskünstler. Kunst wird bei ihm zum Erlebnis und katapultiert einen in die unmittelbare Gegenwart.
Das Zauberwort unserer Zeit ist Achtsamkeit, das heißt achtsam und wach für jeden Augenblick unseres Lebens zu sein und das Jetzt wirklich zu erleben. Jeder, der es schon ausprobiert hat, weiß, dass es nicht so einfach ist wie es sich anhört. Es gibt ein unerwartetes Mittel, das uns dabei helfen kann: die Kunst.
Dass Kunst einen wirklich aufwecken kann, beweisen viele Installationen zeitgenössischer Künstler. Einer davon ist Olafur Eliason. Er besitzt in einem alten Fabrikgebäude in Berlin ein riesiges Studio, in dem 40 bis 60 Mitarbeiter seine Entwürfe umsetzen.
Eliasson zählt zu den weltweit bekanntesten Installationskünstlern. Seine poetisch-radikalen Arbeiten sind oft von spektakulären Ausmaßen und binden Landschaft, Gebäude, Menschen zu einem Kunstwerk zusammen.
So installierte Eliasson zum Beispiel im Juni 2008 vier große künstliche Wasserfälle rund um die Südwestspitze Manhattans, sogar unter der Brooklyn Bridge. Geschätzte 13 Milliarden Liter Wasser stürzten 110 Tage lang von 7 Uhr morgens bis 22 Uhr abends von Gerüsten in den East River hinab und verwandelten die Stadtlandschaft in Naturlandschaft.
„Ein öffentlicher Raum wie die Wasserfläche um Manhattan, der so oft abgebildet wurde, reduziert sich auf eine zweidimensionale, repräsentative Wahrnehmung. Man sieht eher seine eigene Bild-Erinnerung als das tatsächliche Wasser. Mit den Wasserfällen versuche ich, wieder eine physische Dimension zu finden. Man sieht, wie das Wasser vom Wind getragen wird, man hört es und wird vielleicht sogar nass. So kann ich eine Beziehung herstellen zwischen dem Wasser in diesem Raum, den Menschen und der Infrastruktur“, erklärte Eliasson im Art Magazin (25.4.2008).

Aus dem Kunstbetrachter wird ein Kunstbenutzer

Wasser, Licht, Nebel, Wind: Mit diesen Naturphänomenen arbeitet Eliason und versucht aus dem Kunstbetrachter einen „Kunstbenutzer“ zu machen. Wer sich auf ein Kunstwerk von Eliasson einlässt, kann dadurch in der Gegenwart landen. Wer zum Beispiel 2011 seinen 90 Meter langen Tunnel im Arken, einem Museum für zeitgenössische Kunst in Ishøj, nahe Kopenhagen, betreten hat, dem dürfte das passiert sein.
Das Werk ist ‘Din blinde passager’ (Dein blinder Passagier) betitelt und ist ein Tunnel aus Sperrholz, den man durch eine einfache Holztür betreten kann. Sobald man einen Fuß ins Innere dieses Tunnels gesetzt hat, ist Gegenwart da. Denn die Welt, die Umgebung, in der man sich unvermutet befindet, hat man so nicht vorausahnen können.
Dichter, gelber Nebel umgibt einen, heftet sich sinnlich spürbar um einen herum und vor allem – er versperrt einem den Blick. Vor einem, hinter einem, um einen herum. Von einem Augenblick auf den nächsten ist man orientierungslos. So könnte sich Zweidimensionalität anfühlen oder das Gefühl, wenn man keinen physischen Körper mehr hat.

Unterwegs in einer unbekannten Welt

Ich bin hier unterwegs in einer Welt, die mir fremd und verschlossen ist. Nach und nach merke ich, dass auch andere Menschen mit mir im Tunnel unterwegs sind. Den Kontakt zu meiner Freundin, mit der ich durch die Tunneltür gegangen bin, habe ich in dem Moment verloren, als der Nebel mich einhüllte. Wo sie ist, weiß ich nicht. Rufen traue ich mich nicht, denn um mich herum sind schemenhafte Gestalten, die sich ebenso vorsichtig, unsicher und vor allem lautlos im selben Raum bewegen, ohne genau zu sehen oder zu wissen, wohin die Reise geht.
Langsam schreite ich voran, intuitiv erahne ich die Richtung, die vorwärts bedeutet. Wenn ich etwas zu schnell gehe, drückt der Nebel wie eine physische Barriere gegen meine Augen und ich sehe überhaupt nichts mehr. Wie aus dem Nichts tauchen dicht vor mir immer wieder fremde Personen auf und verschwinden wieder, lösen sich im Nebel auf. Ich spüre ihre Anwesenheit, kann aber keinen Kontakt mit ihnen aufnehmen. Wir nehmen einander zwar wahr, sehen uns aber nicht wirklich.
Ich stoße mit niemandem zusammen, alle bewegen wir uns vorsichtig, mit höchst geschärften Sinnen in elementarer Wachheit. Wir sind uns nah und doch sehr fern. Nach einer Weile verändert sich die Farbe des Nebels und wird strahlend purpurn, dann plötzlich ganz dunkel. Ich kann mich beim Vorwärtsgehen so gut wie überhaupt nicht mehr auf meine visuelle Wahrnehmung verlassen, muss andere Fähigkeiten aktivieren, denn natürlich sind nach wie vor die anderen Besucher um mich herum.
Schließlich hellt sich das Dunkel wieder auf, um einem sehr intensiven rot-orangem Nebel Platz zu machen. Sehr hell, leuchtend, aber ebenso undurchdringlich wie der gelbe Nebel vom Beginn. Mein Verstand hat aufgehört zu arbeiten, denn er hilft mir nicht weiter, meine Empathie mit der Umgebung ist auf 100 % hochgeschraubt, und mein Inneres ist leer.
Ich lenke in einer konzeptfreien Wachheit meine Schritte durch den orangeleuchtenden Nebel, spüre, dass andere Wesen um mich herum sind. Bin dankbar für ihre vage Gegenwart, fühle mich dadurch nicht gänzlich alleingelassen und in mir breitet sich ein Glück aus, das ich mit Nebelhänden greifen könnte, wenn nicht alles so merkwürdig transparent wäre.
Das gesamte System Mensch schaltet von Alltagsmodus um auf Gegenwart. Genau das will Elliason mit seinen Installationen erreichen: uns die Welt wieder ganz neu erfahrbar machen, uns Möglichkeiten geben, sie wieder frisch, mit neuen Augen zu sehen, und das Glücksgefühl aufladen, das entsteht, wenn man wirklich ganz im Augenblick präsent ist.
Andrea Liebers
Aktuelle Ausstellungen und Infos unter http://www.olafureliasson.net

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