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„Die Liebe Gottes richtet sich auf jedes Geschöpf“

Joshua J. Cotten/ Unsplash
Joshua J. Cotten/ Unsplash

Interview über christliche Tierethik

Gott ist Liebe und all seine Geschöpfe haben Würde, sagt die evangelische Theologin Anne Käfer. Sie spricht im Interview über christlich motivierten Naturschutz, warum die Natur Rechte braucht und über unsere Verantwortung, für die Mitwelt zu sorgen. Nur dann könnten auch die Menschen glücklich auf der Erde leben.

Das Gespräch führte Geseko von Lüpke

Frage: Inwieweit muss Kirche in Zeiten von Klimawandel und einem gigantischen Artensterben neu über Tierethik und Naturethik nachdenken?

Anne Käfer: Wir Christinnen und Christen sollten neu darüber nachdenken, weil der Umgang des Menschen mit seiner Mitwelt nie so schlimm war wie in den letzten 100 Jahren und hierfür gerade auch das Christentum verantwortlich gemacht wird.

Wir schauen aber offenbar nicht richtig hin?

Wer sehen will, der sieht Tiertransporte voller Schweine vor Schlachtbetrieben stehen. Die Tiere warten auf ihren Tod, weil Menschen meinen, sie müssten sich täglich von toten Tieren ernähren. Dabei bedenken sie nicht, welche Konsequenzen das hat.

Was wäre die christliche Sicht, die da greifen müsste?

Käfer: Laut christlicher Überzeugung hat der Schöpfer seine Schöpfung aus Liebe geschaffen und mit seiner Liebe gewürdigt. Uns Menschen erteilte er den Auftrag, die Mitgeschöpfe und den Nächsten zu lieben wie sich selbst.

Die Bibel suggeriert in der Paradieserzählung eigentlich die Utopie eines friedlichen Zusammenlebens aller Spezies. Ist dieses christliche Ideal tiefere Wurzel der gesamten christlichen Lehre?

Käfer: Im zweiten Buch der Genesis gibt es die Erzählung vom Garten Eden, in der Mensch und Tier als sehr unterschiedliche Kreaturen genannt sind. Dennoch wird ihr Zusammenleben in diesem Garten als friedlich vorgestellt.

Also erstmal keine Hierarchie und kein Fleischgenuss im Paradies?

Käfer: In Genesis 1, dem Schöpfungsgedicht gleich zu Beginn der Bibel, gibt Gott der Schöpfer den Menschen den Auftrag, sich nur von den Früchten der Bäume und von Pflanzen, zu ernähren – nicht von Tieren.

Die Tiere wiederum erhalten nur Gras und Kräuter zu Nahrung. Da ist eine Idealvorstellung formuliert und eine Utopie beschrieben. Denn es gibt Tiere, die ohne tierische Nahrung nicht überleben.

Ein Argument, das Gegner des Vegetarismus gerne verwenden …

Käfer: Ja, manche Menschen sagen: „Wenn Tiere andere Tiere essen dürfen, warum darf das nicht auch der Mensch?“ Aus ethischer Perspektive ist darauf zu antworten: Der Mensch hat das aus biologischen Gründen nicht nötig, wenn er über ausreichend Alternativprodukte verfügt, wie es bei uns heute der Fall ist. Wir in unseren geographischen Breiten können uns vegan ernähren und so auf Gewalt verzichten.

Der Mensch ist nicht die Krone der Schöpfung.

Welche Ratschläge finden wir in der Bibel für die ‚Bewahrung der Schöpfung‘?

Käfer: In Genesis 2 heißt es, dass der Mensch den Garten Eden bebauen und bewahren solle. Diese Rede wird gerne auf den gesamten Planeten Erde übertragen.

Daher rührt der Slogan, der die ‚Bewahrung der Schöpfung‘ fordert. Doch als solcher ist er Unsinn. Denn wenn man unter „Schöpfung“ Gottes ewiges und allmächtiges Schöpferhandeln versteht, dann können wir Menschen seine Schöpfung nicht ‚bewahren‘.

Das macht Gott schon ganz alleine. Wir Menschen können jedoch sehr wohl den Planeten Erde vor unserer Ausbeutung bewahren, und solch eine Bewahrung der Mitwelt tut not.

Folgen wir dem ‚Mitwelt‘-Begriff, impliziert er ja keine anthropozentrische Position des Menschen in der Schöpfung, sondern eine biozentrische, oder?

Käfer: Ich spreche von der Mitwelt, weil mit diesem Wort zum Ausdruck kommt, dass auch der Mensch nur ein Teil der Natur ist und ein Geschöpf neben anderen Geschöpfen, nicht aber die Krone der Schöpfung. Das Missverständnis vom Menschen als dem Nabel der Welt führt meines Erachtens leicht zu einer egoistischen anthropozentrischen Sicht auf alle anderen Geschöpfe.

Gott ist Liebe und jedes seiner Geschöpfe hat Würde.

Die Bibel fordert vom Menschen, sich die Natur ‚untertan‘ zu machen. Kann christliche Lehre da überhaupt Grundrechte für Natur und Tiere befürworten?

Käfer: Es ist sehr wichtig, die Bibeltexte historisch-kritisch zu lesen. Dann wird nicht übersehen, dass diese Aufforderung im ersten Buch der Genesis vor mehreren Jahrtausenden verfasst worden ist, also zu einer Zeit, in der die Menschen wilde Tiere fürchteten.

Auch gab es damals keine Massentierhaltung und keine industriebedingte Verschmutzung der Natur. Das biblische Gebot ist also keineswegs dahingehend zu deuten, dass wir heute die Mitwelt ausbeuten und zerstören sollten.

Vielmehr gilt es zu beachten, dass dieser Imperativ in einem Zusammenhang mit der Aufforderung zu veganer Ernährung steht. Überhaupt kann aus christlicher Sicht eine ausbeuterische Gewaltherrschaft nicht im Sinne Gottes sein.

Wie meinen Sie das?

Käfer: Gott hat sich im Kreuzestod Jesu Christi als zutiefst liebevoller Schöpfer gezeigt, der den Menschen zur Nächstenliebe erlöst. Wenn man dies vor Augen hat, ist ein wörtliches Verständnis der Anweisung: ‚Macht euch die Erde untertan‘ brutal.

Gott hat seine Schöpfung in Liebe geschaffen, auch jedes einzelne Mitgeschöpf. In seiner Ursprungs-Liebe gründet ein jedes Geschöpf. Und diese Gleichheit aller Geschöpfe in ihrer Würdigung durch Gott gilt es meines Erachtens als Leitmaßstab christlicher Mitweltethik zu denken.

Wie sehen Sie den Zusammenhang zwischen der Ebenbildlichkeit Gottes mit dem Menschen und einer ökologischen Spiritualität?

Käfer: Der Terminus ‚Gottebenbildlichkeit‘ ist nach Genesis 1 eher als Anspruch zu verstehen denn als Zuspruch. Also in diesem Sinne: Nutzt Euer Potenzial, seid verantwortungsvoll und geht ebenso liebevoll mit der Mitwelt um wie der Schöpfer.

Das sind natürlich ideale Aussagen. Ich bin mir sehr wohl darüber im Klaren, dass es auf diesem Planeten nicht einfach ist, stets liebevoll mit der Mitwelt umzugehen. Aber es schadet nichts, sich an diesem Ideal zu orientieren.

Wir sollten allen Kreaturen in Nächstenliebe begegnen.

Wird mit der Enzyklika Laudatio Si von Papst Franziskus eine kirchliche Entheiligung der Natur in den letzten 500 Jahren quasi widerrufen?

Käfer: Aus evangelischer Sicht erlaube ich mir da eine kurze Kritik an der Enzyklika Laudato Si. Sie enthält zwar wunderbare Stellen, die die Mitwelt sehr wertschätzend beschreiben. Aber es kommt auch immer wieder durch, dass der Mensch doch letztlich wichtiger sei als alle anderen Geschöpfe.

Was die Spezies Mensch den anderen Geschöpfen wohl voraushat, ist das Potenzial, vernünftig und verantwortungsbewusst zu handeln. Und eben dieses Potenzial sollte meines Erachtens zugunsten der Mitwelt genutzt werden. Dafür bedarf es keiner Heiligung der Natur, sondern schlicht einer Freude an Gewaltlosigkeit.

Brauchen wir Ihrer Meinung nach eine ‚ökologische Religion‘ oder ist das Christentum quasi schon eine ökologische Religion?

Käfer: Eher das Letztere. Ich verstehe den christlichen Glauben so, dass er der Glaube an den Schöpfer aller Kreaturen ist. Und daher sollten wir allen Kreaturen in Verantwortung und Nächstenliebe begegnen. Dazu helfen Rechte, die durchgesetzt werden müssen und nicht gebrochen werden dürfen.

Würden Sie dann sagen, dass aus einer modernen Interpretation eine ‚Würde der Natur‘ genauso angenommen werden kann wie eine ‚Würde des Menschen‘?

Käfer: Ja! Wenn man das Christusverständnis als Offenbarung der Liebe Gottes sieht – also erkennt, dass der Schöpfer, der sich da offenbart, pure Liebe ist – dann ist für jedes Geschöpf, für die Natur insgesamt unantastbare Würde nicht zu leugnen.

Und denken Sie also, dass aus christlicher Sicht auch Wälder, Flüsse, Täler Rechte erhalten sollten?

Bislang gilt, man sollte keine Flüsse verschmutzen und Tiere nicht quälen – aber im Konfliktfall und in der rechtlichen Abwägung hat dann doch das Bedürfnis von Menschen häufig mehr Gewicht als die Unversehrtheit der Mitwelt.

Wenn Tiere, Flüsse, Wälder, Täler nun aber Rechte hätten, würde man sagen können, dieses Tier oder dieser Wald hat ein Recht auf Unversehrtheit.

Im Konfliktfall könnten menschliche Stellvertreter:innen für die Natur Klage erheben und sagen: „Nein, dieser Wald ist zu schützen, denn er hat ein Recht darauf, hier zu stehen“.

Diese Idee ist ja nun nicht ganz neu. Christopher Stone hat 1972 bereits den gut durchdachten Vorschlag gemacht, auch Bäumen oder Landschaften Rechte zu geben.

Also müsste Kirche für die ‚Rechte der Natur‘ eintreten?

Käfer: Ja, die Kirche sollte für Rechte der Natur eintreten! Auch wir Menschen werden auf diesem Planeten nicht mehr glücklich werden, wenn wir uns nicht endlich verbindlich um unsere Mitgeschöpfe kümmern.

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Cover, Alber Theologie, Bd. 1 KÄFER, Anne (Evangelische Theologin, Prof. in Münster / Autorin: Gottes Werk und Fleisches Lust. Tierethische Erörterungen aus evangelisch-theologischer Sicht, 2024

Foto: Bruno Biermann

Anne Käfer ist evangelische Theologin und seit 2016 Professorin in Münster. Dort lehrt sie als Professorin für Systematische Theologie und ist zugleich Direktorin des Seminars für Reformierte Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der WWU Münster. Sie ist die Autorin des Buches: Gottes Werk und Fleisches Lust. Tierethische Erörterungen aus evangelisch-theologischer Sicht, 2024.

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