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Ein solidarischer Umgang mit Geld

A3pfamily/ Shutterstock
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Wie eine Finanzkooperative ihren Besitz teilt und Alternativen lebt

Zora und Jan leben in einer Finanzkooperative. Sie teilen ihren Besitz in einer Gruppe von 11 Menschen und besprechen regelmäßig, welche Ausgaben möglich sind. Im Interview sprechen sie über ihr ungewöhnliches Leben, gelebte Solidarität und das Gefühl, durchs Leben getragen zu werden.

Das Gespräch führte Mike Kauschke

Frage: Was ist eine Finanzkooperative und wie funktioniert sie?

Zora: Unsere Finanzkooperative besteht aus sieben Leuten plus vier Kindern; zu Beginn haben wir in einer WG zusammengelebt, heute leben alle ihr eigenes Leben an verschiedenen Orten. Wir teilen unsere Einnahmen und Ausgaben, greifen auf gemeinsame Konten zu, für die wir jeder eine EC-Karte haben.

Wir treffen uns alle sechs bis acht Wochen für ein Wochenende. Dann sprechen wir darüber, wie es uns gerade geht, was die persönlichen Themen, Projekte, Probleme, Sorgen, Wünsche und Bedürfnisse sind. Natürlich geht es dann irgendwann auch um Geld, aber im Mittelpunkt steht die Person und ihr Leben.

Jan: Wir reden auch viel über die politische Situation, wie den Umgang mit Corona, die Klimakrise und wie das ins Persönliche hineinreicht und in Beziehung steht zu bestimmten Konsumwünschen, z. B. der Frage, ob Flugreisen vertretbar sind. Und dabei geht es dann auch um Geld. Aber die Finanzkoop bedeutet viel mehr, als nur das Geld miteinander zu teilen, denn wir teilen einen gewissen Lebenskontext miteinander.

Woher kam der Impuls, mit einer Finanzkooperative zu beginnen?

Zora: Als wir in einer WG zusammengewohnt haben, wollten wir durch die Finanzkooperative unterschiedliche Lebenswirklichkeiten und Herkünfte auflösen. Dahinter stand auch ein politischer Anspruch. Wir kommen aus linken Zusammenhängen und kannten Menschen, die in Kommunen zusammenlebten und ihr Geld miteinander teilten. Das war ein Vorbild und wir haben dann gedacht, wir probieren es einfach mal aus.

Niemand von uns würde sagen: „Ich brauchen einen Porsche.“ Wir haben ein ähnliches Wertesystem.

Bei euren Treffen wird besprochen, wenn Leute irgendwelche Ausgaben machen wollen. Werden diese Wünsche dann erstmal geprüft oder gibt es da relativ viel Freiraum?

Jan: Wir sind erst mal wohlwollend, das ist die Grundlage unseres Zusammenlebens. Dahinter steht der Gedanke, dass uns alles, was wir tun, guttut und Spaß macht. Natürlich hinterfragen wir auch kritisch. Es ist aber sehr selten, dass ein Wunsch abgelehnt wird. Es gibt öfter Fälle, über die wir länger reden und bei denen auch nicht alle einer Meinung sind.

Ein Beispiel ist ein Wunsch, den ich hatte. Ich liebe große Tiere und wollte nach Spitzbergen fliegen, um Eisbären anzuschauen. So eine Reise finden viele total absurd. Aber wenn ich einen Eisbären gesehen hätte, was leider nicht passiert ist, wäre ich wahnsinnig glücklich gewesen.

Zora: Man muss sich bei uns nicht in allen Einzelheiten rechtfertigen. Es ist allen klar, dass so etwas wie Reisen eine hohe Priorität im Leben hat. Bei Flugreisen haben wir unterschiedliche Meinungen und ein Punktesystem entwickelt, mit dessen Hilfe die Entscheidung vom Einzelnen losgelöst wird und sich die Gruppe fragt:

Welcher Rahmen ist für uns ok? Wie finden wir eine Balance zwischen unserem privilegierten westlichen Lebensstil, der auch das Fliegen in ferne Regionen beinhaltet, und unserer ökologischen Verantwortung?

Manche Leute denken, in einer Finanzkooperative geht es darum, dass man jeden Kauf eines Handys, einer Hose oder Tasche rechtfertigen muss. Das ist natürlich nicht so. Es geht darum, wichtige Bedürfnisse voneinander kennenzulernen und sie offen anzusprechen.

Die Basis ist Wohlwollen, denn wir glauben, dass ein Mensch sich das nicht leichtfertig überlegt hat. Niemand bei uns würde einfach sagen: „Ich brauche einen Porsche“. Deshalb ist die Grundlage einer Finanzkooperative schon ein ähnliches Wertesystem, ohne dem würde es sicher nicht funktionieren.

Ich finde es gut, nicht zu viel über die Revolution zu reden, sondern einfach Alternativen zu leben.

Die Finanzkooperative bedeutet einen anderen Umgang mit dem eigenen Besitz, der ja bei euch geteilt wird. Wie seht ihr das?

Jan: Ich glaube, wir nehmen dem Kapitalismus die Schärfe. Natürlich haben wir Eigentum, wir kaufen und konsumieren Dinge, aber dadurch, dass wir das zusammen machen, relativiert sich einiges. Es herrscht nicht der Anspruch: Ich habe mein Geld verdient, ich kann mir das leisten. Stattdessen schauen wir zusammen: Können wir uns das leisten? Wollen wir uns das leisten? Brauchen wir das?

Zora: Wir besitzen auch Dinge und wir sind alle unterm Strich extrem privilegiert. Viele Menschen realisieren gar nicht, dass es ein riesiger Stressfaktor ist, allein oder in einer Zweierbeziehung mit Geld zu wirtschaften. Wie viele Ehen zerbrechen an Existenzängsten und wie viele Menschen haben solche Ängste? Wenn wir Existenzängste hätten, dann hätten wir sie immerhin zusammen. Das ist einfach ein sehr gutes Grundgefühl, weil es diese solidarische Gruppe gibt, die das trägt.

Wollt ihr mit eurem Projekt auch eine Art Alternative oder Utopie vorleben?

Jan: Ich finde es gut, nicht zu viel über die Revolution zu reden, sondern einfach Alternativen zu leben. Eine neue Welt ist im Kleinen möglich. Und wenn das so ist, spricht nichts dagegen, dass es auch im Großen möglich ist.

Deshalb sehe ich die Finanzkooperative als eine Revolution in Zeitlupe. Wir haben sicher auch den Wunsch, die Welt zu verbessern. Deshalb machen wir auch Lesungen und Veranstaltungen, um den Menschen zu zeigen, wie einfach es ist, solidarisch zu sein.

Zora: Bei unseren Veranstaltungen gibt es eine klassische Reaktion: Das ist toll, aber ich könnte das nicht. Damit macht man es sich aber zu leicht, finde ich. Wichtig ist, die die richtigen Leute um sich zu haben. Für eine Finanzkoop muss man in besonderen Maße beziehungsfähig sein. Es geht nicht, ohne viel miteinander zu sprechen, Empathie füreinander zu empfinden und ein Bewusstsein für die verschiedenen Kontexte und auch verschiedenen Machtstrukturen zu haben, in denen man groß geworden ist.

Es haben sich auch ein oder zwei weitere Finanzkooperativen durch unser Beispiel gegründet. Ganz losgelöst von uns gibt es gerade in der Klimabewegung einige Gruppen, die etwas Ähnliches machen. Die sind 15 Jahre jünger als wir.

Es ist keine große Bewegung, aber auch andere Leute scheinen die Idee zu haben, dass man den unterschiedlichen Einkommensverhältnissen und Herkunftsverhältnissen auf solidarische Art in einem überschaubaren Rahmen etwas entgegensetzen kann.

Es geht zuerst um den Menschen, dann kann man über Geld reden.

Wie verbindet ihr die Pflege eurer Beziehungen mit dem Sprechen über Geldfragen?

Jan: Bei unseren Treffen machen wir immer eine Eingangsrunde, in der jede und jeder berichtet, was in den letzten sechs Wochen passiert ist: Wie geht es mir? Was hat sich geändert? Dabei kommen alle zu Wort. Das Treffen hat für uns alle eine hohe Priorität. Meistens sind alle da. Uns verbindet so ein Gefühl, voneinander durchs Leben getragen zu werden, durch Auf und Ab und die Krisen, die jeder mal durchlebt.

Zora: Es ist in unserer Gesellschaft häufig tabu darüber zu sprechen, was man verdient oder aus welchem Elternhaus man kommt. Bei uns wissen wir voneinander, was wir verdienen.

Und wir sprechen auch viel darüber, wie wir aufgewachsen sind. War Zuhause das Geld immer knapp oder hatten wir im Überfluss? Das ist eine extreme Prägung, die unseren Blick auf die Welt mitbestimmt. Vor allem, weil mit Geld normalerweise eine soziale Wertung einhergeht: Wer wenig Geld hat, ist weniger wert.

Bei uns weiß jeder, was die anderen verdienen, dadurch erhält es eine ganz andere Wertigkeit. Ob ich wenig oder viel verdiene, ist mir egal, weil wir insgesamt genug haben. Das Geld gehört nicht nur mir, sondern wir haben ein gemeinsames Einkommen und können es teilen. Das nimmt den persönlichen Druck raus – und auch die Scham. Es geht also zuerst um den Menschen und dann kann man über Geld reden.

Redet ihr auch über die Zukunft der Finanzkooperative, z. B. ob ihr in Zukunft noch genug Geld haben werdet?

Zora: Am einfachsten wäre, wir bleiben immer zusammen. Das ist so ein klares Ziel. Wir versuchen einmal im Jahr einen Überblick zu haben, was unsere aktuellen Rentenansprüche wären, wenn alles so weiterläuft wie jetzt. Und ob noch ein Erbe und sonstige Einkünfte möglich sind.

Manche haben eine Arbeitsbiografie, durch die sie eine gewisse Rente bekommen, andere überhaupt nicht, sodass schon klar ist, dass es im Alter tendenziell knapper wird. Wir haben keine Geldanlagen im größeren Stil oder irgendwelche Renten-Töpfe. Wir wollen nicht den Kapitalismus unterstützen, deshalb wäre es absurd, wenn wir als Finanzkooperative Aktien kaufen würden.

Für manchen hört sich das vielleicht anstrengend an, sich alle sechs Wochen zu treffen und über alle Geldfragen miteinander zu reden. Wie ist das in eurer Erfahrung?

Jan: Es macht Spaß. Es ist nicht anstrengend und peinlich, sondern es ist einfach eine sehr bereichernde Gruppe. Die Finanzkooperative macht das Leben viel leichter. Wir empfangen und geben einander ständig neue Impulse. Aber jeder von uns wird auch immer wieder in Frage gestellt. Wir können uns nicht verkriechen.

Zora: Dahinter steht natürlich das Grundverständnis, dass das Private politisch ist, besser gesagt, es gibt das Private gar nicht. Es ist egal, was ich tue, ich bewege mich in der Welt. Wo ich einkaufe, was ich einkaufe, woher meine Kleider kommen – jede kleinste Entscheidung steht in Bezug zu einem großen Ganzen. Und genau das erkennen wir an und machen es zusammen.

Ich glaube, es würde vielen Leuten besser gehen, wenn sie diesem Beispiel folgen würden. Die Frage ist, ob die Menschen bereit sind, ihre Komfortzone zu verlassen.

 

Buchtipp: FC-Kollektiv, Nino Bulling (Illustratorin), Bini Adamczak. Finanzcoop oder ­Revolution in Zeitlupe – Von Menschen, die ihr Geld miteinander teilen

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