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“Vertrauen ist das Wichtigste”

Foto: Mirko Mielke
Foto: Mirko Mielke

Van Bo Le-Mentzel, Erfinder der “Hartz-IV-Möbel”

Van Bo Le-Mentzel hat die Hartz-IV-Designermöbel zum Selbstbau entwickelt und keinen Cent damit verdient. Zurzeit erarbeitet er Konzepte zum minimalistischen Wohnen. Er hat die 100-Euro-Wohnung und das Mini-Bauhaus konzipiert. Im Portrait des Unternehmers und Künstlers zeigt sich, wieso für ihn Vertrauen der wichtigste Wert in einem vernetzten Leben ist.

Van Bo Le-Mentzel ist gebürtiger Laote, Architekt, Ideengeber, „Karma-Ökonom“, Dozent, Utopist und vor allem eins: das wandelnde Vertrauen. „Nicht Geld, nicht Druck, sondern Vertrauen, holt aus dem Menschen das Beste heraus,“ ist die Überzeugung des 42-Jährigen.

Ein Leben ohne Vertrauen kennt Le-Mentzel ebenfalls aus eigener bitterer Erfahrung. 1991, da war er gerade 14, stirbt seine Mutter – ganz unerwartet an einem Schlaganfall. Zwei Jahre vorher hatte sie die Familie verlassen und sich für das Leben in einem buddhistischen Kloster entschieden. Van Bo hat von Anfang an ihre radikale Entscheidung mutig mitgetragen.

Der Verlust der Mutter reißt Van Bo Le-Mentzel aus seinem Leben und raubt ihm einen lebensnotwendigen Wert: Vertrauen. Und das hat weitreichende Folgen für die nächsten Jahre seines Lebens. Er ist in kreativen Bereichen wie Architektur, Rap-Musik und Graffiti-Kunst tätig, findet trotzdem nicht zu seiner Leidenschaft. „Alle beruflichen Entscheidungen, die ich nach dem Tod meiner Mutter unternommen habe, hatten ein einziges Ziel: Geld verdienen.“ Genau daran mangelte es jedoch immer.

„Ich habe dem Leben nicht vertraut, ich habe in dieser schweren Zeit mein Schicksal nicht angenommen“, erklärt Le-Mentzel. „Mein Geld habe ich meist mit Blutspenden verdient. Keines meiner Projekte, die zum Erfolg führen und sich rentieren sollten, hat jemals Profit gebracht.“

Ein Schlüsselerlebnis kam im Jahr 2010. Er lernte eine Frau kennen und verliebte sich in sie. Als er für sie ein Küchenregal aufhängen wollte, gelang dem studierten Architekten nicht einmal das. „In diesem Moment stellte sich mir die Sinnfrage: Wozu bin ich eigentlich auf dieser Welt?“

Neue Kraft durch schöpferische Arbeit

Aus Frust belegt Van Bo Le-Mentzel einen Tischlerkurs an der Volkshochschule, lässt sich von Mies Van de Rohe, Erich Dieckmann und Marcel Breuer inspirieren und baut an einem Wochenende einen Sessel. 24 Stunden und 24 Euro Kursgebühr verändern sein Leben.

Aus der schöpferischen Arbeit tankt er neue Kraft – es entsteht das Bedürfnis, diese Kraft zu teilen. Er entscheidet sich, den Bauplan kostenfrei online zu stellen. Doch wie findet er seine Zielgruppe – schwermütige, in eine Sackgasse geratene Menschen, wie er es war, und denen er Mut machen will?

Val Bo Le stellt fest: Menschen, denen es schlecht geht, googlen nicht „Bauplan Sessel“ und auch nicht „Volkshochschule Tischlerkurs“, sondern suchen nach „Hartz IV“. Wer Hartz IV googelt, steckt in der Sackgasse oder hat Angst hineinzurutschen. Das gilt nicht nur für Deutsche, sondern mittlerweile auch für Österreicher und Schweizer – obwohl dort gar kein Hartz IV, sondern eine Invalidenrente gezahlt wird.

„Hartz IV ist so etwas wie eine Marke für Depression“, sagt Le-Mentzel. So kommt er zum Namen seiner Serie: Hartz IV-Möbel. Der 24-Euro-Sessel ist nur der Anfang, es folgen der „Berliner Hocker“, der „Kreuzberg 36 Chair“ und zahlreiche weitere Einrichtungsgegenstände. Schnell verbreitet sich die Idee, und es bildet sich die Facebook-Gruppe „Konstruieren statt konsumieren“, in der seit 2010 über 21.000 Menschen neue Projekte entwickeln.

Dann berichten auch die Medien: zuerst die TAZ, dann Der Spiegel, Die Zeit und das Fernsehen. „Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass die weder mich noch meine Möbel so toll fanden. Ich hatte mit den Hartz IV-Möbeln den Nerv der Zeit getroffen: Gemeinschaft, Teilen, Open Source – das neue Denken fing 2010 ja gerade an.“

Weitermachen ohne Profitstreben

Was immer noch fehlte, war das Geld. Le-Mentzel war berühmt und gefragt, stellte in Museen aus, aber trotzdem immer pleite; seine Baupläne, standen ja kostenfrei zum Download bereit. Viele Geschäftsvarianten hat er sich überlegt – dazu gehörte es auch, einen Obolus für die Pläne zu nehmen, wenigstens einen Cent.

Doch keine davon hat ihn wirklich überzeugt. Bis er sich entschieden hat, ganz loszulassen und einfach weiterzumachen – und zwar ohne finanzielles Konzept und Profitstreben. „Ich habe mir das Vertrauen in das Leben wiedergeholt,“ erklärt Le-Mentzel und lässt los: von Plänen und Profitstreben, von „haben müssen“ und „haben wollen“. Und stellt fest: Nur wenn ich mir und anderen vertraue, kann mein Leben gelingen.

Die Lebensstrategie geht auf: Er beschäftigt sich mit der sogenannten Karma-Ökonomie – eine Wirtschaft, die nicht Absatz und Produktion in den Mittelpunkt stellt, sondern das Gemeinwohl und den Mehrwert für die Gesellschaft. Er lässt Karma-Chacks-Turnschuhe produzieren, fair und nach dem Design der populären All Stars-Schuhe von Converse.

In den nächsten Jahren gibt er das Buch heraus, stellt seine Möbel aus, gibt Workshops und Vorträge und setzt sich für soziale Projekte und Initiativen ein. Im 2014 generiert er unter dem Projektnamen #dScholarship über eine Crowdfunding-Plattform über 20.000 Euro für sich selbst und schafft sich damit sein eigenes Grundeinkommen. Dies verhilft ihm dazu, ein Jahr lang umsonst zu arbeiten.

Daraufhin nimmt er in Hamburg eine Gastprofessur an der Hochschule für Bildende Künste an. Da er über das Crowdfunding finanziell versorgt ist, verteilt er sein Professoren-Gehalt an die Studentinnen und Studenten. Allen gibt er gleich zu Beginn der Vorlesung die beste Note – als Vertrauensvorschuss. „Freiheit macht kreativ und holt aus den Menschen das beste heraus“, so Van Bos Botschaft.

Gegen den Immobilienwahnsinn

Sein neues Projekt ist die 100 Euro-Wohnung. Das 6,4 Quadratmeter große Tiny-House vereint einen privaten Schlaf-, Wohnbereich und Küche mit einer größeren Einheit, die gemeinschaftlich genutzt wird. Das Co-Being House, wie er es nennt, ist ein Beitrag, bezahlbaren Wohnraum in Großstädten zu schaffen und eine Kampfansage an steigende Mieten und Gentrifizierung. Die Miete des Tiny-Houses beträgt nur 100 Euro im Monat. Mit kleinen Wohneinheiten und dem Ausbau der Gemeinschaftsflächen soll so Menschen mit geringem Einkommen ein wertvolles Leben in der Stadt ermöglicht werden. Denn jeder Mensch sollte ein Anrecht darauf haben, in der Stadt zu wohnen.

Anlässlich des 100jährigen Bauhaus-Jubiläum hat Van Bo ein Mini-Bauhaus auf 15 Quadratmetern geschaffen. Die sogenannte „Wohnmaschine“ ist eine Zweiraumwohnung mit Bad und Küche – und soll nun auf Alltagstauglichkeit getestet werden.

Bei allem, was er tut, weiß Van Bo Le-Mentzel, dass seine Ideen oft einen provisorischen Charakter haben. Diese Herangehensweise nennt er „Beta-Working“, in Anlehnung an die Beta-Version von Software; sie ist noch im Entwicklungsstadium und wird nur zu Testzwecken veröffentlicht. So ähnlich versteht er seine Projekte. Sie sind ein erstes Angebot und sollen dann von der Crowd getestet und umgearbeitet werden.

Scheitern gehört für ihn dazu und ist ein Ansporn, das Geschaffene noch besser an die Bedürfnisse der Menschen anzupassen – und zwar in einem gemeinschaftlichen Prozess. In seinen Tätigkeiten beweist Van Bo: Vertrauen in sich und die Gemeinschaft erzeugt einen lebensfreudigen Flow und weckt die schlummernden Potenziale der Menschen. Seine vielfältigen Projekte werden von einer globalen Gemeinschaft über Social Media und Crowdfunding getragen.

Cristina Grovu

Weiterführende Links:

http://bauhauscampus.org/

http://hartzivmoebel.de/

https://www.youtube.com/watch?v=2an1Wl37z4o

https://de-de.facebook.com/buildmorebuyless

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Danke für diesen Beitrag. Ich verfolge die Aktivitäten von Van Bo Le Mentzel seit längerem. Er zeigt, wieviel neue und positive Energien und lebenswerte Zukunftsideen entstehen können, wenn Kreativität, Mitmenschlichkeit und Vertrauen ins Leben zusammen finden.

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