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Gibt es ein richtiges Leben im falschen?

Anna Demianenko/ Unsplash
Anna Demianenko/ Unsplash

Was ist richtig, was ist falsch?

Was sollen wir im Kleinen tun angesichts der großen Herausforderungen unserer Zeit? Die Philosophin Ina Schmidt ist überzeugt: Es gibt nicht immer die eindeutige Antwort, aber gute Gründe, um eine Richtung einzuschlagen, die sich dem Guten nähern will. Wer sich daran hält, der wird auch entsprechend handeln.

Dürfen wir uns in diesen Zeiten eigentlich noch ein gutes Leben wünschen oder halten wir es mit Adorno: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“? Den Urlaub in Südfrankreich mit einem Glas gekühltem Rosé in der Hand am Pool, während gleichzeitig die Wälder brennen und die Flüsse trockenfallen – geht das überhaupt? Mitten in der Energiekrise die Suche nach einer größeren Wohnung, wenn doch wirklich neue Lebenskonzepte her müssen, damit die Gesellschaft in eine tragfähige Zukunft aufbrechen kann?

Angesichts steigender Inflation Lebensmittel im Discounter kaufen, statt im Bioladen, damit das Geld für die Familie bis zum Monatsende reicht? Ein Wochenende im Grünen sein, während Krieg in Europa herrscht? Wie richten wir uns in einer Welt ein, in der wir so vieles falsch machen und doch nach dem Richtigen suchen, das unser Leben ins Lot bringen kann?

Auf diese Fragen, mit denen wir tagtäglich umzugehen versuchen, gelingt es nicht immer, eine richtige Antwort zu finden, auch weil wir manchmal schlicht nicht wissen, was genau richtig oder falsch sein sollte.

Manche Dinge sind ziemlich einfach: Fahrrad ist besser als Auto, aber schon bei der Ernährung wird es kompliziert: Wenn wir als Familie Geld sparen müssen, kann es dann besser sein, billiges Fleisch zu kaufen, statt teure Bioware? Oder ist weniger hier immer das Richtige?

Andere Fragen sind noch komplizierter. Ist es richtig, die Freiheit einzuschränken, um gleichzeitig für sie zu kämpfen? Wenn vielleicht auch nicht für die eigene? Soll man Frieden und Demokratie mit Waffenlieferungen sichern, und wenn nicht, warum nicht?

Wenn wir uns auf die Suche nach Antworten machen, gilt es auszuhalten, dass diese nicht schnell und einfach zu finden sind und Gegenpositionen zu erwarten, ja sogar fruchtbar sein können. Gleichzeitig gibt es Grenzen, die wir nicht verhandeln wollen. Schwebezustände, Unsicherheiten, Phasen des Übergangs kennzeichnen Veränderungsprozesse, die gerade in Krisenzeiten nicht selbst gewählt sind.

In welche Richtung wollen wir gehen?

Und doch ist in dieser Unsicherheit vieles möglich. Das Richtige ist dann eher eine Richtung, die uns den Weg weist, ohne das Ziel eindeutig vorzugeben. Dieses Richtige als das „Richtungsweisende“ können wir nur ausmachen, wenn wir auf das Gute hoffen wollen. Wir sind überzeugt, dass eine Wende zum Guten möglich sein kann, egal unter welchen Umständen.

Aber auch hier könnte man einwenden: Versteht nicht jeder und jede etwas anderes unter dem Guten? Es kann nicht darum gehen, das Gute für alle Zeiten universal zu bestimmen oder es als absoluten Wert für die eigene Selbstoptimierung zu nutzen, sondern im Sinne der antiken Griechen das ethisch Gute zur Richtlinie für das ganz konkrete tägliche Handeln zu machen.

Dann gilt es, zu fragen, welche Richtlinie wir wählen wollen: Ist das Gute etwas, das möglichst vielen Menschen nützt? Oder ist es das, was wir für moralisch richtig halten, auch wenn wir auf diese Weise auf manches verzichten müssen? Hier gilt es, weniger eine eindeutige Antwort zu finden, sondern eine eigene Haltung: Bin ich bereit zu verzichten, damit kommende Generationen oder Menschen am anderen Ende der Welt die Chance auf ein ebenso gutes Leben haben können, wie ich es habe?

Sich auf das Gute auszurichten hilft, die Dinge zu klären. Schon seit Platon gilt das das „Gute“ als das, was für unser Handeln ebenso richtungsweisend ist wie das Sonnenlicht für unser Sehen: Es weist den Weg, den nächsten Schritt, und verhindert, dass wir vollständig im Dunklen tappen, aber es zeigt nicht automatisch die endgültige Lösung auf, die wir uns vielleicht wünschen.

Also: Machen wir uns auf den Weg und beschäftigen uns wahrhaftig mit den drängenden persönlichen und gesellschaftlichen Fragen, drehen und wenden sie und übersetzen sie in Kontexte, in denen dringend Handlungsbedarf besteht: Für wen ist was gut, welche ethischen Leitlinien stehen miteinander im Konflikt, was können und was wollen wir uns leisten und wo ist es geboten, über Verzicht nachzudenken?

Etwas, das größer ist als das eigene Wohlbefinden

In dieser fragenden Herangehensweise liegt der Wunsch verborgen, Zusammenhänge zu verstehen, das eigene Handeln in einen größeren Kontext zu setzen und darin wirksam zu bleiben. Dies kann nur in kleinen Schritten gelingen – aber sich eben darauf einzulassen, ist bereits ein großer Schritt. Denn es zeigt, dass wir bereit sind, alte Gewohnheiten zu hinterfragen und uns für Neues zu öffnen.

Es braucht Mut, diesen Schritt in offene Fragen und unsichere Entwicklungen mitzugehen und es braucht ein „Wofür“, einen Grund, warum wir dieses Tun und jenes Lassen wollen.

Was aber ist ein guter Grund? Die Gründe unseres Handelns können sehr unterschiedlicher Natur sein, und doch braucht jedes überzeugende „Dafür“ ein vermittelbares „Warum“. Eine gute Begründung ist mehr als eine Behauptung oder ein seichter Sinnspruch, der uns auf unserer Kaffeetasse mit der Aufforderung begrüßt, das Gute im „Hier und Jetzt“ zu finden.

Ein guter Grund braucht die Verwurzelung in erworbenem Wissen, Erfahrungen und gesicherten Informationen, die in der eigenen Reflexion zu einer Position transformiert werden: Einer Position, für die wir uns einsetzen wollen, weil wir sie für gut halten. So kan man der alten Nachbarin Hilfe anbieten, sich für wohltätige Zwecke engagieren, geflüchtete Menschen unterstützen, weil wir in einer Welt leben wollen, in der sich Menschen gegenseitig helfen.

Darin kann der nicht uneigennützige Gedanken enthalten sein, dass uns auch irgendwann einmal geholfen wird. Aber wer etwas Gutes tun will, investiert nicht in einen möglichen Nutzen, sondern die Überzeugung, dass es richtig ist, so zu handeln.

So gelingt es vielleicht nicht immer, das Gute einwandfrei auszumachen oder jede Frage klar zu beantworten. Aber in der Suche nach guten Gründen für das, was wir tun, gelingt es ganz sicher, den einen oder anderen Stolperstein im Denken aus dem Weg zu räumen und eine Richtung einzuschlagen.

Die Richtung könnte sein, ein eigenes „Dafür“ zu finden, das größer ist als das eigene Wohlbefinden, ohne dass wir den Wunsch nach einem guten Leben aufgeben müssen. Und so reisen wir vielleicht im Urlaub wieder nach Südfrankreich, nehmen aber den Zug, fragen uns, wie viel Wohnraum wir wirklich brauchen und bestellen uns in der Buchhandlung um die Ecke ein vegetarisches Kochbuch.

Foto: privat

Dr. Ina Schmidt studierte Angewandte Kulturwissenschaften an der Universität Lüneburg, Forschung und Lehre am Institut für Philosophie sowie Promotion 2004. Gründung der denkraeume, einer Initiative zur Vermittlung philosophischer Praxis.

Autorin philosophischer Sachbücher für Erwachsene und Kinder, zuletzt erschienen „Die Kraft der Verantwortung. Über eine Haltung mit Zukunft“ in der Edition Körber (2021) und „Wo bitte geht´s zum guten Leben?“ im Carlsen Verlag (2022).

Ina Schmidt ist Mitglied der Internationalen Gesellschaft für philosophische Praxis, Teil des Ideenrates am Zentrum für gesellschaftlichen Fortschritt in Frankfurt. Außerdem arbeitet sie als Referentin für verschiedene Bildungseinrichtungen, u.a. in dem Projekt „Gedankenflieger“ am Hamburger Literaturhaus.

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