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„Im Sport dient Achtsamkeit der Leistungssteigerung“

Interview mit Darko Jekauc Ob im Fußball oder Tennis, einige Leistungssportler nutzen die Achtsamkeit. Sportpsychologe Darko Jekauc spricht im Interview über die Wirkungen der Achtsamkeit im Training und bei Wettkämpfen, wie der Tennisstar Novak Đoković Meditation integriert und warum Leistungssteigerung und Mitgefühl sich nicht ausschließen.

Interview mit Darko Jekauc

Ob im Fußball oder Tennis, einige Leistungssportler nutzen die Achtsamkeit. Sportpsychologe Darko Jekauc spricht im Interview über die Wirkungen der Achtsamkeit im Training und bei Wettkämpfen, wie der Tennisstar Novak Đoković Meditation integriert und warum Leistungssteigerung und Mitgefühl sich nicht ausschließen.

Darko Jekauc, früher selbst Leistungssportler, ist Professor für Sportpsychologie. Er hat mit seinem Kollegen Christoph Kittler, der auch den Fußballklub Union Berlin berät, ein Programm zur Achtsamkeit im Sport entwickelt und auch Studien zu dem Thema begleitet.

Das Gespräch führte Mike Kauschke

Wie sind Sie dazu gekommen, sich mit Achtsamkeit im Sport zu beschäftigen?

Jekauc: Ich war früher Leistungssportler im Tennis und habe schon früh festgestellt, dass dabei auch die psychologischen Aspekte wichtig sind, wie der Umgang mit Emotionen und die Konzentration.

Für den Erfolg ist Ehrgeiz natürlich wichtig, aber in manchen Situationen steht man sich damit selber im Weg. Vor allem in kritischen Situationen, wo wenige Aktionen das Match entscheiden und viel auf dem Spiel steht, braucht man einen klaren Kopf, um gelassen und ohne Angst zu agieren.

Ich hatte damals kein Rezept dafür, wie ich meine Emotionen in den Griff bekommen kann. Mit der Zeit habe ich intuitiv Strategien erarbeitet und erst vor etwa acht Jahren bin ich in einem Buch von Richard Davidson auf das Thema Achtsamkeit gestoßen.

Sein Ansatz hat mich begeistert und mir war sofort klar, dass man das auch im Sport anwenden könnte, weil es eine Antwort auf die Probleme eines typischen Leistungssportlers ist. Ich habe dann einen Kurs in MBSR besucht und war regelmäßig in einem Zen-buddhistischen Zentrum in Berlin.

Mit einigen interessierten Kollegen untersuchte ich, wie man Achtsamkeitspraktiken in den Sport übertragen kann. Wir haben ein Achtsamkeitstraining für den Sport konzipiert, das ich selber angewendet habe. Daraus ergaben sich Studien, die wir mit verschiedenen Gruppen durchgeführt haben. Am Anfang war es schwierig, die Menschen von diesem Thema zu überzeugen, aber jetzt wird es immer einfacher.

Welche Elemente haben Sie in dieses Achtsamkeitsprogramm aufgenommen?

Jekauc: Zum einen gehören dazu die klassischen Achtsamkeitsübungen wie die Konzentration auf den Atem, die Gedanken und die Emotionen, und man versucht, nur im Hier und Jetzt zu sein.

Der andere Teil ist das Erforschen der eigenen Werte, in mich hineinzugehen, um zu erfahren, was mir wichtig ist, woher meine Gedanken und Gefühle kommen. Dazu arbeiten wir mit einem Notizbuch, um aufzuschreiben, was mir durch den Kopf geht, in gewissem Sinne sich selbst zu analysieren.

Ein drittes Element besteht darin, den Alltag etwas anders zu gestalten, um mehr Freiräume zu finden, in denen sich Achtsamkeit entwickeln kann. Das ist besonders in Ruhephasen möglich.

Wenn man Auto fährt, muss man nicht unbedingt Radio hören, sondern kann ich auf das konzentrieren, was man tut. Auch bei der Arbeit kann man Mulitasking vermeiden und wirklich bei einer Sache bleiben. Die Mahlzeiten kann ich mit voller Konzentration einnehmen.

Beim Sport selbst binden wir Aspekte von Achtsamkeit mit in das Training ein und später auch in den Wettkampf. Aber es ist ein langer Weg, bis man davon profitieren kann.

Die Konzentration ist wie ein Muskel, der sich durch Training ausbilden kann.

Was haben Sie in Ihren Studien über die Wirkung von Achtsamkeit herausgefunden?

Jekauc: Wir haben eine experimentelle Studie mit Sportlern aus verschiedenen Sportarten durchgeführt. Dabei haben wir geschaut, wie sich die Fähigkeit zur Regulation der eigenen Emotionen verändert.

Wir haben die Gruppe, die Achtsamkeitsübungen genutzt hat, mit einer Gruppe verglichen, die herkömmliche sportpsychologische Ansätze wie Vorstellungstraining oder Steigerung des Selbstvertrauens verwendet hat.

Foto: privat

Dabei konnten wir feststellen, dass die Teilnehmer, die regelmäßig Achtsamkeitstraining praktiziert haben, mehr adaptive Strategien der Emotionsregulierung anwenden wie Akzeptanz und weniger maladaptive wie Unterdrückung der Emotionen. Es ergaben sich signifikante Unterschiede und wir haben die Ergebnisse in der Zeitschrift für Sportpsychologie veröffentlicht.

In einer zweiten Studie haben wir untersucht, inwieweit sich bei Jugendlichen die Achtsamkeitsübung auf die Konzentrationsleistung auswirkt. Bei diesen Jugendlichen aus einem Sportlergymnasium in Berlin hat sich die Konzentrationsfähigkeit deutlich gesteigert im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne Achtsamkeitsübungen. In vielen Sportarten sind sowohl Konzentration als auch Emotionsregulation sehr wichtig.

Welcher Aspekt Ihres Programms empfinden Sie als den wirksamsten? Ist es die Achtsamkeitsübung selbst, die Reflektion oder die Achtsamkeit im Alltag? Oder wie wirken diese zusammen?

Jekauc: Die Meditationsübungen haben sicher den stärksten Effekt auf die Konzentration. Wenn ich konzentriert eine Atemübung praktiziere, wird sich die Konzentration verbessern. Die Konzentration ist wie ein Muskel, der sich durch Training ausbilden kann.

Durch Selbsterkenntnis und das Bewusstmachen der eigenen Werte kann ich emotionaler Zustände besser verstehen und muss sie nicht problematisieren. Beide sind wichtig und ergänzen einander. Man kann Achtsamkeitsübungen auch nutzen, um eigene Emotionen zu erforschen, aber der Weg dahin ist sehr lang.

Emotionen sind meistens sehr stark, man wird mitgerissen und kann sich in den Emotionen verlieren. Dann ist man nicht mehr achtsam, sondern driftet ab. Durch den Achtsamkeitskurs kann etwas angestoßen werden, aber die Früchte auch in Bezug auf die sportliche Leistungsfähigkeit erntet man erst nach jahrelanger Übung.

Für Novak Đoković ist Achtsamkeit so wichtig wie das Konditionstraining.

Wie sehen Sie die Verbindung von Achtsamkeit und Flow-Zuständen? Also eine Wirkung nicht nur auf die Leistung, sondern auch auf die Selbstwahrnehmung beim Sport. Unterstützen achtsamkeitsbasierte Praktiken solche Flow-Zustände? Warum sind diese Zustände für Sportler erstrebenswert?

Jekauc: Flow und Achtsamkeit sind sehr verwandte psychische Zustände. Im Flow ist man auch im Hier und Jetzt und man geht in der Tätigkeit auf. Auch bei der Achtsamkeit geht es darum, im Hier und Jetzt zu verweilen und auf das konzentriert zu bleiben, was man gerade tut.

Wenn man im Hier und Jetzt verweilt, ist man auch konzentrierter und erbringt möglicherweise auch bessere Leistungen, weil man nicht so abgelenkt ist. Flow und Achtsamkeit werden emotional als positiv erlebt und wirken sich längerfristig auf die Motivation aus.

Flow-Zustände sind ziemlich unkontrollierbar. Achtsamkeit kann man trainieren und bewusst herbeiführen. Wenn man regelmäßig Achtsamkeit trainiert, steigt die Wahrscheinlichkeit von Flow-Zuständen. Im Sport gibt es viele Berichte darüber, dass Flow die Leistung steigert, weil es kaum innere Widerstände gibt. Es gibt weniger Ängste, etwas nicht zu schaffen. Man setzt das eigene Potenzial um.

Auch bei der Achtsamkeit kann man störende Gedanken und Gefühle besser überwinden. Ich sehe Achtsamkeit als ein Kontinuum und ziemlich weit außen befindet sich der Flow, dazwischen gibt es viele Zwischenzustände, eine Art partieller Flow, der durch Achtsamkeit entstehen kann.

Wie verbreitet sind achtsamkeitsbasierte Ansätze in der Sportpsychologie? Ist es eher ein Randphänomen oder finden sie weitere Verbreitung? Können Sie uns einige prominente Beispiele nennen, wo Achtsamkeit im Leistungssport mit Erfolg angewendet wird?

Jekauc: Im Moment spielt es eher eine untergeordnete Rolle, wird aber zunehmend wichtiger. Die Achtsamkeit ist in den 1970er Jahren in die westliche Welt herübergeschwappt, vor allem durch Jon Kabat-Zinn. In den 1980er Jahren wurden Achtsamkeitsübungen im Basketball aufgegriffen.

Phil Jackson, der erfolgreichste Basketball-Coach aller Zeiten, hat intuitiv Achtsamkeitsübungen in sein Training integriert. Es war eine Art Geheimwaffe, über die er erst geredet hat, als er nicht mehr aktiv war.

Heute ist Novak Đoković ein prominentes Beispiel, der Weltranglistenerste im Tennis. Er erklärt immer wieder, wie wichtig für ihn die Meditationspraxis ist. Es hilft ihm, seine negativen Emotionen besser zu verarbeiten. Im Tennis macht man immer Fehler und er kann heute gelassener damit umgehen. Dadurch kann er sich besser konzentrieren und seine Leistung abrufen.

Meditation ist für ihn so wichtig, wie das tägliche Konditionstraining. Aus diesen Erfahrungen in der Praxis kam es nach und nach in die Sportpsychologie. Man dachte, wenn Sportler Achtsamkeit erfolgreich anwenden, könnte es wertvoll sein. Wenn man heute zu Kongressen geht, trifft man immer mehr Sportpsychologen, die diese Praktiken anwenden.

Wenn wir Achtsamkeit praktizieren, werden wir zu mitfühlenderen Menschen.

Bei Achtsamkeit geht es ja eigentlich nicht um Leistungssteigerung, sondern auch um innere Qualitäten wie Mitgefühl. Wie sehen Sie diesen Aspekt?

Jekauc: Im Sport dient Achtsamkeit zur Leistungssteigerung, dass muss man klar so sagen. Es ist nicht an mir zu urteilen, ob das gut oder schlecht ist. Aber ich denke, wenn wir Achtsamkeit praktizieren, werden wir automatisch zu emotional ausgeglicheneren und mitfühlenderen Menschen. Egal ob man es zur Leistungssteigerung oder aus spirituellen Gründen praktiziert.

Durch die Achtsamkeitspraxis wird unser Wesen, unsere Persönlichkeit in eine gewisse Richtung verändert. Egal, was der Antrieb dahinter ist. Ich persönlich praktiziere Achtsamkeit, weil es mir dann besser geht. Ich kann schärfer wahrnehmen, was in mir vorgeht.

Mein Antrieb ist nicht die Leistungssteigerung, aber vielleicht ist es ein Nebeneffekt, dass ich im Alltag konzentrierter bin und dadurch auch leistungsfähiger. Das Thema Mitgefühl spielt in Mannschaftsportarten eine große Rolle, immer dann, wenn es ein soziales Gefüge gibt, sollte ich nicht nur wahrnehmen, wie es mir geht, sondern auch, wie es dem anderen geht. Auch als Trainer braucht man Mitgefühl, um zu spüren, was in den anderen vorgeht.

Achtsamkeit macht uns feinfühliger für die Stimmung in der Mannschaft.

Wie wirkt dieses Mitgefühl in der Atmosphäre einer Mannschaft?

Jekauc: Durch Achtsamkeit kann man besser die Körpersprache der Mitspieler wahrnehmen. Auch in der verbalen Kommunikation wird man konzentrierter. Man hört besser zu, was der andere zu sagen hat, zugleich wird einem bewusst, was der andere fühlt.

Wenn sieht man z.B. sieht, dass zwei Spieler mit herunterhängenden Schultern herumlaufen, dann kann einen das auch herunterziehen. Oder aber, man geht hin und muntert sie auf. So können wir alle zu den Antreibern einer Mannschaft werden.

In einer Mannschaft hat nicht nur jeder Spieler seine eigenen Emotionen, sondern es gibt auch so etwas wie eine Gemeinschaftsemotion. Die Mannschaft befindet sich in einer gewissen Stimmung, für die wir durch Achtsamkeit feinfühliger werden können.

Dann können wir diese Stimmung auch bewusster beeinflussen, z. B., indem wir einander abklatschen. Im Mannschaftssport ist der Erfolg immer das Produkt der Zusammenarbeit, eines gemeinsamen Verstehens und Einfühlens. In der Sportpsychologie kann man Methoden der Teambildung mit Achtsamkeit verbinden.

Im Fußball gibt es die besondere Herausforderung, dass dort seit frühester Jugend das Geld eine große Rolle spielt. Spielerberater und Vereinsvertreter gehen auf die jungen Spieler zu und überlegen, wie sie ihn bestmöglich verkaufen können. Jeder denkt dann vor allem an sich und sieht die anderen als Konkurrenten.

Aber um im Mannschaftssport erfolgreich zu sein, muss man diesen Bezug nur auf sich selbst überwinden. Je weiter oben man spielt und je mehr Geld im Spiel ist, desto größer wird der Druck. Das ist dann eine Aufgabe der Sportspsychologie, den Spielern zu helfen, mit dem Druck gut umgehen zu können. Dabei kann Achtsamkeit einen großen Beitrag leisten, um sich selbst besser zu verstehen.

Prof. Dr. Darko Jekauc war im Tennis als Leistungssportler aktiv und ist heute Professor für Gesundheitsbildung und Sportpsychologie am Karlsruher Institut für Technologie. Zuvor lehrte er als Professor für Sportpsychologie an der Goethe Universität Frankfurt und der Humboldt Universität Berlin. Gemeinsam mit Christoph Kittler entwickelte er ein Achtsamkeitsprogramm für Leistungssportler (Berliner Achtsamkeitstraining für Leistungssportler, BATL). Im Dezember 2021 erscheint ein Buch von ihm zum Thema Achtsamkeitstraining im Sport.

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