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Musik verschenken

Foto: Christoph Naumann
Foto: Christoph Naumann

Portrait des Songwriters Hannes Wittmer

Musiker Hannes Wittmer hat sich von Amazon und Spotify verabschiedet, um ein Zeichen gegen die Kommerzialisierung der Kunst zu setzen. Er verschenkt seine Musik und wird von vielen Menschen unterstützt. Agnes Polewka über einen jungen Künstler mit politischem Anspruch: „Wir müssen unsere Gesellschaft neu gestalten“.

 

Hannes Wittmer denkt oft nach. Über den Zustand unserer Welt. Und die Menschen darin. Über sich selbst und seinen Beitrag dazu. Vor zwei Jahren entschied sich der deutschsprachige Singer-Songwriter zu einem radikalen Schritt: Er verabschiedete sich von kommerziellen Anbietern wie Spotify und Amazon – um seine Musik zu verschenken.

Wittmer legte seinen Künstlernamen „Spaceman Spiff“ ab. Auf seinen Konzerten zahlte ab diesem Zeitpunkt jeder, was ihm der Abend wert war. Er veröffentlichte sein Album „Das große Spektakel“ ausschließlich auf seiner Homepage. Kostenfrei, Spenden willkommen.

„Bei meinem Konzept geht es darum, den Abstand zwischen Menschen zu verringern, die Musik austauschen“, sagt Wittmer. Ohne zwischengeschaltete Vertriebe wie Amazon, Spotify oder Eventim. Und um politische Botschaften, um „Gegennarrative“ in einer Welt, in der es vielerorts brennt.

Gerade sind auf seiner Homepage vier neue Stücke zu hören – subsumiert unter dem Titel „Das Ende der Geschichte“. Geplant war die Aufnahme nicht, denn eigentlich hatte Wittmer für 2020 ganz andere Pläne. „Ich hatte zwei sehr intensive Jahre, in denen ich mich vom Musikmarkt gelöst und in denen ich mir viele Gedanken gemacht habe. Auf meinen Konzerten habe ich Neues ausprobiert, einen Stuhl auf der Bühne zum Beispiel, auf dem die Konzertbesucher Platz nehmen, sich einbringen konnten. Ich wollte die Zeit danach nutzen, um zur Ruhe zu kommen“, sagt Wittmer im Gespräch mit Ethik heute.

Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, der Cellistin Clara Jochum, wollte er im März 2020 mit einem Frachter nach Kanada übersetzen. Das Coronavirus machte beiden einen Strich durch die Rechnung. Da sie ihre Würzburger Wohnung schon aufgelöst hatten, kamen die beiden Musiker zunächst bei Freunden unter, dann in einer Ferienwohnung. Schließlich quartierten sie sich mit ihrem umgebauten Kastenwagen auf einem Campingplatz in Würzburg ein.

Gesellschaft anders gestalten

„Bei dieser Corona-Geschichte tat es mir am Anfang sehr gut, dass um mich herum alles still stand“, sagt der 34-Jährige, der in dieser Zeit selbst still wurde . Er holte drei alte Lieder hervor und schrieb ein neues („Nachruf“). Er kombinierte die vier Songs zum „Ende der Geschichte“ und nahm sie in Fernschalte mit befreundeten Musikern auf.

Der Titel entstand in Anlehnung an ein Zitat des amerikanischen Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama. Fukuyama meinte, spätestens mit dem Ende des Kalten Kriegs sei ein Zustand unserer Welt erreicht, in dem sich eine liberale Demokratie und der Kapitalismus für immer durchgesetzt hätten, ohne weitere gesellschaftliche Entwicklungen in diese Richtung.

„Diese These hat sich offenbar als falsch herausgestellt und wir müssen die Art und Weise, wie wir unsere Gesellschaft gestalten, dringend überdenken“, sagt Wittmer, der in der Corona-Pandemie eine Art Brandbeschleuniger sieht. So vieles lodere gerade: das Wutbürgertum, das seine Meinungen ins Internet hinein schreit, Verschwörungstheoretiker, Nationalisten. Und dann noch der drohende Klima-Kollaps und die „Black Lives Matter“-Bewegung.

Doch woher kommt das? Der Musiker warnt davor, Menschen mit einem Stempel zu versehen und sie abzuschreiben. „Ich würde mir öfter wünschen, dass hinterfragt wird, warum sie tun, was sie tun“, sagt der 34-Jährige, der in einem kleinen Dorf in Unterfranken aufgewachsen ist. „Warum finden Leute nationalistische Ideen spannend? Warum hängen sie Verschwörungstheorien an? Was suchen sie wirklich?“

Viele Probleme könnten im Keim erstickt werden, wenn jeder einzelne sein Verhalten überdenkt: „Ich glaube schon, dass die Art und Weise wie wir wirtschaften, Dinge austauschen, am Wachstum und der Leistungsgesellschaft hängen, zu sehr vielen Problemen beitragen, allen voran zum Klimawandel, aber auch wie die Menschen gerade austicken.“

„Sich der Beschissenheit der Welt entgegenstellen“

Seinen Schmerz und seine klugen Gedanken hat Hannes Wittmer auf der aktuellen EP verarbeitet. Feingliedrig und wortgewandt. Und voller Sehnsucht nach Halt: „So stell‘ ich ihr uns entgegen, der Beschissenheit der Welt“. Und im Kleinen, da scheint das zu funktionieren.

In den vergangenen Monaten haben viele Menschen dem 34-Jährigen geschrieben, sich für seine Musik bedankt und ihre Gedanken mit ihm geteilt. Sie haben kleinere und größere Beträge gespendet, um Wittmer gut über die Krise zu helfen. Mit Erfolg: Der Musiker kann auch in diesem Jahr von seiner Musik leben. „Reich werde ich damit nicht“, sagt er. Aber der Singer-Songwriter ist einer der wenigen Kulturschaffenden, die keine Corona-Hilfen beantragen mussten. Auch weil seine Ideen in der Krise erst richtig zum Tragen gekommen sind.

„Bei meinem Konzept geht es aber ja nicht nur um die Kohle“, sagt Wittmer, der von klein auf Musik machte, zuerst Klavier spielte und mit zwölf zur Gitarre wechselte. Der sich jeden Tag nach der Schule in seinem Zimmer verkroch, um drei, vier Stunden zu üben. Auch wenn er zwischengeschaltete Vertriebe scharf kritisiert – als Kämpfer gegen die böse Musikindustrie sieht er sich nicht. Sein Konzert-Booking läuft nach wie vor über das Hamburger Indie-Label Grand Hotel van Cleef.

„Ich bin auch weiter im Austausch mit anderen Musikerinnen und Musikern sowie meinen Freunden von Grand Hotel van Cleef“, sagt Wittmer, für den Gemeinschaften „wichtig und wirkmächtig“ sind, zwischen all ihren Schwierigkeiten und Leichtigkeiten.

Loslösung vom Musikbusiness als politischer Akt

Schon als Jugendlicher engagiert er sich in einem Verein namens „Musikinitiative“. „Mit 14 haben wir unsere erste Schulband gegründet, die ,Musikinitiative‘ kam kurz danach. Wir haben in mehreren tausend Stunden ein altes Pumphäuschen am Stadtrand zu einem Veranstaltungsort samt Proberäumen umgebaut. Ich glaube, dass ich in diesem Kreisen zwischen Bandproben, ersten Auftritten, Vorstandssitzungen im Verein und Orga für Baumaßnahmen und Veranstaltungen mehr für mein späteres Leben gelernt habe, als später in der Schule.“

Mit Anfang 20 beginnt Wittmer unter dem Künstlernamen „Spaceman Spiff“ zu spielen – benannt nach einer Comicfigur. Und: Er fängt an, politisch zu werden. „Für meine Tour im letzten Herbst, habe ich mir mal die Songs meiner ersten Bands angehört und dabei festgestellt, dass ich im Grunde schon damals politische Texte geschrieben habe, teilweise sogar mit denselben Themen wie heute. Nur war das damals aus einem diffusen Gefühl heraus und nicht mit einem konkreten politischen Bewusstsein“, sagt Wittmer.

Der Comic-Held verabschiedet sich nach zehn Jahren und drei Alben aus Hannes Wittmers Leben. Und Wittmer verabschiedet sich von Hamburg, der Stadt, in die er zum Musikmachen gezogen war. „Ein Grund, Hamburg zu verlassen, war schon auch die Entwicklung der Stadt“, sagt er. Die Mieten seien immer weniger bezahlbar geworden und kulturpolitisch habe die Stadt sich im vergangenen Jahrzehnt eher über Großprojekte wie Olympia, die Elbphilharmonie oder G20 profiliert – „anstatt sich um die Basis zu kümmern“.

„Konkret politisch geworden bin ich wohl mit meiner ersten Platte als Hannes Wittmer und der damit einhergehenden Loslösung vom Musikbusiness und seinen Verwertungslogiken“, sagt Wittmer, der sich in diesen Tagen auch viele Gedanken über die Szene macht. Über Freunde, die nicht mehr von ihrer Musik leben können. Über Festivals und Clubs, die womöglich für immer verschwinden. Und über Menschen, die einander in Krisen aufsammeln und zusammenflicken.

Agnes Polewka

Weitere Infos und Musik zum Download unter www.hanneswittmer.de

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