Die Modern Life School in Hamburg
In Griechenland, der Wiege der westlichen Zivilisation, praktizierte Sokrates die Philosophie auf dem belebten Marktplatz. Heute fristet sie zumeist ein Dasein im Elfenbeinturm der Universitäten. Die Modern Life School in Hamburg ist angetreten, die Liebe zur Weisheit dorthin zurückzuholen, wo sie hingehört: ins Leben.
Eine Stunde vor Beginn der Class mit der bekannten Philosophin Natalie Knapp herrscht reges Treiben im Bäckerbreitergang 12 in Hamburg. Pia Schaf und Gaby Bohle, die Gründerinnen der School, arrangieren das Buffet mit selbstgemachten Bio-Snacks und Suppe, die Gäste trudeln langsam ein. Die Referentin ist schon da und mischt sich unters Volk.
Einige stöbern im Buchladen, andere lernen sich bei einem Glas Wein kennen, und es ist leicht, mit der Philosophin ins Gespräch zu kommen. Die Atmosphäre ist herzlich und entspannt. Und genau das ist die Idee: einen Ort zu haben, wo Menschen ungezwungen miteinander über existenzielle Fragen reden und philosophieren können.
„In unserer Gesellschaft wird den Menschen das Denken abgewöhnt,“ kritisiert Gaby Bohle, „und damit verlieren wir unsere Autonomie. Unser Anliegen ist es, die Teilnehmer zum Denken anzuregen, damit sie selbstbestimmt leben können.“
Keine Fachsimpeleien
Das Angebot ist an der praktischen Philosophie ausgerichtet. In den Veranstaltungen geht es um Freiheit, Ethik, Freundschaft, Liebe, Sinn. Wie lebe ich ein gutes Leben, mit den Stoikern Gelassenheit trainieren, über die Kunst frei zu sein. Mehrmals pro Jahr findet der „Neurosenabend“ statt, bei dem die schönste Neurose prämiert wird. Spaß muss sein, gerade wenn man sich mit so gewichtigen Themen befasst.
Die Referenten sind allesamt Philosophen, die nicht fachsimpeln, sondern ein Interesse daran haben, Philosophie verständlich zu erklären, auch Nicht-Akademikern. Zu den „Stars“ der School gehörden Natalie Knapp, Rebekka Reinhard und Wilhelm Schmid, die normalerweise große Säle füllen und hier vor 20 bis 25 Teilnehmern sprechen. Allein dafür lohnt sich ein Besuch, dass man sie hautnah erleben kann.
Es gibt „Short Classes“, die 90 Minuten dauern und für Leute gedacht sind, die trotz vollem Arbeitstag noch Lust haben, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Die „Classes“ sind die Klassiker: Veranstaltungen von drei Stunden, in denen man sich mit den wirklich wichtigen Dingen des Lebens beschäftigen kann: Was brauche ich (oder was brauche ich nicht), um frei zu leben? Wie kann ich in einer komplexen Welt Entscheidungen fällen? Wer bin ich und wie kann ich mich verändern?
Das Konzept sieht vor, dass es Vorträge gibt und dazu Gruppenarbeiten und Diskussionen, denn Philosophie ist keine Einbahnstraße. Jeder kann sein eigener Philosoph werden, wenn er offen und aufgeschlossen ist und Impulse und Anregungen von außen erhält.
Hier allerdings gibt es manchmal Missverständnisse: „Manche Teilnehmer halten sich für offen, aber letztlich suchen sie nur eine Bestätigung für ihre Haltung oder Einstellung. Sie sind dann enttäuscht, wenn in einer Class lang gehegte Überzeugungen und Glaubenssätze auf den Prüfstand gestellt werden“, sagt Pia Schaf.
Der steinige Weg der Selbsterkenntnis
Aber darum geht es ja. Philosophieren ist kein Wellness, sondern ein Weg der Selbsterkenntnis, und dieser Weg kann steinig und kurvenreich sein. Daher kommen Leute an ihre Grenzen, wenn es ihnen eigentlich darum geht, alte Überzeugungen bestätigt zu sehen oder Patentrezepte fürs Leben zu bekommen. „Wir können nur Impulse setzen, etwas in Bewegung bringen“, so Bohle. „Aber natürlich müssen die Menschen den Weg dann selbst gehen.“
Genau das haben die beiden Frauen getan. Sie führten bis 2010 eine Werbeagentur in Hamburg mit namhaften Kunden aus der Lebensmittel-Branche. An einem Punkt hatten sie keine Lust mehr, Leuten irgendetwas zu verkaufen. „Ich habe Rheuma bekommen, ich wollte nicht mehr“, so Schaf.
Gaby Bohle, die Fotografin und Kreative, erklärt es so: „Ich konnte meine Werte nicht mehr mit Werbung vereinbaren. Es ging eigentlich nie darum, etwas Gutes, Nachhaltiges zu schaffen, sondern immer nur ums Verkaufen. Wir haben uns an Pitches beteiligt und Nächte durchgearbeitet, um dann zu verlieren. Gute Ideen haben sich selten durchgesetzt. Das war alles sehr frustrierend.“
Dann entdeckte Bohle einen Bericht über die „School of Life“ in London. Die beiden flogen hin und waren begeistert: eine Philosophieschule mitten in London, gegründet von Alain de Botton, mit einem super Angebot.
Mangelnde Wertschätzung für die eigenen Möglichkeiten
Dieses Vorbild vor Augen eröffneten sie 2010 die Modern Life School in dem Haus, wo auch die Werbeagentur ihren Sitz hatte. Doch schnell merkten sie, dass man nicht beides gleichzeitig machen kann: das Alte fortführen und das Neue aufbauen. Sie wagten dann den mutigen Schritt: verkauften ihre Werbeagentur und bezogen die Räume im Gängeviertel.
„Wir haben es uns leichter vorgestellt“, bekennen die beiden Frauen. „In London waren die Klassen voll, die Hamburger sind zurückhaltend und weniger offen für Neues“, analyisiert Pia Schaf. „Sie wissen nicht so recht, was sie in der School erwartet und gehen vielleicht lieber in ein Konzert oder zu einem Vortrag.“
Und immer wieder beschweren sich Leute über die Preise. Eine dreistündige Class kostet 50 Euro, inklusive Abendessen und Getränken. „Wir müssten doppelt so viel Gebühr nehmen, um kostendeckend zu arbeiten“, so Gaby Bohle entnervt. Drei Jahre lang haben sie Geld zugeschossen, aber jetzt ist Land in Sicht. Mittlerweile vermieten sie die Räume der School an andere. Die Vermietung läuft gut und bildet die finanzielle Basis für das inhaltliche Angebot.
Aber die Kosten sind hoch: die Miete in zentraler Lage, das Unterhalten der Räume und der Website, die Werbung, die Löhne sowie die Honorare und Reisekosten für die Referenten. Besonders schmerzlich ist es, wenn Veranstaltungen mangels Teilnehmer abgesagt werden müssen, was hin und wieder vorkommt.
„Die Deutschen meinen immer, dass Bildung und Kultur nichts kosten dürfen. Sie machen sich keine Gedanken um den Wert, sondern nur um den Preis,“ so Bohle. Hinzu kommt noch, dass man teures Geld für Klamotten und Luxusartikel ausgebe, aber für die geistige Entwicklung sei nichts da. „Darin drückt sich eine mangelnde Wertschätzung aus – und zwar letztlich für mich selbst und meine Möglichkeiten,“ ist Bohle überzeugt.
Doch Pia Schaf und Gaby Bohle wollten um nichts in der Welt wieder zurück in die Werbung. „Wir sind Idealistinnen,“ sagen sie einstimmig. „Wenn wir die Menschen zum Denken bewegen, wird die Welt ein bisschen besser“.
Infos:
Die School bietet: Short Classes (90 Minuten), Classes (180 Minuten) und auch Wochenenden an. Hier geht es zum Programm