Online Magazin für Ethik und Achtsamkeit

Politisches Theater aus Tibet

Christof Spitz
Christof Spitz

Ein Stück über den gewaltlosen Widerstand

Das tibetische Theaterstück „Pah Lak“ thematisiert eindringlich und emotional die Situation der Tibeter heute und ihren gewaltlosen Widerstand gegen die chinesische Besatzung. Im Juni 2023 ist es auf deutschen Bühnen zu sehen. Es geht um Unterdrückung, Widerstand und die Sehnsucht nach Freiheit.

Wie oft hören wir von brutaler Unterdrückung, Menschenrechtsverletzungen und Gewalt gegen Andersdenkende – sei es im Iran, in China, Afghanistan oder anderswo. Eine tibetische Theaergruppe hat ihr Schicksal unter chinesischer Herrschaft jetzt als Theaterstück auf die Bühne gebracht. Die Zuschauer erleben hautnah mit, was es wirklich heißt, als Mensch, Kultur und Nation bedroht zu sein.

Das tibetische Theaterstück „Pah Lak“ (deutsch „Vater“), das im Mai und Juni 2023 auf Tournee in Deutschland ist, berührt. Mit wenigen technischen, aber umso mehr dramatischen Mitteln haben die neun tibetischen Schauspieler und zwei Musiker mit „Pah-Lak“ die Zuschauer nach zwei Stunden in den Bann gezogen, berührt, zum Weinen gebracht und nachdenklich gemacht.

Es ist das erste Mal, dass ein Theaterstück die Situation der Menschen im heutigen Tibet und ihren gewaltlosen Widerstand gegen die chinesischen Besatzer zum Thema macht. Es zeigt das Ringen der von Buddhismus geprägten Tibeter um ihre Kultur, aber auch ihren Kampf gegen Unterdrückung. Die Frage, die es aufwirft, ist wieder brandaktuell: Hat die Gewaltlosigkeit in der heutigen Welt noch eine Chance?

Das Stück erzählt eindringlich und anschaulich von der ausweglosen Situation der Tibeter in ihrem von China seit 1950 besetzten Heimatland, wo Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind und die tibetische Kultur und Sprache unterdrückt werden.

Die Protagonistin verliert ihr letztes Stück Freiheit

Und das ist die Geschichte: In einem abgelegenen Dorf im Osten Tibets lebt Deshar, eine selbstbewusste junge Frau, die sich für ein Leben als buddhistische Nonne entschieden hat. Doch dann ordnen die chinesischen Behörden die gefürchteten Umerziehungsmaßnahmen im Kloster an, die darauf abzielen, die tibetische Kultur auszulöschen.

Als das Kloster Widerstand leistet, wird es auf Anordnung des chinesischen Polizeioffiziers Deng geschlossen. Deshar verliert ihr letztes Stückchen Freiheit. Das Gefühl von Machtlosigkeit angesichts permanenter Unterdrückung bringt sie zu dem Entschluss, sich selbst anzuzünden, wie es mehr als 160 Tibeter, darunter auch der erst 25 Jahre alte, über Tibet hinaus bekannte Musiker Tsewang Norbu, seit 2009 getan haben, um gegen die Fremdherrschaft zu protestieren.

 

Dem Produktionsteam ist es gelungen, Schwarz-Weiß-Karrikaturen sowohl auf der tibetischen als auch auf der chinesischen Seite zu vermeiden. Jede Figur bekommt eine ganz eigene Tiefe, indem ihre Zwänge, Ängste und Überlebensstrategien gezeigt werden.

So wird auch der chinesische Vollzugsbeamte am Telefon gegenüber seinem Boss zum devoten Befehlsempfänger. Allein Ling, einer chinesischen Polizistin, gelingt ein Gesinnungswandel und damit der Ausstieg aus dem Unterdrückungssystem.

„Ein Theater-Abend, wie ihn Europa noch nicht erlebt hat“

Das Stück basiert auf Recherchen des renommierten indischen Autors Abhishek Majumdar, die dieser zwischen 2013 und 2019 in Tibet und in Zusammenarbeit mit der tibetischen Gemeinschaft im Exil durchgeführt hat.

In Tibet interviewte er Tibeter und Chinesen aus Lhasa, Shigatse, der Region Kham und Peking. Im Rahmen seiner Recherche traf er sich zudem mit dem 14. Dalai Lama in Dharamsala. Damit ist es sehr authentisch und die Zuschauer erhalten ein realistisches Bild der Lage in Tibet.

Der tibetische Regisseur und Leiter des Tibet Theatre, Lhakpa Tsering, der deutsche Theaterregisseur Harry Fuhrmann und der Dramatiker Abhishek Majumdar realisierten die Neuinszenierung von „Pah-Lak“ mit tibetischen Schauspielern des Tibetan Institute of Performing Arts (TIPA).

Nach der Premiere Anfang Oktober 2022 in Dharamsala, Indien, ging das Stück auf Tournee durch Nord- und Südindien. Die Europa-Tournee 2022 startete am 9. Mai mit der Premiere bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen. Hier erhielt die Aufführung fulminante Kritiken in der FAZ, im Deutschlandfunk und anderen Medien:

„Pah-Lak ist ein Theaterabend, wie ihn Europa noch nicht erlebt hat. (…) Ein Stück, das eindringlich die Leiden des tibetischen Volkes vor Augen führt. (…) Für Deshar, die Märtyrerin vom Dach der Welt, ist der Akt der Selbstverbrennung die äußere Manifestation eines inneren Vorgangs: ‚Ich bin schon lange verbrannt. Im Geist. Auf den Geist kommt es an. … Ich habe meinen Körper verbrannt, um meinen Geist zu offenbaren‘.“ (FAZ am 13. 5. 2023)

Sehnsucht nach Unabhängigkeit Tibets

Zum ersten Mal wird das Stück nun in tibetischer Sprache aufgeführt und mit deutschen Übertiteln übersetzt. Dies bietet den tibetischen Schauspielern die Möglichkeit, sich intensiv mit ihrer eigenen Sprache im Theaterkontext auseinanderzusetzen. Den Zuschauern soll vermittelt werden, wie wichtig die tibetische Sprache für die Kultur ist, die durch die Sinisierungsbestrebungen der chinesischen Regierung vom Verschwinden bedroht ist.

Seit der Annexion Tibets 1950 kämpfen die Tibeter um das Überleben ihrer kulturellen Identität, die von der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) systematisch ausgelöscht werden soll. Der 14. Dalai Lama plädiert seit 1974 mit seinem „Mittleren Weg“ für einen Kompromiss, der echte Autonomie im chinesischen Staatsverband vorsieht.

Das Streben nach Unabhängigkeit ist dennoch in der tibetischen Gesellschaft tief verankert. Das Theaterstück „Pah-Lak“ gibt Einblick in die Hoffnungen und Sehnsüchte des tibetischen Volkes, aber auch den Zwiespalt der Widerstandsbewegung.

Anja Oeck

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Mehr Infos auf der Seite der Tibet Initiative Deutschland e.V.

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