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Schauspieler nimmt Flüchtling auf

Foto: Bernd Brundert
Foto: Bernd Brundert

Privatinitiative statt Warten auf den Staat

Armutszeugnis: Eine Flüchtlingskatastrophe reiht sich an die nächste, täglich sterben Menschen, die eigentlich Sicherheit suchten. Trotzdem kann sich die EU bis heute nicht auf eine geregelte Flüchtlingsaufnahmequote einigen. In Eigeninitiative unterstützen daher Menschen wie Martin Umbach Flüchtlinge.Martin Umbach, Schauspieler und Synchronsprecher für George Clooney, Gerard Depardieu, Quentin Tarantino oder Russell Crow wollte Mut machen. Eines Tages fragte er sich inmitten seines satten Wohlstandslebens, ob er nicht einen Flüchtling bei sich zu Hause beherbergen könnte.

Zufällig landete er beim Surfen im Internet auf der Berliner Website-Plattform „Flüchtlinge Willkommen“ und meldete, dass er ein Zimmer frei hätte. Diese private Initiative vermittelt gemeinsam mit lokalen Hilfsorganisationen in Deutschland unkompliziert Flüchtlinge an Wohngemeinschaften und kümmert sich um die Finanzierung.

Einzug von Muhammad aus Syrien

Wir sitzen am Küchentisch seiner geräumigen 120-Quadratmeter-Dachgeschosswohnung in München. Martin Umbach, 59, ein vielseitig interessierter allein lebender Mann mit funkelnden Augen, intellektueller Ausstrahlung und tief resonanter Stimme, zündet sich eine Zigarette an und erzählt. „Eines Tages, es war ein Samstag im Januar, standen sie vor meiner Tür.“ Zwei Leute der privaten Vermittlungsorganisation für Flüchtlinge klingelten und stellten ihm Muhammad aus Syrien vor.

„Wir waren uns auf Anhieb sympathisch, die Chemie stimmte.“ Und so zog Muhammad für vier Monate bei Martin Umbach ein. So viel er hat, lebte Muhammad, 30, im Osten Syriens nahe der irakischen Grenze, war ein erfolgreicher IT-Spezialist und verdiente gut. Die Familie musste den Terror des Assad-Regimes erdulden, der seine bisherige Arbeit unmöglich machte. Es reichte. Er entschloss sich gemeinsam mit seinem Bruder Amin zur lebensgefährlichen Flucht aus dem heimischen Hexenkessel in die Türkei.

Gefährlicher Fluchtweg

In der Türkei, wo er eine Weile lebte, verliebte er sich in eine syrische Frau aus seinem Heimatgebiet und heiratete. Weil es dort jedoch keine Möglichkeit gab, beruflich Fuß zu fassen, entschieden sich die Brüder für einen erneut schwierigen Fluchtweg über Südosteuropa in das sichere Deutschland, um sich dort eine neue Existenz aufzubauen. Auch an eine Rückkehr nach Syrien war nicht mehr zu denken, da dort inzwischen der selbsternannte Islamische Staat „IS“1 das Land zusätzlich terrorisierte. Mutter und Schwester müssen seither verschleiert gehen, Mädchen dürfen die Schule nicht mehr besuchen.

Seine Frau wollte Muhammad später nachholen. Es gab zwei Wege zur Flucht aus der Türkei: entweder als anerkannter Kontingentflüchtling oder illegal per Schlepper. In seiner verzweifelten Lage beschritt er letzteren Weg und schiffte zunächst übers Meer ein auf eine griechische Insel. Die beschwerliche Weiterreise erfolgte über mehrere Wochen zu Fuß über diverse Grenzen wie Albanien, Serbien und Slowenien. „Wir liefen in der Nacht und schliefen am Tag, manchmal in verlassenen Gebäuden oder in Plastik eingewickelt, wenn es regnete“, berichtete Muhammad Reportern der Londoner Zeitschrift Guardian später.

„Gerade ist er in die Türkei gereist, um seine Frau legal nach Deutschland nachzuholen“, so Umbach. Heute ist Muhammad stolzer Passinhaber, anerkannter Asylant mit Arbeitsgenehmigung und Bezieher von Harz IV. Bald kann er sich gemeinsam mit seiner Frau eine Wohnung in Deutschland leisten.

Schiffe-Versenken statt Ursachen beheben

Umbach wollte mit seiner Aktion auch ein Zeichen gegen die europäische Flüchtlingspolitik setzen. Die neue Strategie des Schiffe-Versenkens hält er für ein „totales Desaster“. Dass die Boote der Schlepper versenkt werden, findet er grotesk und lobt private Initiativen: „Wir haben doch eine Verantwortung für die Menschen“, empört er sich.

Was er generell von der Flüchtlingssituation in Europa hält? Den Zuzug aufgrund der Kapazitätsgrenzen zu regeln, findet er richtig, aber die derzeitigen Regelungen sind ihm zu restriktiv. „Die humanitäre Katastrophe hat Auswirkungen und die Flüchtlingsproblematik darf nicht isoliert von den Ursachen gesehen werden.“

thomas koch/ shutterstock.com

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Wir müssten uns doch fragen: Warum ist jemand bereit, sein letztes Hemd zu verkaufen, durch die Sahara zu wandern und auf einem überfüllten Schlauchboot sein Leben zu riskieren?

Koloniale Einflussnahme als Ursache

„An den Fluchtursachen sind wir alles andere als unbeteiligt“, so Umbach. Die Ursachen liegen aus seiner Sicht in unfairen Handelsbeziehungen oder der Rohstoffausbeute in Afrika. Auch die politische Eskalation sei nicht losgelöst von Europa zu sehen. Geschichtlich hat sich Umbach schlau gemacht: „Syrien und Irak sind auf dem Reißbrett der Kolonialmächte entstanden. Die Landkarte weist heute unnatürliche, schnurgerade Grenzen auf.“

Vormals gehörten beide Länder zum osmanischen Reich mit vielen Ethnien, bis Briten und Franzosen sich nach dem 1. Weltkrieg das Gebiet untereinander aufteilten. Für Umbach ist klar: Durch jahrzehntelange politische Einflussnahme und geschichtliche Wurzeln ist der heutige Konfliktherd entstanden. Heute ist das Miteinander der vielen unterschiedlichen Glaubensangehörigen wie Sunniten, Schiiten, Alawiten und Christen untereinander schwierig geworden.

„Glück gehabt“

„Mit der Aufnahme von Muhammad habe ich persönlich Glück gehabt“, sagt Umbach. „Muhammad spricht gutes Englisch und so konnten wir uns gleich ernsthaft unterhalten.“ Umbach übersetzte anfangs Schreiben und Anträge für ihn. In den Zeiten, in denen der Schauspieler beruflich viel unterwegs war und Muhammad alleine zu Hause, hatte sich dieser engagiert, an Zusammenkünften mit Landsleuten teilgenommen und eine Ratgeberwebsite für Menschen, die sein Schicksal teilen, auf Englisch und Arabisch programmiert.

Umbach hatte volles Vertrauen, seinen Mitbewohner häufig allein in der Wohnung zurückzulassen. „Obwohl ich manchmal arrogant bin: Wenn ich die Türe aufmache, gebe ich Vertrauensvorschuss.“

Wie gestaltete sich überhaupt das Zusammenleben? „Ich arbeite manchmal nachts, trinke Alkohol, lebe etwas chaotisch. Muhammad akzeptierte jedoch, dass ich anders lebe als er. Er hatte die größere Umstellung zu verkraften.“ Auf der anderen Seite akzeptierte Umbach, dass sein neuer Mitbewohner billigstes Fleisch aus der Massentierhaltung kaufte, das er selbst ablehnt.

Die große Toleranz auf beiden Seiten ermöglichte Konfliktfreiheit. „Wir hatten intensive Gespräche, auch mit meinen Gästen, aber sonst lebte jeder sein Leben.“ Ob Nachbarn oder die Familie von Martin Umbach, alle reagierten positiv. Aus Mitmenschlichkeit verzichtete Umbach auch auf eine Mietzahlung.

„Grundbedürfnisse immer gleich“

Gab es denn Schwierigkeiten bei der Begegnung mit einer anderen Kultur? Umbachs Resümee über das Zusammenleben: „Egal, welchen Glauben, welche Kultur, welche soziale Struktur wir haben, die Grundbedürfnisse der Menschen sind doch alle gleich.“ Wir alle bräuchten ein Dach über dem Kopf, Essen und Kleidung, jemanden, der uns zuhört, wenn wir den Verlust geliebter Menschen oder den Verlust der eigenen Würde betrauern. „Die kulturellen Unterschiede spielen keine Rolle, wenn es um die Basics geht.“

Heute ist Muhammad in Deutschland ein prominenter Flüchtling. Mit seinem Bruder, der ihn auf der Flucht begleitete, diskutierte er bei den Pegida-Märschen mit den Teilnehmern. Friedensarbeit ist für sie auch das Mitwirken in Mozarts „Cosi van Tutte“ – ein Opernprojekt in Augsburg mit Gesangseinlagen von syrischen Flüchtlingen. Auch der Auftritt von Muhammad in der Kabarettsendung „Die Anstalt“ und eine Veranstaltung in Berlin mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier erregten öffentliche Aufmerksamkeit. „Muhammad wurde schon mehrfach von der Presse interviewt“, so Umbach.

Muhammad geht es jetzt gut und er will in Deutschland bleiben. Derzeit lebt er gemeinsam mit dem Bruder und zwei anderen Flüchtlingen eine Wohnung, die vom Jobcenter bezahlt wird. Aber bevor er in Deutschland arbeitet, will erst einmal richtig Deutsch lernen.

Privilegierte syrische Flüchtlinge in Deutschland

Seit 2011 wütet der Bürgerkrieg in Syrien. Rund vier Millionen haben seither das Land verlassen. Die meisten befinden sich heute in den angrenzenden Staaten Libanon, Jordanien, viele in der Türkei und Ägypten. Insgesamt liegt die Zahl der syrischen Staatsbürger in Deutschland derzeit bei ca. 100.000. Im Jahr 2014 haben insgesamt mehr als 25.000 Syrer erstmals Asyl in Deutschland beantragt. Damit belegte Syrien den ersten Platz unter den Herkunftsländern. Seit Beginn der Krise werden nach Auskunft des Bundesministeriums des Innern keine Flüchtlinge mehr nach Syrien abgeschoben.

Trotz dieser insgesamt positiven Aussicht für syrische Staatsbürger geht in der Flüchtlingsfrage insgesamt nichts voran. Auch im Sommer gab es wiederholt keine Einigung in Brüssel über eine rechtliche verbindliche Verteilungsquote für Flüchtlinge auf die einzelnen EU-Länder. Spiegel online spricht von einem „Triumph der Egoisten“. “Nationale Egoismen haben über Menschlichkeit gesiegt“, so der Spiegel-Journalist Maximilian Popp.

Europa humanitär gescheitert?

Eine Quote hätte Staaten wie Italien oder Griechenland entlasten können, wo in den vergangenen Monaten besonders viele Flüchtlinge aufgenommen wurden und dringend Hilfe gebraucht wird. Karl Kopp von Pro Asyl bezeichnete die Lage der Flüchtlinge in Griechenland in einem Interview im Bayerischen Rundfunk als katastrophal. Die türkische Stadt Suruc hatte im vergangenen Herbst innerhalb einer einzigen Woche 30.000 Syrer aufgenommen.

Weltweit sind derzeit schätzungsweise rund 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Die EU jedoch hat taube Ohren. Sie setzt beim Verteilungsschlüssel unverdrossen weiter auf Freiwilligkeit. Osteuropa und England wollen generell keine Flüchtlinge beherbergen. Fakt ist: Immer mehr Verzweifelte werden zu uns kommen. Ist Europa humanitär gescheitert? Oder gibt es noch einen Ruck aus der Zivilgesellschaft?

Michaela Doepke

1 Der „Islamische Staat“ IS ist laut Wikipedia eine seit 2003 aktive terroristische Vereinigung mit zehntausenden Mitgliedern, die derzeit große Gebiete im Irak und in Syrien und kleinere Gebiete in Libyen beherrscht.

Martin Umbach, deutscher Schauspieler, Synchronsprecher, Autor und Hörbuchsprecher
Mehr: www. martinumbach.de

Weitere Informationen:

Berliner Plattform „Flüchtlinge willkommen“: www.fluechtlinge-willkommen.de

Kommentar auf Spiegel-Online: www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-gescheiterte-fluechtlingsquote-kommentar-a-1040711.html
www.spiegel.de/politik/deutschland/fluechtlinge-und-einwanderer-die-wichtigsten-fakten-a-1030320.html#sponfakt=3
www.mediendienst-integration.de/dossiers/syrische-fluechtlinge.html

 

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