Ein Portrait von Esther Bejarano
Einst musste sie im Mädchenorchester von Auschwitz um ihr Leben spielen. Heute steht die 93-jährige Sängerin Esther Bejarano mit Rappern auf der Bühne und ruft zum Widerstand gegen Fremdenfeindlichkeit und Neonazismus auf.
Wer diese kleine und doch so kraftvolle Frau auf der Bühne erlebt, wird förmlich elektrisiert von ihrem Widerstandsgeist und angesteckt von ihrem Lebensmut. „Wir werden leben und erleben, schlechte Zeiten überleben. Wir leben trotzdem! Wir sind da!“, singt sie am Ende ihres Konzerts in der Bamberger Hospizakademie und wirft triumphierend ihre Arme in die Luft.
Ja, sie hat überlebt. Und dass sie heute, 72 Jahre nach der Befreiung aus dem Todeslager Auschwitz noch auf der Bühne steht, ist ihr Triumph über den Vernichtungswillen des Nationalsozialismus. „Diese Neonazis sind eine Schande für Deutschland. Wir alle müssen etwas gegen deren schreckliche Ideologie tun“, sagt sie im Gespräch aufgebracht. Und das tut sie. Mit ihren Liedern aus dem Widerstand tritt sie an gegen all diejenigen, die aus der Geschichte nichts gelernt haben.
Um Menschen gegen den erneuten Rechtsruck in ihrem Heimatland aufzurütteln, jagt die 93-Jährige gemeinsam mit ihrem Sohn Joram und den Rappern von „Microphone Mafia“ von einem Konzerttermin zum nächsten. Gemeinsam setzen sie auf der Bühne ein deutliches Zeichen für Toleranz und Völkerverständigung:
„Wir sind Juden, wir sind Christen und wir sind Moslems auf der Bühne. Und wir verstehen uns großartig. Das soll auch ein deutliches Zeichen setzen gegen die Fremdenfeindlichkeit in unserem Land. Mit unseren Auftritten machen wir deutlich, dass alle Menschen friedlich miteinander leben können, egal, welcher Kultur oder Religion sie angehören.“
Quälende Erinnerungen
Die Musik spielte von Anfang an eine große Rolle in ihrem Leben. Ihr Vater, Oberkantor der jüdischen Gemeinde in Saarbrücken, war ein begeisterter Musiker und gab diese Leidenschaft an seine Kinder weiter. „Ohne Musik ging bei uns Zuhause gar nichts“, erinnert sich Esther Bejarano an ihre glückliche Kindheit.
Mit dem Einmarsch von Hitlers Truppen 1935 ins Saarland endete diese unbeschwerte Zeit für immer. Es begannen Jahre der Ausgrenzung und Entrechtung, der die Deportation und Ermordung vieler geliebter Menschen folgen sollten. 1943 wird sie selbst nach Auschwitz deportiert.
Sie habe noch Glück gehabt, sagt sie. Denn sie sei nicht allein, sondern gemeinsam mit ihren Freunden in Auschwitz angekommen. „Wir haben zusammengehalten“, erinnert sie sich. „Die Solidarität hat uns beim Überleben geholfen.“ Und schließlich war es die Musik, die ihr das Leben rettete. Denn mit ihrer Aufnahme ins Mädchenorchester von Auschwitz entkam sie der Arbeitskolonne, in der sie Tag für Tag schwere Steine schleppen musste und dabei der Willkür und Brutalität der Aufseher ausgeliefert war.
„Hätte ich nicht das Glück gehabt, aus dieser Arbeitskolonne herauszukommen, wäre ich elendig zugrunde gegangen.“ Doch die Erinnerung an die Zeit im Mädchenorchester quält sie bis zum heutigen Tag: „Wir standen da und mussten spielen, wenn neue Transporte ankamen. Die Menschen haben uns zugewinkt und haben wahrscheinlich gedacht, wo Musik gespielt wird, kann es nicht so schlimm werden. Wir aber wussten, dass diese Menschen direkt in die Gaskammern gingen. Und wir konnten nicht helfen und auch nicht aufhören zu spielen, weil hinter uns die SS mit ihren Gewehren stand.“
Eine Kämpfernatur
Damals konnte sie sich nicht wehren. Konnte die Menschen nicht warnen. Heute schon. Und das tut sie. Unermüdlich. Als Vorsitzende des deutschen Auschwitz-Komitees engagiert sie sich seit vielen Jahren gegen Fremdenhass und Antisemitismus. Kürzlich war sie zu Gast in der Talkshow bei Anne Will. Ihre Worte gingen durch die Presse: „Ich werde so lange singen, bis es keine Nazis mehr auf der ganzen Welt gibt.“
Nein, an Aufgeben habe sie nie gedacht, sagt sie entschieden. Weder in Auschwitz, noch in Ravensbrück, noch auf dem Todesmarsch. Und auch später nicht. Wer die Shoah-Überlebende erlebt, spürt sehr schnell: Diese Frau ist eine Kämpfernatur. Eine, die das Leben liebt. Die in die Abgründe des Menschseins blicken musste und doch nie den Glauben an das Gute im Menschen verloren hat. Das Erfahrene hat sie geprägt und tief erschüttert, nicht aber gebrochen. Vielmehr hat es ihren unbedingten Willen zur Bewahrung der Menschlichkeit gestärkt.
Ihre Botschaft macht sie unmissverständlich klar: „Zeigt Zivilcourage. Helft einander. Schaut nicht weg, wenn Unrecht geschieht. Erkennt, dass wir von Menschen, die eine andere Kultur haben, viel lernen können. Und engagiert euch gegen jede Form von Ausgrenzung und Intoleranz.“
Für den Film Mut zum Leben – Die Botschaft der Überlebenden von Auschwitz begleitete die Autorin und Filmemacherin Christa Spannbauer die Shoah-Überlebende Esther Bejarano über zwei Jahre hinweg mit der Kamera. Seit Fertigstellung des Films ist sie selbst als Zweitzeugin unterwegs, um die Botschaft der Überlebenden von Zivilcourage und Völkerverständigung weiterzugeben.
Infos: www.christa-spannbauer.de/zweitzeugin