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Von der Möglichkeit, im Frühjahr die Schwalben zu begrüßen

hassan-pasha/ Unsplash
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Anders über Freiheit nachdenken

Freiheit bedeutet in unserer Kultur vor allem die Möglichkeit, tun zu können, was wir wollen. In ihrem Buch „Bleibefreiheit“ spricht die Philosophin Eva von Redecker von der Freiheit, „bleiben zu können“, sich auf das einzulassen, was ist, dem Übermaß ein Genug entgegenzusetzen. Ina Schmidt über eine neue Idee von Freiheit, die die planetaren Grenzen und die Freiheit anderer achtet.

Eine Welt der unbegrenzten Möglichkeiten klang noch vor gar nicht langer Zeit wie ein wunderbares Versprechen. Wer wollte das nicht: einen Raum haben, in dem Abenteuer locken, wir entdecken können, was auch immer uns interessiert, und wir werden können, was wir wollen. Das Mögliche wäre die Verheißung für etwas, das besser ist als das, was wir kennen.

Die Freiheit, tun zu können, was wir wollen, wenn wir die Möglichkeiten dafür schaffen.
Aber die„Optionalität“ als Wert an sich hat schon eine Weile an Glanz verloren, es ist einfach zuviel, was möglich geworden zu sein scheint. Und viele dieser Möglichkeiten sind eher bedrohlich als verlockend. Die Erkenntnis ist eigentlich nicht neu, aber so richtig zu erreichen scheint sie uns erst jetzt.

Freiheit ist mehr als die Erweiterung der eigenen Reichweite

Eine der zentralen Überzeugungen, die wir nicht hergeben wollen, liegt darin, dass wir sicher sind, entscheiden zu können, was wir tun und was wir lassen. Denn, egal wie: Wir sehen uns in vielen Situationen in der Lage, eine eine Wahl zu treffen und das ist es, was wir mit Freiheit meinen.

Nicht umsonst entzünden sich an der Frage nach dem Wert der Freiheit auf den persönlichen wie den globalen Bühnen immer wieder große Konflikte, aber auch Befreiungsbewegungen, die Aufbruch und eine Veränderung zum Besseren ermöglichen.

Was aber genau ist dieses Bessere, wenn wir die Richtung nicht mehr wirklich kennen? Der Fortschrittsgedanke, der das Maximale mit dem Optimalen gleichsetzt, ist mittlerweile in fast allen politischen Lagern ins Wanken gekommen.

Gerade das Streben nach „Mehr“, nach größerer Reichweite, die den Raum für all unsere Freiheiten ermöglichen soll, wird uns mehr und mehr zum Verhängnis. Wir haben diese Räume erobert, ausgenutzt, ausgebeutet und bis zur Besinnungslosigkeit ausgeschöpft:

Zurück bleiben zerstörte äußere und innere Landschaften, menschliche und biologische Monokultur sowie und ein soziales und ökologisches Klima, das mehr und mehr aus dem Gleichgewicht gerät. Ist es das, was wir als Land der unbegrenzten Möglichkeiten für uns in Besitz genommen haben, um mit all unserer Freiheit für die eigene Zerstörung zu sorgen?

Die Freiheit, bleiben zu können

Die Philosophin Eva von Redecker setzt in ihrem Buch „Bleibefreiheit“ (2023) eben diesem Verständnis ein anderes entgegen. Was würde sich ändern, wenn wir Freiheit nicht räumlich, sondern zeitlich denken? Wenn wir verstehen lernen, dass es auch Freiheit bedeutet, wenn wir uns nicht verändern und erweitern wollen, sondern einfach nur bleiben – am Leben bleiben und seine Fülle auf neue Weise genießen zu lernen.

Wir müssen nicht ständig aufbrechen, um alles neu zu ordnen, uns anders in einer Welt einzurichten, die wir aus den Fugen gebracht haben. Vielfach geht es eher darum, die Dinge, Zusammenhänge, Kreisläufe so zu lassen, wie sie sind.

Ein Leben im Einklang mit natürlichen Abläufen und dem Verstehen, wie diese Prozesse zusammenhängen: Ein „Leben mit und in den Gezeiten“, wie Eva von Redecker es nennt, so wie das Kommen und Gehen des Meeres oder der Aufbruch und die Rückkehr der Zugvögel. Das klingt romantischer als es ist, bedeutet es doch ein grundsätzliches Umdenken und die Bereitschaft, sich in seinen Entscheidungen an völlig anderen Kriterien auszurichten.

Aufgewachsen auf einem Bauernhof in Norddeutschland, war Eva von Redecker das Kommen und Gehen, das Aufbrechen und Heimkommen der Schwalben im Lauf der Jahreszeiten ein verlässlicher natürlicher Zusammenhang, ihre Ankunft im jeden Frühjahr wie ein besonderer Festtag:

„Wissen Sie, wie es sich anfühlt, wenn die Schwalben wiederkommen? Ich kenne niemanden, der neben Scheunen und Schuppen lebte, dem der Moment nichts bedeutete. Es ist ein Festtag, fast wie Weihnachten oder der Erste Mai.“

Eine verlässliche Wiederkehr von etwas, das über uns hinausreicht. Ein Rahmen, der zur Verfügung steht, ohne dafür etwa tun zu müssen, und der dennoch zeigt, dass sich manche Dinge auch in verrückten Zeiten nicht ändern. Die Schwalben fliegen davon, aber sie kommen wieder.

Regeneration statt Aufbruch: Mehr lassen als tun

Und doch ist diese Aufgabe eine große Herausforderung. Sie verlangt von uns, anders zu denken. Sie bedeutet, sich auf das einzulassen, was für uns Menschen „genug“ sein muss, damit wir als Teil eines Ganzen die bleiben können, die wir sind.

Eva von Redecker nennt dieses Ganze einen Zusammenhang der lebendigen Fülle, die frei wird, wenn wir nicht ständig optimierend das zu beeinflussen versuchen, was nicht uns gehört, was kommt und geht, entsteht und welkt.

Im Rückblick sehen wir, welche Folgen unser ausbeuterisches und übergriffiges Verhaltens auf diese lebendige Fülle hat. Es werden neue Maßnahmen notwendig, vielleicht müssen wir sogar die Bestäubung der Obstbäume selbst übernehmen, wenn es keine Insekten mehr gibt. Kann das tatsächlich das Ergebnis fortschrittlichen, freiheitlichen Handelns sein?

Ein anderes Fortschrittsdenken stellt andere Fragen: Die Frage nach dem, was genug ist, was uns reicht, damit etwas anderes in seiner Vielfalt gedeihen kann, das auch uns letztlich nützt.

Zugegeben hat sich durch dieses menschliche Denken in Fortschritten und Reichweiten, in Machbarkeiten und Erklärungsmöglichkeiten auch für uns vieles zum Besseren entwickelt – der technische und medizinische Fortschritt, der Wohlstand für mehr Menschen, ängere Lebenserwartungen und ein höherer Bildungsstandard. Aber zu welchem Preis?

Dem Übermaß ein „Genug“ entgegen setzen

Wenn wir uns fragen, was uns das alles angeht, wenn wir warm und trocken über den Grad unserer individuellen Freiheit nachdenken, dann sieht es an anderen Orten der Welt bereits ganz anders aus: Hier richten Klimakrise und Artensterben jetzt schon verheeende Schäden an und schränken die Freiheit der dort lebenden Menschen enorm ein.

Was also können wir lassen, um dafür zu sorgen, dass alle Menschen auch in einigen Jahrzehnten noch dort bleiben können, wo sie heute sein wollen? Dass wir unseren Kindern eine Welt hinterlassen, in der es sich zu bleiben lohnt und in der wir alt werden und bleiben können?

Noch haben wir die Freiheit, uns dafür zu entscheiden. Diese Freiheit sucht die Fülle des Lebens nicht immer dort, wo wir gerade nicht sind. Vielmehr beruht sie auf der Fähigkeit zu sehen, was in einem ökologischen Zusammenhang immer schon da ist. „In einer Zeit der Fülle haben wir größere Freiheit. Nicht einfach, weil „mehr“ da ist, sondern weil sich alles gegenseitig trägt,“ so Eva von Redecker.

Dieses Ziel begrenzt vordergründig unsere Möglichkeiten, macht das eigene Land der nur scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten kleiner. Aber ist es nicht das, was wir eigentlich wollen – überfordert, gestresst und auf der Suche nach Orientierung? Die Orientierung könnte auch darin liegen, dass wir dem Überfluss ein „Genug“ entgegensetzen und beginnen, kleiner zu denken.

Vielleicht gewinnen wir an Tiefe und Fülle, wenn wir einfach einmal bleiben, wo wir sind. Und mit etwas Glück können auch wir irgendwo neben den Schuppen und Scheunen, die wir vor unserer Haustür entdecken, im Frühjahr die Schwalben begrüßen und daraus einen leisen, ganz persönlichen Festtag machen.

Ina Schmidt

Eva von Redecker. Bleibefreiheit. Fischer 2023

 

 

 

 

 

 

 

 

Dr. Ina Schmidt studierte Angewandte Kulturwissenschaften an der Universität Lüneburg, Forschung und Lehre am Institut für Philosophie sowie Promotion 2004. Gründung der denkraeume, einer Initiative zur Vermittlung philosophischer Praxis.

Autorin philosophischer Sachbücher für Erwachsene und Kinder, zuletzt erschienen „Die Kraft der Verantwortung. Über eine Haltung mit Zukunft“ in der Edition Körber (2021) und „Wo bitte geht´s zum guten Leben?“ im Carlsen Verlag (2022).

Ina Schmidt ist Mitglied der Internationalen Gesellschaft für philosophische Praxis, Teil des Ideenrates am Zentrum für gesellschaftlichen Fortschritt in Frankfurt. Außerdem arbeitet sie als Referentin für verschiedene Bildungseinrichtungen, u.a. in dem Projekt „Gedankenflieger“ am Hamburger Literaturhaus.

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