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Von trennender zu verbindender Sprache

Juri Gianfrancesco/ Unsplash
Juri Gianfrancesco/ Unsplash

Ein Essay von Mike Kauschke

Unsere Sprache spiegelt unsere Wahrnehmung der Welt. Sie kann Menschen zu Objekten machen oder Verbundenheit ausdrücken. Autor Mike Kauschke hält es in Zeiten von sozialen Medien, KI und Genderdebatten für besonders wichtig, miteinander in Resonanz zu sein und eine lauschende Sprache zu pflegen.

Die Sprache ist ein Ausdruck unseres Bewusstseins. Wie wir die Dinge und Wesen der Welt ansprechen, sie in unser Sprechen aufnehmen und darin bewegen, sagt viel darüber aus, wie wir die Welt wahrnehmen und mit ihr umgehen.

Sprache kann Grenzen überwinden, kann verbinden, uns von Fremden zu Vertrauten werden lassen, kann wechselseitiges Verstehen stiften. Sprache kann aber auch trennen, Gräben ziehen, sie kann Kriege erklären, vorbereiten und anheizen.

Von Ingeborg Bachmann stammt der Satz: „Hätten wir das Wort, hätten wir die Sprache, wir bräuchten die Waffen nicht.“ Darin liegt die Einsicht, dass Krieg im Kleinen und Großen dann beginnt, wenn die verständigende Kraft der Sprache scheitert oder wir uns dieser verbindenden Fähigkeit verschließen. Wenn unser Sprechen aus einem Bewusstsein der Trennung kommt und sich nicht mehr unserer menschlichen Verbundenheit öffnet.

Sprache, die den anderen zum Objekt macht

Wir leben heute in einer Zeit, in der wir die Sprache durch die wissenschaftliche Erweiterung unseres Wissens über die Welt stark ausdifferenziert haben. Aber die wissenschaftliche Sprache bleibt für viele abstrakt.

Die gegenständliche rationale Sprache arbeitet genau mit dieser Abstraktion, um die Gegen-stände der Welt, zu denen auch die lebendigen Wesen zählen, in ihren äußeren Merkmalen zu verstehen, zu benennen, zu messen, zu zählen, zu vergleichen, in Kategorien einzuordnen und dadurch nutzbar, gebrauchbar zu machen.

Diese Form des Sprechens ermöglicht es, die Welt auf eine objektive Weise zu erkennen, was in Wissenschaft, Technik und Weltgestaltung große Möglichkeiten eröffnet hat, auf denen unsere Zivilisation heute beruht.

Aber wir haben damit auch ein Sprechen gelernt, das die anderen Wesen und die Dinge zu Objekten macht, die getrennt von uns existieren, die wir manipulieren, kontrollieren und benutzen können. Von denen wir uns etwas für unser eigenes Wohlergehen erhoffen oder vor denen wir Angst haben und die wir deshalb bekämpfen wollen.

Diese Form eines vergegenständlichen Denkens und Sprechens findet durch technologische Algorithmen in den digitalen, sozialen Medien eine besonders starke Ausdrucksform. In diesen virtuellen Räumen ohne unmittelbaren Kontakt wird es noch einfacher, den anderen zu vergegenständlichen.

In Kommentaren kann sich Frustration und Hass entladen, weil ich nicht mehr spüre, dass es sich um einen anderen Menschen handelt. So schreibe ich in einer Sprache, die ich in direktem Augenkontakt nicht äußern würde.

Hier wird eine Verrohung der Sprache auch zu einer gesellschaftlichen, einer demokratischen Frage. Denn sie kommt aus einer Verrohung des Denkens, des Bewusstseins. Der andere Mensch mit der von mir abweichenden Einstellung wird dann nicht als mögliche Bereicherung eines auch kontroversen Gesprächs verstanden, sondern als Gegner, der zum Schweigen gebracht werden muss.

KI: Sprache ohne gelebte Erfahrung

Eine weitere sprachliche Herausforderung besteht darin, dass sich auch die künstliche Intelligenz der Sprache bedient. Sprachprogramme wie ChatGPT vermitteln den Eindruck, als würden wir mit jemandem sprechen, wobei wir nur mit einem maschinellen, selbstlernenden Algorithmus interagieren.

Hier wird die menschliche Fähigkeit des Sprechens maschinell simuliert. Denn eigentlich ist es kein Sprechen, denn es gibt kein Gegenüber, niemanden, den wir ansprechen, von dem wir angesprochen werden.

ChatGPT kann alle Sprachformen simulieren, bis hin zur Lyrik, aber es ist keine gelebte Erfahrung darin, und deshalb ist es tote, entleerte, benutzte Sprache. Die ins Extrem getriebene Sprache der Getrenntheit.

Auch ich nutze ChatGPT manchmal für eine Recherche, es kann uns auch unterstützen, aber wir laufen Gefahr, dass sich unser menschliches Sprechen zunehmend nach der technologischen Sprachnutzung formt: Dann nehmen wir nicht mehr wahr, dass wir in unserer sozialen und lebendigen Sphäre immer jemanden oder etwas ansprechen.

Wenn wir das nicht mehr spüren, wird unsere Sprache weiter verrohen und vergegenständlichen. Und wir laufen Gefahr, uns als Menschen nicht mehr zu verstehen, weil wir gar nicht wissen, wie man ein Gespräch mit einem lebendigen, anwesenden, spürfähigen Gesprächspartner führt.

Sich dadurch berühren, infrage stellen, verwandeln lässt. Dann verhärten wir und die gesellschaftlichen Fronten. Oder wir verlieren die Orientierung, weil wir nicht mehr unterscheiden können, was simuliert und was wirklich ist.

Gendern: Schlachtfeld Sprache

Heute ist die Sprache selbst zu einer Art Schachtfeld ideologischer Kämpfe geworden. Eine Bewegung der letzten Jahrzehnte ist die Sensibilisierung in der Verwendung von Sprache dahingehend, inwieweit dadurch bestimmte Gruppen ausgeschlossen oder herabgesetzt werden.

Ganz besonders zeigt sich diese Sensibilisierung im Gendern und der Verwendung von Formulierungen, die sich nicht nur auf das männliche Geschlecht beziehen. Um Sinn und Unsinn des Genderns ist mittlerweile ein Kulturkampf entbrannt, in dem das Sprechen selber Trennungen schafft.

Auf der einen Seite haben sensibilisierte Menschen kein Verständnis dafür, dass Konservative an alten Sprachformen festhalten wollen. Die hingegen haben das Gefühl, dass traditionell gewachsene Formen des Sprechens verlorengehen oder zerstört werden. Sie verstehen die Welt nicht mehr.

Gerade hier wäre ein sensibler Umgang mit solchen Prozessen des Wandels nötig, in dem man das Anliegen einer inklusiveren Sprache vorbringt, gleichzeitig aber auch versteht, dass eine Sprache ein gewachsenes Gebilde ist, das in sich Werte und Traditionen birgt, die für Menschen Identität stiften.

Denn das Entscheidende ist ein Wandel des Bewusstseins hin zu mehr Inklusion und weniger Ausgrenzung. Wenn man jedoch nur auf die „richtige“ Sprache achtet, kann das zur neuen Regel werden, die Menschen politisch korrekt befolgen, ohne aber den eigentlich dahinter liegenden Bewusstseinswandel zu durchlaufen.

Sprache ist Ausdruck des Bewusstseins, aber nicht damit identisch. Wir können durch unser Sprechen auch uns selbst und andere täuschen. Deshalb wäre auch hier ein ehrliches Gespräch über die jeweiligen Anliegen und Ängste vonnöten, in dem der oder die Andere als gleichwertiges Gegenüber wahr- und ernstgenommen wird.

Resonanz und lauschende Sprache

Angesichts dieser Herausforderungen, in denen das unser Sprechen stattfindet, liegt für mich eine Antwort im Einüben einer lauschenden, einer hörenden Sprache. Sie erwächst daraus, dass ich die Welt nicht als tot und eine Ansammlung von Objekten erfahre, mit denen ich machen kann, was ich will, sondern als etwas Wesenhaftes, das mich anruft, mich anspricht.

Auch in einem hektischen Alltag können wir Erfahrungsräume finden, um das Lauschen einzuüben. Das können Momente der Stille sein, in denen ich tiefer in mich hineinlausche, und erkunde, was eigentlich jetzt anwesend ist.

Wenn ich die lebendige Natur tiefer wahrnehme und den Baum, die Blume, den See spüre. Ein Musikstück offen und resonanzfähig anhöre, ein Gemälde etwas länger als üblich auf mich wirken lasse, ein Gedicht lese, so dass es sich in mir bewegen kann.

Oder auch selbst schöpferisch tätig bin und aus dem inneren Lauschen etwas in die Welt bringe. Wenn ich in einem Gespräch wirklich zuhöre und den anderen in seinem Anliegen wahrnehme, bevor ich mit einer Meinung reagiere. Auch in konfliktreichen Gesprächen kann ich trotz abweichender Sichtweisen auf das tiefere Anliegen in anderen hören und es ansprechen.

Eine solche Praxis der lauschenden Sprache kann auch das Handeln verbundener werden lassen: Ich lasse die Waffen fallen und suche die Worte, die verbinden. Das mag sich naiv anhören, doch es sind kleine aber nichtdestotrotz wirkliche und wirkende Schritte in ein Miteinander, das von Verständnis und Mitgefühl getragen ist. Und jeder von uns kann sie gehen.

Mike Kauschke ist Autor, Übersetzer, Dialogbegleiter und Redaktionsleiter des Magazins evolve. Autor des Buches „Auf der Suche nach der verlorenen Welt – Eine Reise zur poetischen Dimension unseres Lebens“. www.mike-kauschke.de www.poetische-lebenskunst.de

Der Autor begleitet auch die Dialog-Abende des Netzwerks Ethik heute, die mehrmals im Jahr online stattfinden. Infos und Termine zu unseren Dialogen

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