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Was wir gewinnen, wenn wir geben

Foto: Yuttana Taonok/ Shutterstock
Foto: Yuttana Taonok/ Shutterstock

Über eine spirituelle Praxis in Thailand

In Thailand ist es üblich, jenen, die Religion praktizieren, etwas für ihren Lebensunterhalt zu geben. Andrea Liebers berichtet von Menschen, die jeden Tag über Jahre hinweg die Praxis des Gebens üben und darin den Sinn ihres Lebens finden.

Schenken kann so einfach sein! Das zeigte mir ein Aufenthalt in einem buddhistischen Kloster in Thailand, in dem ich diesen Winter zu Gast war. Dort gibt es die Tradition des „Pindabat“, das ist der Almosengang der Mönche. Sie gehen frühmorgens barfuß aus ihrem Kloster, um von der Bevölkerung etwas zum Essen und zum Trinken in ihre Almosenschalen gelegt zu bekommen.

Um Almosen – mildtätige Gaben – im christlichen Sinn geht es beim Pindabat allerdings nicht. Die Mönche gehen nicht als bedürftige Bettler an der langen Reihe der Gebenden vorbei. Ihre Armut ist selbst gewählt, und sie bekommen so viel geschenkt, dass sie auf die Gabe eines Einzelnen nicht angewiesen sind. Die, die geben, sind es, die sich bedanken. Sie verneigen sich voller Respekt vor den Mönchen, bevor sie die Almosenschale füllen. Diese wiederum nehmen das Gegebene vollkommen gleichmütig an, zeigen dabei keine Gefühlsregung, bedanken sich nicht und weisen nichts zurück.

Zu Hunderten strömen die Menschen jeden Tag herbei, manche ziehen kleine Karren hinter sich her, die voll beladen sind mit frisch zubereiteten Mahlzeiten, Früchten und Getränken. Da man keine ganze Wagenladung in eine Almosenschale schütten kann, genügt die Berührung mit der Schale, und der Inhalt des Topfes oder des Backbleches gilt damit als geschenkt.

Sie bedanken sich dafür, geben zu dürfen

Als ich zum ersten Mal die Mengen sehe, die jeden Morgen gespendet werden, kann ich es kaum glauben. Was die Mönche, die Nonnen und die Laien, die im Kloster leben und wie die Ordinierten die Regel des „Einmal am Tag-Essens“ einhalten, nicht brauchen, geht zurück an die Bevölkerung. Sie nehmen den Überschuss wieder mit nach Hause und verteilen Essen und Getränke, Kuchen, Süßigkeiten und Früchte an Verwandte und Nachbarn bei sich im Dorf. Und das jeden Tag!

Die Kindern lernen das Geben von klein auf. Foto: Liebers

Die Kindern lernen das Geben von klein auf. Foto: Liebers

Nicht nur den Mönchen werden Essen und Getränke geschenkt. Rund ums Kloster sind Stände aufgebaut, an denen jeden Morgen alle, die als Gebende zum Pindabat gekommen sind, mit Reissuppe, Reis mit Gemüse, Waffeln, Kuchen, Kaffee versorgt werden – alles für umsonst. Es ist denen, die hinter diesen Ständen stehen, eine große Ehre und Freude, wenn man kommt und etwas entgegen nimmt. Herzlich bedanken sie sich dafür, dass man etwas von ihnen annimmt und ihnen dadurch ermöglicht, großzügig zu sein.

Klingt alles zu schön, um wahr zu sein? Geben die Thailänder nicht nur aus Konvention, weil sie so erzogen wurden? Fühlen sie sich als Buddhisten denn nicht einfach auch verpflichtet zu geben, weil es ihre Religion so will oder weil ihr Nachbar es tut und sie nicht als knausrig dastehen wollen? Erwarten sie dadurch nicht vielleicht doch die Aufbesserung ihres Karmas und hoffen, dass sie dann im nächsten Leben als vermögend wiedergeboren werden?

„Das Geben gibt mir Kraft“

Um dies zu klären, müsste ich sie fragen, warum sie es tun. Lek, ein in Deutschland geborener Thailänder, hilft mir und übersetzt für mich. Am nächsten Morgen begleitet er mich zum Pindabat.

Als Erstes besuchen wir einen Stand, an dem Kaffee, Tee und Gebäck angeboten wird. Der Standbetreiber Punasak ist ein 65 Jahre alter Rentner. Wir erfahren, dass er früher Universitätsprofessor für Sportpädagogik war und seit seiner Pensionierung vor einem Jahr jeden Morgen zum Kloster kommt, um an die Laien und Mönche Kaffee, Tee und Gebäck zu verteilen. Wenn es seine Gesundheit erlaubt, möchte er damit bis zum Ende seines Lebens fortfahren.

Viele Thailänder schenken jeden Tag etwas.

Viele Thailänder schenken jeden Tag etwas.

Auf die Frage, warum, sagt er: „Ich tue das, weil die Lehre des Buddha Großzügigkeit predigt. Wenn man freigebig ist, bekommt man diese zurück, und nicht nur das, man findet auch neue Freunde. Ich kaufe Tee, Kaffee und Gebäck von meiner Rente. Ich bin froh, dass ich das Geld auf diese Art verwenden kann. Jeden Morgen hierher zum Kloster zu kommen, gibt mir Kraft. Die Energie, die ich dadurch bekomme, will ich anderen weitergeben, deshalb hoffe ich, dass viele an meinen Stand kommen.“ Natürlich bietet er uns Kaffee und Gebäck an und bedankt sich dafür, dass wir seine Gaben annehmen.

Ganz in seiner Nähe befindet sich ein weiterer Kaffeestand, hinter dem Anong steht, eine 60 Jahre alte Hausfrau, die früher im Handel tätig war. Sie kommt, erzählt sie, seit drei Jahren hierher, jeden morgen von 7 bis 9 Uhr. „Ich schenke hier jeden Morgen Tee und Kaffee aus, um Großzügigkeit zu praktizieren und etwas Heilsames zu tun. Meine Familie und meine Freunde unterstützen mich dabei finanziell, denn sie wissen, dass ich das nicht tue, um damit Geld zu verdienen.“ Wieder bekommen wir Kaffee angeboten, und auch Anong bedankt sich, dass wir etwas von ihr annehmen.

„Ich investiere in die Praxis der Freigebigkeit“

Gegenüber sehen wir den Stand einer Frau, die uns freundlich anlächelt. Wir wechseln die Straßenseite, stellten uns und unser Anliegen vor. Gerne steht uns Supaporn, so der Name der Frau, Rede und Antwort. Wir erfahren, dass sie 50 Jahre und von Beruf Bäuerin ist und jeden Samstag zum Kloster kommt, um den Mönchen und Laien Reissuppe auszuschenken. „Ich möchte Verdienste durch Freigebigkeit ansammeln. Das Geld, das ich übrig habe, investiere ich in die Praxis der Freigebigkeit. Inzwischen begleitet mich dabei auch meine Enkelin Winbanja, sie ist jetzt 14 Jahre alt und geht noch zur Schule“, erklärt sie. Natürlich müssen wir auch hier eine Schale Reissuppe nehmen. Winbanja streut noch eine Extraportion frisch geschnittenen Koriander darauf, es schmeckt vorzüglich.

Nun möchte ich jemanden befragen, der in der Reihe derer steht, die den Mönchen etwas bringen. Mir war schon die letzten Tage eine Frau aufgefallen, die jeden Morgen einen Wagen voller Gaben brachte. Erst will sie uns die Fragen nicht beantworten, da sie findet, dass das Schenken nichts sei, womit man sich wichtig tun sollte. Als ich ihr aber durch Lek erkläre, dass wir Deutschen diese Gebepraxis nicht kennen und gerne mehr darüber erfahren möchten, willigt sie ein.

Nong ist ihr Name, sie ist 63 Jahre alt, war früher Verkäuferin und lebt seit über zehn Jahren im Frauenteil des Klosters. In ihrem „Gaben-Wagen“ befinden sich abgepackte frisch zubereitete Mahlzeiten, Früchte und Süßigkeiten. Sie erzählt: „Ich beginne mit den Vorbereitungen zum Kochen schon am Vortrag um ungefähr 17 Uhr und mache dann am nächsten Morgen um 3 Uhr weiter. Die Zutaten kaufe ich von meinem eigenen Geld, bekomme aber von anderen auch Spenden dafür. Oft kommen auch Gemüsehändler vorbei und liefern etwas beim Kloster ab. Das verteilen wir dann an die, die kochen. Das Kochen für die Mönche und die Praktizierenden ist inzwischen zu meiner Lebensaufgabe geworden. Ich mache das sehr gern, es ist das Höchste, was ich geben kann. Ich bin glücklich, Freigebigkeit praktizieren zu dürfen. Ich bemühe mich, beim Kochen ganz achtsam und mit dem Herzen dabei zu sein.“

Allen, die kommen, wird gegeben. Foto: Liebers

Allen, die kommen, wird gegeben. Foto: Liebers

Wir befragen noch weitere Leute und erhalten immer wieder dieselben Antworten. Viele kommen tatsächlich jeden Morgen zum Kloster und einige schon seit über 10 Jahren und mehr. Manche haben selbst nicht genug Geld, um jeden Tag etwas für den Pindabat zu bringen. Dann sind Freunde und Verwandte gerne bereit, dafür etwas zu geben, denn so können sie ebenfalls Freigebigkeit praktizieren.

 

Geben, um zu geben

Lek wird erst durch die Interviews darauf aufmerksam, wie sehr sich die Großzügigkeit, die in Thailand praktiziert wird, von dem Geben bei uns unterscheidet. „Die Deutschen geben Geld oder eine Anstrengung und erwarten meistens eine Gegenleistung dafür“, meint er, „während hier in Thailand die Leute beim Geben nichts zurück erwarten, sondern sie freuen sich, etwas vom Herzen her zu geben. Es gibt natürlich auch in Deutschland großzügige Menschen, die gerne spenden, dann aber meistens zielgerichtet, für ein bestimmtes Projekt. Die Großzügigkeit, die die Thais hier praktizieren, ist ohne Ziel, sie geben nur um zu geben.“

Inzwischen verstehe ich auch besser, warum ich im Kloster ständig von wildfremden Leuten mit kleinen Geschenken bedacht werde. Mal sind es Süßigkeiten, mal etwas zu trinken, ein anderes Mal eine Sonnencreme oder Kerzen. Ich wusste die ganze Zeit nicht, wie ich damit umgehen sollte und bedankte mich ausführlich. Bis Lek mir erklärte, dass das nicht nötig sei, sondern dass die Leute sich freuen würden, mir etwas schenken zu können. „Wenn man etwas schenkt, weiß man einfach, dass man, von wem auch immer, auch wieder etwas geschenkt bekommt“, so seine Überzeugung.

Von da an hatte ich es verstanden und übte mich ebenfalls im Schenken. Und siehe da: Ein wunderbares Gefühl stellte sich dabei ein. Nicht nur das gute Gefühl, jemanden beschenkt zu haben, sondern auch ein wohltuendes Gefühl der Verbundenheit und Leichtigkeit. Ob ich das auch in Deutschland würde erleben können?

Heimgekommen, mache ich meiner Nachbarin ein kleines Geschenk. Sie schaut mich konsterniert an und fragt: „Für was denn?“ – „Einfach so!“, antwortete ich, merkte aber an ihrer Reaktion, dass sie sich nicht wirklich wohlfühlte, ohne Grund beschenkt worden zu sein. Ganz so einfach ist das Schenken also doch nicht.

AndreaLiebers-web
Andrea Liebers schreibt Kinder- und Jugendbücher und ist Trainerin für kreatives Schreiben. Hier geht es zu ihrer Website

 

 

 

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