Der Film “Anna” ruft zum Handeln auf
Die 16-jährige Anna hat düstere Visionen einer Welt im Klimachaos. Ein Psychologe schickt sie auf eine Zeitreise ins Jahr 2082. Sie erkennt, dass sie etwas tun muss. In dem Kurzspielfilm „Anna“ verarbeiten Studierende der Filmakademie Baden-Württemberg die Ängste junger Menschen heute. Interview mit der Filmemacherin Christina Honig.
Birgit Stratmann sprach mit Produzentin Christina Honig
Frage: Zusammen mit Regisseur Jonathan B. Behr und Producerin Merle Lola Millingen hast du einen spektakulären Kurz-Spielfilm produziert, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Jostein Gaarder. Kannst du die Story kurz zusammenfassen?
Honig: Wir erzählen die Geschichte der 16-jährigen Anna in Norwegen, die von düsteren Zukunftsvisionen geplagt ist, auch die Klimakrise spielt eine Rolle. Deshalb sucht sie einen Psychologen auf. Dieser rät ihr, sich erst einmal ein wenig auf die Visionen einzulassen.
Dann macht sie eine magische Zeitreise und findet sich im Jahr 2082 wieder. Sie lernt ihre Enkeltochter kennen. Es entwickelt sich ein dramatisches Geschehen, in dem die beiden das zukünftige Dorf von Anna” vor einer Katastrophe bewahren müssen.
Was hat dich an diesem Ansatz interessiert, dass die Idee für einen Film in dir entstanden ist?
Honig: Der Roman „2084 – Noras Welt“ von Jostein Gaarder hat mich gepackt. Der Autor ist auch Philosoph, er denkt Verantwortung horizontal, dass wir auch Verantwortung für zukünftige Generationen haben.
Daher kommt seine Idee, einen jungen Menschen quasi in die Zukunft zu versetzen. Das hat mich inspiriert, weil die Zukunft uns oft so abstrakt erscheint. Über die Geschichte von Gaarder kann man sich konkret annähern und sich fragen: Wie werden meine Nachfahren leben, gerade auch angesichts von Klimakrise und Artensterben?
Hat es dich auch politisch interessiert? In Politik und Gesellschaft wird ja eher aus der Vergangenheit heraus entschieden, die man gern bequem fortsetzen würde, und nicht für die längere Zukunft.
Honig: Ja, die Geschichte ist politisch, sie hinterfragt die Haltung des kurzfristigen Denkens und Handelns. Wahr ist: Vieles von dem, was heute entschieden wird, betrifft zukünftige Generationen. Der Film ist ein Gedankenexperiment: Wie können wir länger denken und planen? Der Twist ist, dass Anna natürlich in der Zukunft nichts verändern kann, sondern nur im Hier und Jetzt.
Wir wollten die Fantasie anregen.
Die Ankündigung spricht von „Hoffen und Handeln“. Das klingt fast etwas harmlos. Die Zuschauer*innen erwartet eine Mischung aus Dystopie, Utopie, Action Film. Hattest du das schon so im Kopf?
Honig: Wir wollten mit dem Film nicht moralisieren, sondern die Fantasie anregen und auch unterhalten. Die Radikalität und Drastik, mit der wir erzählen, hat sich mit der Zeit entwickelt – und zwar auch, weil wir uns noch intensiver mit der Klimathematik befasst haben.
So wendet sich der Film an Menschen, die sich vielleicht gar nicht mit der Klimakrise beschäftigen würden. Es ist zuerst eine Abenteuergeschichte, in der die drohende Katastrophe mitverarbeitet wird. Man sieht, dass es nichts bringt, davor wegzulaufen.
Es ist auch okay, Angst, Ohnmacht zu empfinden. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Das fragen wir auch die Zuschauer*innen: Was ist mein Einflussbereich, in welcher Position bin ich und was kann ich bewirken?
Ein wichtiger Punkt ist, dass Anna als junge Frau das Thema nicht einfach verdrängen kann, wie Erwachsene es tun, nach dem Motto: Wird schon irgendwie gut gehen.
Honig: Dieses Gefühl von Stabilität, man hat irgendwie eine Perspektive und es wird alles besser werden – das kenne ich in meinen Kreisen überhaupt nicht. Bei uns sind es eher Gefühle von Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit.
Gleichzeitig transportiert der Film: Das stärkste Mittel gegen die Ohnmacht ist das Handeln, aktiv zu werden. Sobald ich anfange, etwas zu tun, merke ich, dass Veränderung möglich ist, sei es im Kontext von Familie, Schule, Betrieb. Jetzt haben wir es noch in der Hand, das Schlimmste abzuwenden, aber je länger wir warten, um so schwieriger wird es.
Das Machen des Films war eine gewaltige Reise.
Hast du selbst, habt ihr im Team auch eine Transformation durchlaufen, während ihr den Film gemacht habt?
Honig: Bei der Drehbuchentwicklung haben wir ein Team-Wochenende gemacht und dazu auch Wissenschaftler und Aktivist*innen eingeladen. Wir haben einen halbe Tag lang selbst gedanklich eine Zeitreise gemacht, die Aufgabe war: Jede soll eine Figur kreieren, die 2021 als junger Mensch lebt und weitere 20, 30 Jahre leben würde, also in die Klimakrise hinein.
Am Abend waren wir alle total aufgewühlt, manche waren richtig verzweifelt. Diese gemeinsame Erfahrung hat Spuren in uns hinterlassen und uns den tieferen Sinn des Projekts verstehen lassen. Ich selbst habe zeitgleich mit den Arbeit am Film damit begonnen, mich in der Klimabewegung zu engagieren, zuerst bei Fridays for Future, dann bei der Letzten Generation.
Am Ende der Geschichte wird Gewalt angewendet. Fändest du es legitim, mit Gewalt gegen gravierende Missstände vorzugehen, oder ist das für dich eher jetzt diese künstlerische Herangehensweise, um so etwas wie Entschlossenheit und Mut zu transportieren?
Honig: Gewalt kann nie eine Lösung für irgendwas sein. Wir haben lange überlegt, wie wir diese Drehbuchszenen darstellen. Ich sehe das Ende als eine Metapher. Sie zeigt, dass die Klimakrise tödlich ist, man denke nur an die Hitzetoten, die Opfer der Überschwemmungen im Ahrtal. Die Klimakatastrophe kostet Menschenleben.
Die andere Sache ist, dass wir mit dem Ende auch auf Umweltaktivist*innen anspielen wollen, die ermordet wurden. Unser Regisseur, Jonathan Behr, meinte, der tragischste Moment sei am Ende, wo Nova und Anna über Funk im Kontakt sind. Anna sagt: „Da ist ein Soldat“, und Nova antwortet: „Töte ihn“.
Das zeigt: Wenn erst einmal Menschen an der Macht sind, die Gewalt einsetzen, wie beispielsweise Faschisten, dann ist es zu spät, das Ruder gewaltfrei herumzureißen. Nova lebt in einer solchen Zeit und muss jetzt handeln, egal was ihre inneren Werte sind.
Der Film fragt: Was ist deine Utopie?
Ihr habt drei Jahre und auf Spendenbasis an dem Film gearbeitet, mit 250 Ehrenamtlichen. Es gab viele Hindernisse, u.a. die Pandemie. Warst du sicher, dass ihr es schafft?
Honig: Es war eine gewaltige Reise. Im studentischen Filmemachen muss man immer sehr viel Herzblut reingeben, weil das Geld nicht reicht und man auf ehrenamtliche Unterstützung angewiesen ist.
Ich bin total beeindruckt, dass wir diese Menschen alle gefunden haben. Das lag natürlich auch am Thema und an dem großen Engagement. Dann gab es noch die Spender wie die Nordkirche, die Okeanos Stiftung und die cooldown°earth foundation. Alle haben an uns geglaubt, das hat mich gestärkt.
Was glaubst du, kann Kunst, kann ein Film heute bewirken, gesellschaftlich?
Honig: Das ist eine sehr große Frage. Über Filme erreichen wir die Menschen emotional. Ich bin ein großer Fan von Wissenschaft und konstruktivem Journalismus, aber ein Film hat eine andere Kraft. Und er baut den Weg in eine Zukunft, die wir uns dann vorstellen können. Das funktioniert ja immer, wenn wir Geschichten erzählen.
Unser Film fragt: Was ist deine Utopie? Was könnte eine positive Lösung für die Probleme sein, die wir gerade vor uns sehen? Wir haben versucht, zumindest nicht die gängigsten Erzählmechanismen zu verwenden, sondern anders heranzugehen. Weiter zeigt der Film, dass es nur gemeinsam geht: Wir müssen uns mit anderen verbinden, um wirksam zu sein.
Infos zum Film
Der Kurz-Spielfilm „ANNA – A Tale for Tomorrow“ ist von Studierenden der Filmakademie Baden-Württemberg produziert worden. Premiere war am 23. Januar 2024 auf dem großen Nachwuchs-Filmfestival „Max Ophüls-Preis“ in Saarbrücken. Ab April 2024 soll der Film auch für die Bildungsarbeit verfügbar sein.
Im März 2024 gibt es das ein exklusives Online-Screening für diejenigen, die den Film über Crowdfunding unterstützen:
www.startnext.com/a-tale-for-tomorrow
Christina Honig ist Absolventin der Filmakademie Baden-Württemberg und arbeitet als Produzentin und Klimaaktivistin in Leipzig. In ihren Filmen verbindet sie Klimakommunikation mit Storytelling, um die Dringlichkeit der Klimakrise zu vermitteln und zu einer sichereren Zukunft beizutragen.