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“Man könnte schnell eine gerechte Weltordnung entwerfen”

Foto: Karl Gabor
Foto: Karl Gabor

Interview mit Jakob von Uexküll

Jakob von Uexküll ist Gründer des Weltzukunftsrates, der sich als eine Vertretung zukünftiger Generationen versteht. Im Interview mit Geseko von Lüpke fordert der 80-Jährige angesichts globaler Krisen Lösungen, die aus der Zukunft heraus gefunden werden: „Wir haben alles, was wir brauchen, um eine andere Welt aufzubauen“.

Frage: Als Gründer des ‚Alternativen Nobelpreises‘ und des ‚Weltzukunftsrates‘ verbreiten Sie seit 45 Jahren weltweit Geschichten über ‚Projekte der Hoffnung‘ und Lösungen für die globalen Herausforderungen. Fühlten Sie sich nie entmutigt?

Uexküll: Dazu habe ich überhaupt keine Zeit. Es gibt viel zu viele Möglichkeiten der Veränderung, als dass man ein Pessimist sein kann. Es gibt natürlich auch zu viele Krisen, als dass man einfach Optimist sein kann. Daher bin ich Possibilist, ich sehe die Möglichkeiten!

Aber ich weiß auch – wie es Ernst Bloch, der deutsche Philosoph der Hoffnung einmal sagte: ‚Es gibt immer das Risiko, dass der große geschichtliche Augenblick auf ein zu kleines Menschengeschlecht trifft‘.

Ein normales Leben ist eigentlich für alle, die sich der historischen Aufgabe für diese Erde bewusst sind, nicht möglich. Das sollte aber nicht dazu führen, dass man sich da paralysiert und verzweifelt fühlt.

Jeder hat Möglichkeiten, Nischen, jede träumt Gedanken des Wandels. Aber Menschen bremsen sich selbst aus, indem sie sich sagen: „Wenn ich jetzt viel Unterstützung hätte, ein guter Redner wäre und die Experten und Banken auf meiner Seite hätte, dann würde ich …“. Meine Devise: Fang doch einfach an!

Als Sie den ‚Alternativen Nobelpreis‘, den Right Livelihood Award 1980 begründeten, proklamierte Margaret Thatcher ihren konservativen Kurs unter dem Slogan ‚TINA‘ (‚There is no alternative!‘). Haben wir tatsächlich keine Alternative?

Uexküll: Wir haben alles, was wir brauchen, um eine andere Welt aufzubauen: die Kenntnisse, die Arbeitskraft und das wissenschaftliche Wissen. Es wird oft behauptet, es fehle an Geld. Das ist der größte Blödsinn.

Es fehlt heute nicht an Geld, sondern nur an politischem Mut, zu sagen: „Ich mache da nicht mehr mit!“ Man könnte in sechs Monaten bis einem Jahr eine positive, gerechte, nachhaltige Weltordnung mit den entsprechenden Institutionen entwerfen.

Die nächsten Jahre sind entscheidend

Und doch ist in 45 Jahren alternativer Bewegungen keine grundsätzliche Wende möglich geworden. Was folgt daraus?

Uexküll: Wir haben die Wende nicht geschafft, und das Leben ist für sehr viele Menschen in vielen Ländern auf der Erde noch schwerer geworden. Trotzdem haben wir unglaublich vielen Menschen Hoffnung gegeben. Und das ist ja immer das Ziel des Preises und des Weltzukunftsrates gewesen.

Der Rightlivelihood Award soll natürlich vordergründig die Preisträger ehren, unterstützen und bekannter machen, damit ihre Arbeit verbreitet wird. Gleichzeitig ist das Ziel, Menschen Hoffnungen zu geben, das zu tun, was die amerikanischen First Nations immer nennen: ‚To walk your talk!‘ – Also : Den Weg auch zu gehen und nicht immer nur zu reden.

Unsere Preisträger*innen und Zukunftsräte sind Menschen, die nicht auf die Banken, Experten und den Brief vom Präsidenten gewartet haben, sondern unter großen Schwierigkeiten einfach angefangen haben. Das inspiriert und motiviert viele andere Menschen.

Was ist für Sie in all diesen Jahren des Suchens nach Lösungen die erste Priorität?

Uexküll: Die Priorität ist der Schutz kommender Generationen. Die nächsten Jahre sind entscheidend. Heute leben wir in einer Zeit, wo wir eine globale Krise haben. Das ist etwas Neues. Gleichzeitig sind die Möglichkeiten, eine friedliche und umweltgerechte Weltordnung zu schaffen, größer als je zuvor.

In den nächsten Jahren werden wir darüber entscheiden, ob die Menschen in 500 Jahren in einer neuen Steinzeit leben werden oder ob sie die ganzen Möglichkeiten, die jetzt da sind, wirklich für eine nachhaltige Zukunft nutzen werden.

Der pure Materialismus macht das Leben sinnlos.

Bislang stehen die unterschiedlichen Zukunftsentwürfe wie zwei konkurrierende Kulturmodelle nebeneinander. Kann das so bleiben – oder wird sich der Kampf um die Zukunft verschärfen?

Uexküll: Ein Nebeneinander der Szenarien ist langfristig nicht möglich, auch weil das herrschende System eigentlich kein Nebeneinander zulässt. Zugleich gibt es kein Entkommen von den Schäden dieses Systems.

Wenn man die derzeitigen Machtverhältnisse sieht, ist es naiv zu glauben, dass neuen Ideen eines grundlegenden Wandels sich einfach so unmerklich durchsetzen und das alte System irgendwie verschwinden könnte. Es wird nicht ohne Konflikte gehen.

Hoffnungsvoll ist daran, dass viele Vertreter*innen der gegenwärtigen Ordnung auch nicht mehr an die Überlegenheit des konventionellen Systems glauben. Es liegt also an uns, diese Auswege zu zeigen.

Dies kann nicht nur durch lokale Initiativen, durch Landkommunen und Ökodörfer umgesetzt werden, so wichtig die auch sind. Sondern da geht es natürlich auch um die Frage, die das ‚World Future Council‘ stellt: Was machen wir auf nationalem und globalem Niveau‘?

Braucht es den Kollaps, bevor das Neue möglich wird? Entsteht Zukunft aus Krise?

Uexküll: Es ist nicht realistisch, dass die Katastrophe von einem Tag auf den anderen über uns hereinbricht und es dann plötzlich die totale Umwandlung gibt. Wer das glaubt, könnte sogar auf die Idee kommen, nach der starken Führung zu rufen – dann hätten wir einen neuen Faschismus.

Die guten Alternativen müssen auf vielen verschiedenen Gebieten entwickelt werden, es geht um positive Zukünfte. Diese werden täglich relevanter, wenn das gegenwärtige Wirtschaftssystem und das ökologische System zusammenbrechen.

Jede Planung, jede Strategie, jedes Programm muss jetzt unter der Leitfrage neukonzipiert werden: Wie retten wir die Mitwelt? Die Rettung muss zum zentralen Organisationsprinzip der Zivilisation werden. Da muss eine Gegenmacht geschaffen werden, die unübersehbar ist: regional, modellhaft, an der Basis, global vernetzt.

Das Selbst endet nicht bei unserer Haut.

Geht es bei den notwendigen Transformationen nur um äußere, politische oder auch um innere Prozesse?

Uexküll: Der pure Materialismus macht das Leben sinnlos und zerstört die Verbindung mit der Natur. Mein Großvater, der Biologe Jakob v. Uexküll hat einmal gesagt: „In der Natur gibt es keine Papierkörbe. Alles ist zusammengefügt, alles passt zusammen und ich bin Teil einer größeren sinnvollen Ordnung“. Das Gefühl, dass man als einzelne Person zugleich Teil eines sinnvollen Ganzen ist und dadurch auch etwas bewirken kann, ist wahnsinnig wichtig.

Sich an dieses Größere anzuschließen war eine Funktion von Religionen. Dieses Wissen, an das wir wieder anknüpfen müssen, ist sehr alt, aber radikal neu in seinen heutigen Konsequenzen.

Wir müssen einen Freiraum in uns selbst für diese Gefühle finden. Lassen wir sie zu, dann merken wir schnell, dass wir Teile einer größeren Einheit sind. Dass das Selbst nicht bei unserer Haut endet, sondern dass auch die Natur dazu gehört. Das ist eine spirituelle Erfahrung und gleichzeitig etwas sehr Rationales.

Es geht nicht darum, das Moderne zu verwerfen, sondern innen und außen so zu verbinden, dass daraus eine Synthese wird, die uns hilft, eine Lebensart zu finden, die umweltverträglich ist und acht Milliarden Menschen gut mit dieser Erde leben lässt.

Das ist sicherlich nicht einfach. Aber ohne die innere Erfahrung der Verbundenheit wird das nicht gehen. Daraus entsteht in jedem Einzelnen die Zuversicht, nicht ausgeliefert zu sein und viel beitragen zu können, die eigene Zukunft zu wählen.

Es gibt viele Wege in die Zukunft, nicht nur einen.

Was führte zur Gründung des Weltzukunftsrates (WFC)?

Uexküll: Wir wollen unseren Kindern und nachfolgenden Generationen eine Welt übergeben, die in einem besserem Zustand ist, als wie wir sie vorgefunden haben. Rein materialistische Gesellschaften ohne einem tieferen Lebenssinn fehlt die Verbindung zu den zukünftigen Generationen.

Im alten Indien war das der „Rat der Seher in die Zukunft“, der eine Art Vetorecht über tagespolitische Entscheidungen hatte. So etwas gab es auch bei den Ureinwohnern Nordamerikas.

Meine Überzeugung ist, dass wir heute eine institutionelle Vertretung der zukünftigen Generationen brauchen , die bei Fehlentwicklungen ‚Stop!‘ sagen und andere Lösungen anbieten kann.

Der WFC hat die Aufgabe zu prüfen ob das, was Politik, Wissenschaft und Wirtschaft derzeit machen, erdgemäß und zukunftsgemäß ist. Und wenn nicht, Alarm zu schlagen.

Wann beginnt Zukunft? Ist sie weit entfernt? Gibt es eine oder viele Zukünfte?

Uexküll: Die Menschen greifen täglich in tiefgreifender Weise in die Zukunft ein. Das braucht Bewusstsein und Kontrolle. Wir haben bisher – seit über einem Jahrhundert – einen Zukunftsoptimismus gepflegt, wonach es keine Grenzen gäbe ; Wachstum und Technologie würden alle unsere Probleme lösen.

Heute merken wir, dass da ganz andere Antworten auf uns zukommen, dass einige Grenzen absolut sind: In einer endlichen Welt kann man nicht unendlich wachsen, natürliche Grenzen können nicht durch wirtschaftliches Wachstum überwunden werden.

Das heißt nicht, dass wir jetzt an eine Wand stoßen, es keine Zukunft mehr gibt. Im Gegenteil: Es gibt viele alternative Wege. Es gibt nicht die Alternative. Wir haben lange geglaubt, es gibt nur einen Weg in die Zukunft.

Wir müssen uns wieder vergegenwärtigen, dass es sehr viele Wege gibt und das wir selbst jetzt einen Einfluss darauf haben, wie diese Wege sein werden.

Wir brauchen Kooperation auf globaler Ebene.

Welchen Umfang hat dieser bevorstehende Wandel, der sich ja auf ungeheuer viele Bereiche beziehen wird?

Uexküll: Vor uns liegt auf jeden Fall eine Krisenzeit, wobei die Einzelkrisen miteinander verknüpft sind. Wenn wir die Klimakrise nicht meistern, dann steuern wir auf Konflikte zu, die Jahrhunderte lang währen könnten.

Wir brauchen Kooperationen auf globaler Ebene. Dazu sind neue Institutionen, neue Regelungen, neue Gesetze notwendig. Wir müssen uns auch regional politisch engagieren, denn Visionen brauchen Fahrpläne.

Wir müssen nicht ‚de- oder entglobalisieren’. Aber diese Globalisierung von heute ist nicht tragfähig, solange sie nur den Interessen einer Minderheit dient. Ich glaube, die Rückbesinnung auf die lokale, die regionale Ebene, wo wir kleinere Fehler machen und dann auch wieder leichter korrigieren können, wird ein Aspekt dieser Wende sein müssen.

Ist es also einerseits Aufgabe, Bewusstsein zu schaffen und andererseits einen Übergangsprozess zu erleichtern?

Uexküll: Ja sicher! Wir werden die Zukunft wieder selbst in die Hand nehmen müssen. Diesen Übergangsprozess zu erleichtern, ist für mich das zentrale Thema, denn die Veränderungen kommen auf uns zu, so oder so.

Die Zukünfte, die heute zur Wahl stehen, sind neu und anders. Manche hoffen noch, das alte System wiederbeleben zu können. Andere verstehen, dass das nicht geht – und sehen ganz neue Möglichkeiten und neue Zukünfte. Für sie will der Weltzukunftsrat da sein.

Jakob von Uexküll ist Gründer des World Future Council und des Right Livelihood Award , auch als „Alternativer Nobelpreis“ bezeichnet. Er war Mitgründer von The Other Economic Summit (Alternativer Weltwirtschaftsgipfel, TOES). Mitglied des Europäischen Parlaments 1987 bis 89 sowie des Aufsichtsrats von Greenpeace Deutschland. Er hält weltweit Vorträge zu den Themen Umwelt, Gerechtigkeit, Wirtschaft und Frieden. 2005 wurde er  vom Time Magazine als „European Hero“ geehrt  und 2008 von der Erich-Fromm-Gesellschaft für sein zukunftsorientiertes Engagement ausgezeichnet. Zu seinen Publikationen zählen „Das sind wir unseren Kindern schuldig“ (EVA, 2007) und „Die Zukunft gestalten – World Future Council: Aufgaben des Weltzukunftsrates“ (Kamphausen, 2005).

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