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Letzte-Hilfe-Kurs: Für Sterbende da sein

Newman Studio/ Shutterstock
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Ein Kurs vermittelt Wissen zur Sterbebegleitung

Der Letzte-Hilfe-Kurs, entwickelt von dem Palliativmediziner Georg Bollig, vermittelt in drei Stunden wertvolles Wissen über den Sterbeprozess und wie man Angehörige einfühlsam und fachkundig begleitet. Seelsorge, so die Botschaft, können wir alle. Kirsten Baumbusch hat den Kurs besucht.

 

Wer einen Menschen beim Sterben begleitet, der kämpft mit vielem: Angst, Trauer, Hilflosigkeit und immer wieder Unsicherheit. Zumindest beim letzten Punkt gibt es Unterstützung durch den Letzte-Hilfe-Kurs. Der Palliativmediziner Georg Bollig hat ihn bewusst nach dem Vorbild des Erste-Hilfe-Kurses kreiert

Hintergrund ist die Tatsache, dass uraltes Wissen zur Sterbebegleitung in den westlichen Ländern schleichend verloren ging. Mit dem Kurs wollte Bollig Abhilfe schaffen. Und fand zahlreiche Gleichgesinnte aus der Hospizbewegung.

Seither haben einige tausend Kurse zur „Letzten Hilfe“ mit mehr als 30.000 Teilnehmenden im deutschsprachigen Raum stattgefunden und die Idee verbreitete sich in fast 20 Länder.

Unterrichtet werden die „Letzte-Hilfe-Kurse“ von Fachkräften aus Medizin, Sozialarbeit, Kranken- und Altenpflege sowie von Ehrenamtlichen Hospizbegleiterinnen und -begleitern. In vier Mal 45 Minuten geht es um „Sterben als Teil des Lebens“, „Vorsorge und Entscheiden“, aber auch darum, wie es gelingt, körperliche, psychische und soziale Nöte zu lindern. Und dann, ganz am Ende, wird darüber gesprochen, wie es ganz konkret ist, Abschied vom Leben zu nehmen.

„Am Ende des Lebens brauchen wir vor allem Zuwendung“

Dreiviertel der Menschen möchten gerne daheim sterben, im Kreis ihrer Liebsten. Doch die Realität sieht anders aus. Rund die Hälfte der Sterbenden befindet sich im Krankenhaus, ein weiteres Viertel in einer Pflegeeinrichtung. Grund dafür ist häufig, dass sich Angehörige der Aufgabe nicht gewachsen fühlen.

Dabei, so Frank Schöberl, seit mehr als zwölf Jahren Leiter des „Hospiz Louise“ in Heidelberg, ist die Sterbebegleitung“ für jeden erlernbar. „Das ist keine Wissenschaft, sondern auch in der Familie und im Freundeskreis möglich“, macht er Mut. Es ist vor allem Zuwendung, die wir am Ende des Lebens am allermeisten brauchen.

„Der Abschied vom Leben ist einer der schwersten, den die Lebensreise für einen Menschen bereithält“, sagt der gelernte Krankenpfleger Schöberl, der im Umgang mit Krebsleidenden seine Berufung für die Hospizhilfe entdeckte. Auf diesem schweren Weg, so sagt er im Kurs, braucht es jemanden, der dem sterbenden Menschen die Hand reicht.

Dies zu tun, erfordert nur ein bisschen Mut und Wissen. Und beides gibt es in dieser ungewöhnlichen Weiterbildung, die seit kurzem nicht nur in einem digitalen Format, sondern auch für Kinder, und bald auch in einfacher Sprache und für Professionelle angeboten wird. Letzteres ist vor allem notwendig, weil sogar Menschen, deren Beruf die medizinische oder pflegerische Unterstützung von Kranken ist, mitunter wenig Wissen über Tod und Sterben haben.

Sterben ist keine Krankheit

Wer nimmt an den Kursen teil? Frank Schöberl hat die Erfahrung gemacht, dass es vor allem Menschen der mittleren Generation sind, die sich darauf vorbereiten wollen, dass ihre Eltern sterben werden. Bei den älteren Jahrgängen sind es Menschen, die für sich selbst herausfinden möchten, was das Beste am Lebensende für sie ist und wie sie vorsorgen können.

Und dann gibt es, seit der Corona-Pandemie, die neue Zielgruppe der digitalen „Letzte-Hilfe-Kurse“. Junge Menschen, Anfang 20, die dieses existentielle Thema schon jetzt in ihr Leben integrieren möchten. Und dann gibt es noch die pflegenden Angehörigen, die kaum mehr aus dem Haus kommen, und sich so dennoch informieren können. Weiter sind da noch diejenigen, die sich Gedanken machen, aber dies lieber alleine mit sich und dem Computer tun möchten. Allen tut es gut, mehr zu wissen.

Sterben gehört zum Leben. Diese Erkenntnis leitet Bollig wie Schöberl. Sie sehen das Kurskonzept als Ausdruck einer positiven Haltung zum Leben – zu dem unvermeidlich eben auch der Sterbeprozess gehört. Sterben ist keine Krankheit. Medikamente kommen jetzt nur noch zum Einsatz, um Schmerzen, Atemnot, Angst oder Übelkeit zu lindern. Eine gute Ambulante Palliativversorgung ist alles, was jetzt nötig ist.

Doch wir haben keine Kenntnis mehr davon, was „normal“ ist am Ende eines Lebens. Vieles macht Angst. Dass ein rasselnder Atem durch einen weit geöffneten Mund oder Schnappatmung Teil des Sterbeprozesses ist, wissen wir oft nicht. Dass frühe Zeichen für einen nahenden Tod nachlassendes Interesse an der Umwelt, kaum Reaktion auf Ansprache, verschwindender Durst und Appetit sind, haben wir nie erlebt.

Dabei ist vieles ganz natürlich. Dadurch, dass der sterbende Mensch beispielsweise aufhört zu essen und zu trinken, verändert sich der Stoffwechsel und es werden Stoffe im Körper freigesetzt, die eine lindernde Wirkung auf Schmerzen haben.

Was können wir da noch tun? Eine Menge. Lippen mit einem selbst gefertigten Balsam aus Butter, Zitrone und Honig zu benetzen oder einen trockenen Mund mit gefrorenen Früchten oder ein wenig Eiscreme zu befeuchten oder angenehme Düfte ins Zimmer bringen, das können wichtige, letzte Liebesdienste sein.

Seelsorge können wir alle

Was tut jetzt im Moment gut? Das ist das Einzige, was jetzt noch zählt. Da sein, bleiben und aushalten, darauf kommt es an. Das gilt nicht nur für die Linderung körperlicher Beschwerden. Sinnfragen tauchen in den letzten Tagen auf, mitunter auch Verzweiflung und Verbitterung. Um damit umzugehen, muss niemand Theologie oder Psychologie studiert haben.

Seelsorge können wir alle, wenn wir nichts schönreden oder mit Floskeln beiseite wischen. Vielleicht geht es jetzt nur um Stille oder Musik. „Wir gehen davon aus, dass Sterbende bis zum Schluss hören und dabei Stimmen und Stimmungen wahrnehmen können“, weiß Schöberl. Warum nicht einfach das Lieblingslied summen oder ein letztes Mal „Ich liebe dich“ sagen?

Es gibt viel, was man tun kann. Und sei es nur die Akzeptanz, dass der oder die Sterbende sich immer mehr nach innen wendet, der Bezug zu unserer Realität verloren geht. Auch Unruhe kann entstehen. Dann hilft es, ruhig am Bett zu sitzen, nichts zu tun.

„Oft“, so Schöberl, „gibt es im Sterbeprozess den Moment, in dem der oder die Sterbende Frieden findet“. Eine Wandlung, die den Betroffenen über alle Ängste und Verzweiflung hinüberhebt. Manchmal breitet sich dieser Ausdruck von Gelöstheit sogar erst nachträglich über die Züge des toten Menschen.

Viele Angehörige haben quälende Schuldgefühle, wenn sie im Augenblick des Todes nicht bei dem oder der Sterbenden waren. Doch die Erfahrung zeigt, dass Menschen und sogar Tiere häufig dann gehen, wenn sie alleine sind. Vielleicht ist es leichter so.

Und was geschieht, nachdem der Tod eingetreten ist? Auch darum geht es bei der „Letzten Hilfe“. Die wichtigste Erkenntnis: „Werden Sie nicht gleich aktiv. Lassen Sie sich Zeit“. Zeit, die Besonderheit des Augenblicks auf sich wirken zu lassen, für die Begegnung mit diesem Menschen dankbar zu sein, und vielleicht sogar erleichtert zu sein, dass dieser geliebte Mensch nun frei ist von seinen Leiden.

Kirsten Baumbusch

Letzte-Hilfe-Kurse werden in ganz Deutschland angeboten. Termine und Informationen gibt es unter www.letztehilfe.info

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