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Die Verwandtschaft mit der Mitwelt wiederbeleben

Foto: Biegert
Quellegebiet der Loisach |
Foto: Biegert

Der Fluss Loisach soll Rechte bekommen

Ein Konzern kann vor Gericht ziehen, ein Berg oder Fluss nicht. Dokumentarfilmer Claus Biegert engagiert sich für die Rechte der Natur, speziell für den oberbayerischen Fluss Loisach. Im Interview erklärt er, warum der Fluss Rechtsperson werden soll, was sich dadurch ändert und warum die Erde eine Stimme braucht.

Frage: Wir sitzen hier an der Quelle der Loisach. Was macht diesen Ort aus?

Biegert: Ich sehe einen heiligen Ort. Jede Quelle ist eigentlich heilig. Denn dass Tag und Nacht, jahrein, jahraus Trinkwasser aus dem Boden kommt, was gibt es noch Ehrwürdigeres und Bewundernswerteres als so eine Gabe?

Woher kommt die Idee, dass ein Fluss wie die Loisach Rechte haben könnte?

Biegert: Die Initiative, der Natur eine Stimme zu geben, geht letztlich auf Christopher Stone zurück. Der amerikanische Jurist veröffentlichte 1972 in der Southern California Law Review einen Aufsatz: ‚Should Trees Have Standing?‘, etwa ‚Sollen Bäume vor Gericht klagen können?‘

Das bezieht sich nicht nur auf Bäume, sondern auch auf Seen, Flüsse, Täler, Moore, eigentlich die ganze belebte Welt. Christopher Stone hat sich diese Frage gestellt, weil ein Konzern sich vor Gericht von Anwälten vertreten lassen kann, ein Berg aber nicht.

Diese Sicht kann unser ganzes Umweltdenken über den Haufen werfen. Und nach 50 Jahren greift sein Impuls mittlerweile in aller Welt. Wir bewegen uns jetzt auf einen Paradigmenwechsel zu, nach dem auch Berge, Flüsse und Seen vor Gericht gehen können.
2017 wurde der Whanganui River in Neuseeland zur Rechtsperson erklärt. Das ist ein heiliger Fluss der Maori. Jetzt wollen wir das auch für die Loisach in Oberbayern erreichen.

Warum gerade die Loisach? Gibt es einen persönlichen Bezug zu dem Fluss?

Biegert: Ich komme vom Staffelsee, südlich davon liegt das Murnauer Moos. Der Fluss der das Murnauer Moos eingrenzt, ist die Loisach. Das Loisachtal ist eines der schönsten Täler des Voralpenlands.

Im August 2021 waren wir hier in den Loisach-Quellen mit Klaus Bosselmann, der Umweltrecht an der University of Auckland in Neuseeland lehrt. Er hatte den indigenen Maori geholfen, dass der Whanganui-River zur Rechtperson erklärt wurde.

Wir standen hier und haben der Loisach sozusagen versprochen: Wir läuten ein, dass auch sie mal Rechtsperson wird. Das beginnt bei uns selbst: Der Schritt, der ein Fluss, ein Berg, ein Wald zu einer Rechtsperson machen wird, muss zuerst in unseren Köpfen passieren. Dann ist es möglich, die Natur nicht mehr als Umwelt zu sehen, sondern auf Augenhöhe als Mitwelt. Dann können wir gemeinsam einen Weg suchen.

Wir müssen der Mitwelt eine Stimme geben.

Wem gehört eigentlich der Fluss? Dem österreichischen Staat? Gehört der Fluss, wenn er im Murnauer Moos ist, dem Freistaat Bayern? Gehört der Fluss sich selber?

Biegert: Die Quellen liegen auf Privatland. Aber die Antwort muss eigentlich lauten: Der Fluss gehört sich selbst. Und wenn ein Fluss Rechtsperson ist, dann ist er Eigentümer seines Wassers. Und wer das Wasser nutzt, ist dem Fluß gegenüber verantwortlich.

Ist die Loisach bedroht? Woher kommt die Motivation für das Engagement?

Biegert: Die schlichte Antwort lautet: Schönheit verpflichtet. Die Loisach wird nicht nur für sich sprechen, sondern für alle Flüsse. Insofern spielt es jetzt keine Rolle, ob sie bedroht ist oder nicht. Ich bekomme hier eine Ahnung einer anderen Welt. Ich fühle mich hier im Quellgebiet der Loisach verzaubert und denke: Die Kraft der Verzauberung bringt mich zum Handeln.

Was ist das Bedürfnis der Loisach?

Biegert: Ein Fluss will Kies vor sich herschieben. Und wenn zu viel Kies entnommen wird, wird der Fluss den Boden seines Betts durchbrechen. Der Fluss will Heimat sein für Biber, Fische und Pflanzen. Fische können in einem stetigen Strom ohne Hindernisse kaum leben, weil sie dort keine Ruhe finden; und sie können dort nicht laichen.

Unsere genutzen Flüsse brauchen wieder natürliche Hindernisse, damit es strudelt und die Strömung sich verändert; dann können auch wieder Laich-Stellen geschaffen werden. Wir müssen der Mitwelt eine Stimme geben, sonst wird uns Menschen der Boden entzogen.

Dieses stetige Plündern zerstört unsere Lebensgrundlagen. Wir sind an einem Wendepunkt angekommen, wo wir die Wahl haben zwischen Erkennen und Verändern oder die Fehler zu ignorieren und so weitermachen.

Für mich ist dieser Akt, Ökosysteme zur Rechtsperson zu erklären, eine große Hilfe zum Umdenken. Wenn wir unsere Haltung ändern und von Umwelt zur Mitwelt kommen, dann geht es nicht nur um Schutz, sondern um Rechte.

Die Rechte der Mitwelt müssen in unseren Verfassungen festgelegt sein. Irland will dafür jetzt ein Referendum abhalten. Und die Kampagne für ein Volksbegehren, die Hans Leo Bader in Bayern begonnen hat, verfolgt das gleiche Ziel.

Die Loisach lädt uns ein, Teil von ihr zu werden.

Ist es die Aufgabe von uns Menschen, der Erde eine Stimme zu geben?

Biegert: Ja, ich denke, so wie wir Menschenrechte eingeführt haben, müssen wir auch die Rechte der Natur in unser Denken und unsere Gesetzgebung einführen. Denn das Fehlen dieser Rechte hat dazu geführt, dass wir an die Grenzen der Lebensfähigkeit der natürlichen Welt gekommen sind.

Deshalb soll die Loisach Rechtsperson werden! Die indigenen Kulturen sind uns da vorausgegangen. Wenn ich mich jetzt um die Loisach kümmere, dann sehe ich mich eigentlich als Verbündeter der Maori.

Ich stelle mir vor, eine Art Fluss-Partnerschaft zwischen Loisach und Wanganui River zu etablieren. Der Akt der Rechtsprechung des Wanganui River im April 2017 hat einfach Wellen ausgelöst, die auch mich erreicht haben.

Wie sieht diese Initiative für die Loisach konkret aus?

Biegert: Sie ist praktischer Ausdruck des bayerischen Volksbegehrens. Die Loisach wird zu einem Kampagnenhelfer und gibt dem ganzen Gestalt. Das Ziel ist, die Rechte der Mitwelt in die bayerische Verfassung aufzunehmen.

Der Idealfall ist, dass wir Menschen mit unserer Mitwelt – den Geflügelten, den Vierbeinigen, den Schwimmenden, den Wurzelnden – in Einklang und Kooperation auf dieser Mutter Erde leben. Das sollte unser Ziel sein.

Ich meine, die Loisach lädt uns ein, Teil von ihr zu werden. Diese Verwandtschaft mit unserer Mitwelt ist eine verloren gegangene Erkenntnis und ein unerhörter Reichtum. Denn was gibt es Großartigeres als in die Natur, zu gehen und zu spüren: ‚Ich bin nicht allein, ich gehöre zur Natur.‘

Da ist eine Spiritualität enthalten, die weit über unsere Vorstellung von Religion hinausgeht…

Biegert: Ich scheu mich auch nicht, zu sagen, dass ich immer mehr zum Animisten werde. Diese Verwandtschaft mit der belebten Welt um mich herum ist doch ein tolles Geschenk. Ich denke, dass viele mit mir diesen Traum haben, mit unseren neuen Erkenntnissen und der indigenen Weltsicht heute etwas Neues zu schaffen. Die Maori sagen: Ich bin der Fluss, der Fluss ist in mir.

Claus Biegert ist journalistischer Aktivist, Buchautor und Dokumentarfilmer. Seit Jahrzehnten bengagiert er sich für indigene Rechte und Naturschutz. Auf seine Initiative geht das World Uranium Hearing in Salzburg zurück, das den Opfern des Atomzeitalters eine Stimme gab. Er gründete den Nuclear Free Future Award (NFFA), der Lösungen im Kampf gegen die atomaren Gefahren ehrte. Heute kämpft er in einer Intiative dafür, dass die Rechte der Natur in die bayerische Landesverfassung aufgenommen werden.

 

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