Online Magazin für Ethik und Achtsamkeit

Suche
Close this search box.

Energiekonzerne in der Opferrolle

Kletr/ shutterstock.com
Kletr/ shutterstock.com

Ein Kommentar von Birgit Stratmann

E.ON, RWE und Vattenfall klagen beim Bundesverfassungsgericht wegen des Atomausstiegs. Sie sehen ihr Eigentumsrecht verletzt. Damit stellen sie die Konzerninteressen über das Gemeinwohl. Sie übernehmen keine Verantwortung für das schwere Erbe, das sie mit dieser Risikotechnologie folgenden Generationen hinterlassen haben.

Es ist bezeichnend für die Energiekonzerne, die beim Verfassungsgericht in Karlsruhe gegen Beschlüsse zu dem nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima beschlossenen Atomausstieg klagen: Sie argumentieren mit dem Eigentumsrecht. Die Bundesregierung habe, so die Begründung zur Verfassungsbeschwerde, das Eigentumsrecht von E.ON, RWE und Vattenfall verletzt. Daher, so die Argumentation, könne man der Verantwortung gegenüber den Kleinanlegern nicht gerecht werden.
Die Klage in Karlsruhe und die Opferrolle, die die Konzerne einnehmen, ist unverforen. Die Konzernchefs stellen das Eigentumsrecht über das Gemeinwohl. Sie sind nach über 50 Jahren, in denen sie an der Risikotechnologie Atomkraft verdient haben, nicht bereit, ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung anzuerkennen. Stattdessen wollen sie die enormen Folgekosten, etwa der sicheren Entsorgung, der Gesellschaft aufbürden.
Zur Erinnerung: Die ersten Atommeiler gingen in den 50er Jahren ans Netz. Während dieser Zeit dachte man nur daran, so viel Energie wie möglich für die wirtschaftliche Entwicklung nach dem Krieg bereitzustellen. Kaum jemand diskutierte die immensen Gefahren dieser Technologie. Man hantierte sorgenfrei mit radioaktivem Material, das, wenn es in die Umwelt gelangt, Mensch und Natur verseucht und lebensbedrohliche Krankheiten zur Folge hat.

Menschenverachtende Technologie

Der Super-Gau von Tschernobyl zeigte 1986 zum ersten Mal, wie menschenverachtend der Betrieb von Atomkraftwerken ist. Riesige Regionen sind unbewohnbar geworden. Millionen Menschen wohnen heute noch in den vom Fall-out verseuchten Gebieten. Menschen, unter ihnen viele Kinder, erkranken und sterben an den Folgen radioaktiver Verseuchung, insbesondere an Krebs. Die Gesundheit vieler Menschen wurde auf Generationen beschädigt, etwa durch schwere Erbkrankheiten.
Als Antwort auf die Katastrophe entstand die Anti-Atombewegung. Umweltschutzorganisationen, die den sofortigen Ausstieg aus der Atomkraft forderten, erstarkten und gewannen immer mehr Rückhalt in der Bevölkerung. Damit rückte auch ein weiteres Probleme dieser Technologie in den Fokus: das fehlende Endlager.
Denn nicht nur der laufende Betrieb der Atommeiler ist ein permanentes Risiko, das mit dem Begriff “Restrisiko” beschönigt wird. Hinzu kommt, dass es bis heute kein Endlager für hochradioaktiven Müll gibt. Im gesamten Produktionsprozess fällt solcher Müll an, die Berge wachsen mit jedem Tag. Doch niemand weiß, wohin damit – und das nach über 60 Jahren Betrieb! Aber was kümmert´s die Konzerne, wenn sie nur ihre Gewinne einfahren können, gerade mit alten, abgeschriebenen Meilern.
Mit der Atomkatastrophe im hochtechnisierten Industrieland Japan in 2011 platzte endgültig die Illusion von der sicheren Atomkraft. Nach Informationen von Greenpeace mussten 160.000 Japaner aufgrund radioaktiver Verseuchung ihre Häuser verlassen; die meisten leben bis heute in provisorischen Unterkünften. Rund 320.000 Tonnen radioaktiv verseuchten Wassers seien angefallen. Es wird in Stahltonnen auf dem Gelände der Anlage gelagert oder wurde in den Pazifik abgelassen. Über die Meere bahnen sich radioaktive Substanzen den Weg in die Nahrungskette – bis zum Menschen.

Abdurde Entschädigungsforderungen

Als Antwort auf die Katastrophe tat die Bundesregierung das einzige Richtige: Sie verabschiedete per Gesetz den Ausstieg aus der Atomenergie und die sukzessive Abschaltung der Meiler mit festen Abschaltdaten. Sicherheit geht vor, hieß es in der Begründung. Die Interessen der Allgemeinheit stehen über denen der Eigentümer von Atomkraftwerken.
Und was tun die Energiekonzerne: Sie beklagen die Verletzung ihrer Eigentumsrechte. E.ON-Vorstandschef Johannes Teyssen drückte es im Mai 2012 laut Deutschlandfunk so aus: „Es geht uns im Ergebnis nicht darum, die politischen Entscheidungen in der Sache zu revidieren, sondern die wirtschaftlichen Interessen und Rechte von Unternehmen, Kunden, Mitarbeiten und den Aktionären durch faire Entschädigungsregeln durchzusetzen.“
Die Konzerne wollen „faire Entschädigung“ dafür, dass sie eine der gefährlichsten Technologien, die Menschen jemals entwickelt haben, endlich aufgeben. Sie wollen Entschädigung dafür, dass sie zukünftigen Generationen hochradioaktiven Müll hinterlassen, der zum Teil Jahrtausende strahlen wird. Sie wollen eine Entschädigung dafür, dass sie Mensch und Umwelt in permanente Gefahr gebracht haben.
Hier zeigt sich die Crux wirtschaftlichen Handelns, das die moralische Dimension ausblendet. Verantwortung wird eng begrenzt verstanden: Sie reicht nicht über das eigene Unternehmen hinaus, obwohl man durch sein Handeln sogar zukünftige Generationen in Mitleidenschaft zieht.
Die naheliegendste Möglichkeit, Verantwortung gegenüber den Kleinanlegern und der Gesellschaft zu übernehmen, wäre es gewesen, rechtzeitig in Erneuerbare Energien zu investieren. Doch den Zug der Zeit haben die Großen verpasst; viel zu lange hielten sie an der veralteten Risikotechnologie fest, die ihnen hohe Gewinne bescherte und ihr Monopol auf dem Strommarkt sicherte. Noch 2012 bei einer Tagung der Energiewirtschaft tönte der damalige RWE-Chef Jürgen Großmann, die Solarenergie sei sinnvoll wie „Ananas auf Alaska züchten“.
Bescheidenheit und Reflexionsvermögen sind nicht Sache der Manager von RWE und Co. Sie haben den Umstieg auf die Erfolgstechnologie der Erneuerbaren Energien viel zu spät realisiert. Nun wollen sie ihre Altlasten – Altreaktoren und Atommüll – der Gesellschaft aufbürden und fordern beim Bundesverfassungsgericht „Entschädigung“ für das Abschalten der Kraftwerke. Dabei geht es vor allem um eins: die eigene Haut zu retten. Verantwortung für das große Ganze: Fehlanzeige.
Und was kann der Verbraucher tun? Wer das Geschäftsgebaren der großen Energiekonzerne nicht mittragen und dagegen protestieren will, sollte die Geschäftsverbindung kappen und zu einem Öko-Stromanbieter zu wechseln. Je mehr Menschen Öko-Strom beziehen, umso mehr wird sich der Markt langfristig zugunsten der umwelt- und klimaschonenden Energieversorgung verschieben. So können Unternehmen unterstützt werden, die sich Mensch und Natur verpflichtet fühlen.
Birgit Stratmann

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare

Aktuelle Termine

Online Abende

rund um spannende ethische Themen
mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen
Ca. 1 Mal pro Monat, kostenlos

Auch interessant

Andreas M./ Unsplash

Dürfen wir noch fliegen?

Fakten zu einer heiß diskutierten Frage Aktionen der „Letzten Generation“ an Flughäfen wollen Menschen aufrütteln, das Klima zu schützen, doch stoßen sie oft auf Ablehnung. Ines Eckermann stellt wichtige Informationen zusammen: über die CO2-Belastung von Flugzeugen im Vergleich mit anderen Verkehrsmitteln, billige Flugtickets und wie wirksam die CO2-Kompensation ist.
Plastik am Strand

Weniger Plastik – Geht das?

Experiment plastikarm einkaufen In der Konsumgesellschaft ist Plastik allgegenwärtig – mit all den gravierenden Folgen für die menschliche Gesundheit und die Natur. Die Autorin Maria Köpf hat einen Monat lang für ihre Familie plastikfrei eingekauft. Ein Experiment, das ihr Umweltbewusstsein geschärft hat.

Newsletter abonnieren

Sie erhalten Anregungen für die innere Entwicklung und gesellschaftliches Engagement. Wir informieren Sie auch über Veranstaltungen des Netzwerkes Ethik heute. Ca. 1 bis 2 Mal pro Monat.

Neueste Artikel

Creative Commons

Die Ethik der Aufmerksamkeit

Philosophisches Basiswissen: Simone Weil Simone Weil (1909-1943) denkt anders über Ethik nach: Nicht das Befolgen von Regeln sei der Kern, sondern eine reine Aufmerksamkeit, die nicht mit egoistischen Interessen, Absichten und Wünschen vermischt ist. „Wer seine Aufmerksamkeit gerichtet hält, wird das Gute tun“, so die Philosophin.
fizkes/ Shutterstock

Barrieren abbauen

Eine Hochschule als Vorbild der Inklusion Das Annelie-Wellensiek-Zentrum für Inklusive Bildung ist das erste seiner Art an einer Hochschule. Es bildet Menschen mit kognitiven Beeinträchtigung zu Bildungsfachkräften aus. Diese geben dann ihre Erfahrungen an die Studierenden weiter. Kirsten Baumbusch über ein innovatives Projekt.
Philippe Leone/ Unsplash

Wie Weisheit im täglichen Leben hilft

Drei Fragen zur Weisheit an vier Menschen Weisheit ist ein Begriff, mit dem Menschen in vielen Kulturen der Welt etwas verbinden. Wir haben vier Menschen gefragt, was sie unter Weisheit verstehen, wie sie sich der Weisheit in ihrem Leben annähern und was ihnen in schwierigen Lebenssituationen hilft. Lesen Sie die Antworten aus verschiedenen Perspektiven.
Dorota Szymczyk/ Shutterstock

Die Transformation ist unaufhaltsam

Über die verschiedenen Ebenen des Wandels Wir befinden uns am Endes einer Phase ökologischer Zerstörung und am Anfang hin zu einer nachhaltigen Welt, ist Geseko von Lüpke überzeugt. Wandel geschieht auf drei Ebenen: über Protestaktionen für das Leben auf der Erde, den modellhaften Aufbau von Alternativen sowie die Bewussteinsarbeit hin zu einer Ethik des Mitgefühls.

Kategorien