Online Magazin für Ethik und Achtsamkeit

„Das Glück liegt in uns“

Frame of Mind Films
Der Dalai Lama beim Interview für den Film |
Frame of Mind Films

Ein Film über den Dalai Lama

Am 6. Juli 2020 wird der Dalai Lama 85 Jahre. Zu diesem Anlass hat die Filmemacherin Rosemary Rawcliffe eine Dokumentation produziert, die das Leben des tibetischen Mönchs in Archivbildern nachzeichnet und mit aktuellen Interviews verbindet. Gerald Blomeyer hat den Film “The Great 14th” gesehen und ist begeistert.

Wer dem Dalai Lama nahe kommen will, muss sich diesen einzigartigen Film anschauen. Bewegende Nahaufnahmen, in denen er über sein Leben und seine Weltsicht spricht, sind mit historischen Filmen und Bildern verwoben. Es ist ein Erlebnis, diesen Mann lachen zu sehen!

Ursprünglich hatte die Filmemacherin Rosemary Rawcliffe einen Spielfilm über den Dalai Lama geplant und dazu viele Interviews gedreht. Sein jüngerer Bruder, Tendzin Choegyal , unterstützte sie dabei. Als das ehrgeizige Vorhaben sich verzögerte, entschied sie sich, eine Dokumentation herzustellen, in der sie Archivmaterial und aktuelle Interviews mischte.

Dass der Film nun öffentlich gezeigt werden kann, ist ein Wunder. Einbrecher raubten bei der Filmemacherin die Festplatten und Computer, auf denen alle Filme und Archivaufnahmen der vergangenen dreißig Jahre gespeichert waren. Zum Glück entdeckte sie beim Aufräumen eine kleine, vergessene Festplatte mit einer Sicherungskopie ihres Materials und machte sich an die Arbeit. 75.000 Dollar mussten aufgetrieben werden, um den Film fertig zu schneiden.

Freiheit des Denkens und Redens sind unverzichtbar

Der Dalai Lama wurde als Bauernjunge in einer ländlichen Region Tibets geboren. Die Bilder und Filmsequenzen zeigen, wie er seine Heimat verlässt. Aus dem Jungen wurde ein Novize mit neuen Namen, kahlem Kopf, und einem roten Gewand. „Der Geist ändert sich und damit die Art, wie du denkst,“ kommentiert er. Mitgefühl als Grundlage für sein Leben habe er von seiner warmherzigen Mutter gelernt, wie er berichtet.

Vor 400 Jahren hatte der Mongole Gushri Khan Tibet vereint. Er übertrug dem 5. Dalai Lama zusätzlich zu seiner spirituellen auch die politische Macht. Und das galt bis in die Zeit des 14. Dalai Lama. Als dieser jung war, wurden die Staatsgeschäfte stellvertretend vom Regenten geleitet, den der Dalai Lama teilweise als ungerecht erlebte. Sein Fazit: „Zu viel Macht in einer Person.“ Er lacht dabei. Schon damals begann er, über die Demokratisierung seines Landes nachzudenken.

Zwischen 1933 und 1959 annektierte China die Hälfte Tibets. Bis heute tut die Regierung alles, um dem Dalai Lama und der Sache Tibets zu schaden. 1950 übernahm der Dalai Lama die politische Verantwortung. 1954 besuchte er Mao Tsetung in Beijing, weil er auf einen Kompromiss hoffte – vergeblich! Er war von der Idee der Gleichheit aller im Sozialismus beeindruckt. 1956 war der junge Dalai Lama Gast in Indien. Hier überzeugten ihn die selbstbewussten Streitgespräche im Parlament davon, dass die Freiheit des Denkens und Redens unverzichtbar sind.

Filmemacherin Rosemary Rawcliffe im Gespräch mit dem Dalai Lama, Foto: Peter McCandless

Weisheit und Mitgefühl im Alltag verbinden

Mit 19 wurde der Dalai Lama voll ordinierter buddhistischer Mönch. Er erlernte die philosophische Debatte, er erfuhr, wie der Geist und die Emotionen funktionieren. Seine Abschlussprüfungen legte er vor 10.000 anderen Mönchen ab. Im Wechsel zwischen Nahaufnahmen und Interview zeigt der Film das historische Geschehen.

Das Kapitel „Ein ruhiger Geist“ handelt vom Umgang mit schwierigen Situationen. Wie können Weisheit und Mitgefühl im Alltag verbunden werden? Er kommentiert die Filmausschnitte aus Tibet mit seiner Grundeinstellung: „Der innere Frieden ist das Wichtigste für das eigene Wohlbefinden, für die eigene Verantwortung und um effektiv zu arbeiten. Wenn der eigene Geist gestört ist, entscheidet er häufig falsch.“

Der Dalai Lama erzählt von seinen Träumen, in denen er 1958 die Botschaft empfing, dass alles gut ausgehen werde, wenn er nur mutig, entschieden und gesund bleibe. 1959 wurde die Lage in Tibet immer gefährlicher, das chinesische Militär unterdrückte die Tibeter immer brutaler. Schweren Herzens musste sich der Dalai Lama entscheiden, sein Land zu verlassen. In beeindruckenden Schwarzweißbildern wird die vierzehntägige Flucht über den Himalaya nach Indien illustriert.

Als Flüchtling in Indien konnte er politisch freier agieren und sprechen und sich aus dem Exil für Tibet einsetzen. 1989 wurde ihm für seine Bemühungen um eine gewaltlose, friedliche Lösung des Tibetproblems der Friedensnobelpreis verliehen.

Das Exil brachte auch eine Befreiung von der Enge der traditionellen tibetischen Kultur und Gepflogenheiten. Das tibetische Oberhaupt musste keine Rolle mehr spielen, sondern konnte dem Leben neu begegnen. Er sprach mit religiösen Führern, Wissenschaftlern, Geschäftsleuten und einfachen Menschen überall in der Welt. 1991 gründete er das Mind and Life Institute, das Dialoge von Menschen aus der Kontemplation mit Wissenschaftlern fördert und organisiert: „Wir alle haben die Verantwortung, uns um das Wohlbefinden aller Menschen zu kümmern.“

Moral entsteht aus Liebe

Der Dalai Lama nennt immer wieder drei Lebensaufgaben: die Verbreitung von menschlichen Werten und einer säkulären Ethik, unabhängig von Religion, die Förderung der Harmonie unter den Religionen sowie der Einsatz für den Erhalt der tibetischen Kultur.

Unter der Überschrift „Liebe ist die Antwort“ bedauert er, dass Menschen weltweit im Namen von Religionen umgebracht werden. Dabei sei die zentrale Lehre aller Religionen völlig klar: „In der heutigen Zeit, sollten wir uns mehr um ein besseres Verständnis der verschiedenen religiösen Traditionen bemühen. Es gibt große Unterschiede in den philosophischen Ansichten. Sie helfen aber Menschen nach ihrer Veranlagung Gott, den Schöpfer, das Absolute als Liebe und Mitgefühl zu praktizieren. Die Moral entsteht aus der Liebe heraus, aus dem Gefühl, sich um andere zu kümmern.“

Bei seiner Rede vor dem Europäischen Parlament 2008 fasst er seine Botschaft zusammen: „Warmherzigkeit ist ein sehr wichtiges Element für das Entstehen von Gemeinschaft, für die Familie und für Gesundheit und ein erfolgreiches Leben jedes einzelnen. Dabei verlässt sich die säkuläre Ethik nicht auf den religiösen Glauben.“

Um glücklich zu leben, bräuchten wir innere Werte. Um die Wirklichkeit zu untersuchen, gilt es, den gesunden Menschenverstand, gemeinsame Erfahrungen und wissenschaftliches Denken zu verbinden. „Viele Wissenschaftler im Gesundheitsbereich machen sich Sorgen um ihre geistige Ausgeglichenheit. Gesunder Geist und gesunden Körper gehören zusammen. Ein ruhiger Geist entwickelt sich immer durch geistiges Training.“

Warmherzigkeit statt Egoismus

Auch zur Bildung äußert sich der Dalai Lama im Film. Das moderne Erziehungssystem sei bedauerlicherweise auf das materielle Wohlbefinden ausgerichtet. Deshalb unterstützt er Lehrprogramme, die körperliches und geistiges Wohlbefinden vom Kindergarten bis zur Universität unterstützen. Er hat das Programm “See Learning” mitinitiiert. Die Aufgabe der Bildung sei, warmherzige statt egoistisch-engstirnige Menschen zu fördern. „Das Glück liegt in uns, nicht in Geld oder Macht.“

Zur Selbstbestimmung gehört für ihn seit seiner Jugend die Demokratie. 1964 gründete er das erste tibetische Parlament im Exil, 2011 trat er von allen politischen Ämtern zurück und beendete damit die 400 Jahre alte Tradition, wonach der Dalai Lama das politische Oberhaupt Tibets ist.

Unter der Überschrift „Leerheit und Altruismus“ erklärt er, dass unsere Realität aus gegenseitigen Abhängigkeiten besteht. Weil alles ein Prozess ist, ändern sich die scheinbar festen Dinge fortwährend: „Die Zeit bewegt sich“, sagt der Dalai Lama, „und nichts kann sie aufhalten. Wir werden älter und älter.“

Gegen Ende des Films ist zu sehen, wie er tief gerührt sein Lieblingszitat spricht, das auf den indischen Gelehrten Śāntideva (7./8. Jh.) zurückgeht: „Solange der Raum besteht und solange es fühlende Wesen gibt, solange möge auch ich verweilen, um die Leiden der Wesen zu beseitigen.“

Gerald Blomeyer

Infos zum Film: The Great 14th: Tenzin Gyatso, The 14th Dalai Lama In His Own Words, Laufzeit: 82 Minuten, Regisseurin/Autorin/Produzentin: Rosemary Rawcliffe. www.thegreat14th.com

Zum Trailer

preview-full-shutterstock_1156208422-fizkes_a
Shutterstock

Online-Abende: Kommen Sie mit uns ins Gespräch!

Online-Abende: Kommen Sie mit uns ins Gespräch!

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
1 Kommentar
Inline Feedbacks
Alle Kommentare

KOMMENTAR DIRECTORS CORRECTION Originally, filmmaker Rosemary Rawcliffe had planned a feature film about the Dalai Lama, and shot many interviews for it. His younger brother, Tendzin Choegyal, also known as Ngari Rinpoche, supported her in this. When the ambitious project was delayed, she decided to make a documentary, mixing archive material and interviews, while the feature film continues to move forward slowly.

Kategorien