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„Die Helden Südafrikas sind seine Menschen“

Mmusi Maimane
Mmusi Maimane

Ein Gespräch mit Mmusi Maimane aus Südafrika

Mmusi Maimane ist Theologe und Ökonom aus Südafrika. Im Mai 2024 kandidiert er für das Präsidentenamt und schlägt ungewohnte Töne an: Politiker seien zuerst den Bürgern und dem Gemeinwohl verpflichtet. Ein Gespräch über die Stärkung der Menschen in den Kommunen und die afrikanische Kultur der Verbundenheit.

Das Gespräch führte Sabine Breit

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Frage: Immer wenn ich in Südafrika unterwegs bin, stolpere ich über die unterschiedlichsten lokalen Initiativen, die von ganz normalen Bürgern ins Leben gerufen werden. Was ist Ihrer Ansicht nach die größte Stärke dieses Landes? Was treibt es an und was schweißt seine Bürger ähnlich zusammen wie die Begeisterung für die Springboks (die Rugby-Nationalmannschaft)?

Maimane: Die Helden Südafrikas sind seine Menschen. Man sagt ja oft, Südafrikaner seien besonders resilient. Für mich sind sie Kämpfer. Und sie verkörpern das, was Steve Biko einmal so eloquent formuliert hat: „Wir geben der Welt ein menschlicheres Gesicht.“

Ehrlich gesagt: Ich glaube, die Südafrikaner sind schon weiter als ihre Regierung. Die Regierung will sie in eine Polarisierung nach Rassen, Klassen u. ä. verstricken. Die Bürger finden aber stattdessen Mittel und Wege, um sich selbst aus ihrer eigenen Mitte, sozusagen von der Basis aus, zu ermächtigen, zu wachsen und die Dinge zu entwickeln.

Nehmen Sie die Townships: Dort finden Sie Innovation und Unternehmertum. Geschäftstüchtige Menschen, die sich etwas aufbauen wollen. Für mich besteht die Aufgabe darin, dies zu unterstützen und ihnen Rückenwind zu geben, statt ihnen Steine in den Weg zu legen.

Deshalb sage ich unseren Kandidaten auch immer: „Geht in Eure Gemeinden und packt mit an. Macht Euch die Hände schmutzig. Eure Gemeinden leisten Großartiges. Eure Aufgabe ist es, mit ihnen zu arbeiten und das benötigte Sozialkapital bereitzustellen“.

Aus dem Jungen kann was werden!

Hängen Ihre Überzeugungen auch mit Ihrem eigenen Werdegang zusammen?

Maimane: Ich bin selbst in einem Township aufgewachsen, in Soweto. Auch wenn das jetzt unterwürfig klingen mag, aber in meinem Fall waren es zwei weiße Südafrikaner, die ihr Sozialkapital in die Hand nahmen und sagten: „Aus diesem Jungen kann was werden. Wie können wir mit diesem Kind zusammen Wege ebnen, die sonst nicht geebnet werden könnten?“

Ohne diese Menschen hätte mein Weg vielleicht anders ausgesehen. Meine Eltern haben nie eine Universität besucht. Ich war der Erste in meiner ganzen Familie mit einem Universitätsabschluss. Wenn man mit diesem Hintergrund in eine Uni kommt, braucht man Menschen, die einen auch mal an die Hand nehmen und Dinge erklären. Das meine ich mit Sozialkapital.

Ich selbst versuche auch, genau das zu machen, indem ich zum Beispiel Kleinstunternehmern in Townships Sozialkapital in Form meiner Erfahrung und meines Wissens anbiete.

Deshalb ist Build One South Africa (BOSA) für mich eine Herzensangelegenheit: Ich glaube, die Probleme wie auch die Lösungen liegen in den Menschen dieses Landes. Wenn man mit Ihnen zusammenarbeitet, können sie Großes erreichen.

Der Mensch steht im Zentrum jedes Regierungsstrebens

Ihre Partei BOSA war zu Beginn keine Partei, sondern eine Bewegung, die unabhängige Kandidaten, die keiner Parteilinie verpflichtet sind, ins Parlament bringen wollte. Durch dieses, wie ich finde, bestechende Konzept, wurde ich auf Sie aufmerksam. Nun ist BOSA doch eine Partei. Hat dies BOSA im Inneren verändert?

Mmusi Maimane: An unseren Grundsätzen hat sich nichts geändert. Unsere Kandidaten müssen immer noch aus dem Wahlbezirk kommen, den sie vertreten und die Unterstützung der dortigen Bevölkerung haben. Und die Bürger dieses Wahlbezirks können immer noch beschließen, Kandidaten abzuberufen.

Bei BOSA bin ich vielleicht der Parteiführer, aber ich habe z. B. nicht die Macht, Einfluss auf die Auswahl der Kandidaten zu nehmen. Alle unsere Kandidaten müssen Unterschriften für ihre Kandidatur sammeln. Diese Unterschriften werden dann durch ein entsprechendes Gremium überprüft.

Dieses Gremium überprüft außerdem, ob die Kandidaten in ihren Gemeinden wirklich das leisten, was sie vorgeben. Ferner schult es die Kandidaten und erstellt eine Art Ranking. Viele der Kandidaten habe ich nie gesehen, bevor sie auf unserer Wahlliste aufgetaucht sind. Das ist einzigartig.

Aber wir stehen zu dem, was wir sagen: Wenn die Bürger eine Wahl getroffen haben, dann ist das der Wille der Gemeinde, der wir versprochen haben zu dienen. Für mich stehen der Mensch und die Gemeinschaft immer im Zentrum jedes Regierungsstrebens. Das ist für mich die Essenz von “Volksvertretung“: Politiker sind zuerst dem Volk verpflichtet.

Wege finden, wie Menschen sich entfalten und zu Wohlstand gelangen können

Wenn Ihre Kandidaten und somit auch Ihre Partei an den Willen und damit auch die Bedürfnisse ihrer Wähler gebunden sind, ist es dann per se ausgeschlossen, dass irgendeine zentrale Stelle festlegt, was etwa unter „Würde“ und „Freiheit“ (zwei Ihrer zentralen Werte) zu verstehen ist, was ein „gutes Leben“ ausmacht oder was das Beste für eine Gemeinschaft ist?

Maimane: Ich glaube, wir haben es hier mit einem Spannungsfeld zu tun, das man in einer Organisation braucht. Etwa wie die Spannung zwischen dem Daumen und dem Zeigefinger. Es muss diese Spannung zwischen den Interessen einer Gemeinschaft und der Entwicklung von gemeinsamen Visionen und Werten geben.

Nehmen wir die Themen Bildung, Wirtschaft und Sicherheit unserer Gemeinden, die mir zum Beispiel besonders am Herzen liegen. Darüber führen wir einen Dialog. Die Kandidaten erklären uns dabei, was Sicherheit, Bildung und Beschäftigung für ihre Gemeinden konkret bedeutet.

Das Ganze ist ein iterativer Prozess, den man sich vorstellen kann wie einen Dreiklang aus BOSA, den Bürgern und den Kandidaten.

Sie haben Psychologie, öffentliche Verwaltung, Theologie und zuletzt auch noch Wirtschaft studiert. Wie kommen diese verschiedenen Klänge in Ihnen zusammen? Wie kommunizieren diese Instanzen miteinander?

Maimane: Gute Frage. Zum einen öffnet es den Raum, die Dinge zu hinterfragen. Methodisch gesehen, hilft es, einen Sinn für die eigene Bestimmung zu entwickeln und gleichzeitig die ökonomischen Gegebenheiten zu verstehen.

Man begreift den Menschen nicht mehr nur als den sogenannten „Homo Oeconomicus“, wie er von manchen beschrieben wird, als Verbraucher, der Dinge kauft. Bei allem persönlichen Ehrgeiz verschreibt man sich nicht mehr einer Doktrin, die den Menschen versklavt.

Einer Doktrin, die den Menschen nicht mehr als „Abbild Gottes“ versteht, wie es Erzbischof Tutu einmal ausgedrückt hat.
Kurz: ich finde Theologie und Ökonomie gleichermaßen erfrischend. Sie befruchten sich gegenseitig.

Der Theologe würde sagen: „Es gibt Hoffnung für dieses Land“. Der Ökonom versucht, Wege zu finden, wie Menschen sich entfalten und zu Wohlstand gelangen können.

Er sucht nach einem ökonomischen Modell, das die Menschen in die Lage versetzt und befähigt, ihre Würde und ihre Menschlichkeit zu bewahren. Es geht um das Zusammenspiel der beiden.

Afrika kann dazu beitragen, der Welt ihre Seele zurückzugeben

Stichwort Zusammenspiel: Was glauben Sie, kann der sogenannte „globale Norden“ von Südafrika lernen? Für was soll Südafrika in Zukunft ein Vorbild sein?

Maimane: Ich glaube, der Gedanke und das Prinzip von Ubuntu ist das, was wir anzubieten haben. Der globale Norden hat in meinen Augen einen Weg eingeschlagen, auf dem der Individualismus gefeiert wurde und dabei Verbundenheit und Menschlichkeit zuweilen ins Hintertreffen gerieten.

Dinge wie der Brexit resultieren eben auch daraus, in Menschen die nicht so aussehen, wie man selbst, nur das Trennende zu sehen. Aus einem toxischen Diskurs über Migration.

Und dann könnte der globale Norden vielleicht auch lernen, dass auch andernorts kluge Menschen leben, von denen man etwas lernen kann. Gerade während Covid zeigte sich diese paternalistische Sicht der Dinge, die einem ganzen Kontinent, oder sogar mehreren Kontinenten, jegliche Expertise absprach. Nach dem Motto: „Was wisst Ihr schon! Was wissen Eure Wissenschaftler schon“.

Verbundenheit und die Fähigkeit, im anderen den Menschen zu sehen, wäre also etwas, was vielleicht zu lernen wäre. Wenn ich mir die Konflikte in der Welt anschaue, etwa die Konflikte in den USA, lohnt vielleicht ein Blick auf Südafrika.
Unser Prozess der Aussöhnung ist nicht perfekt, aber wir haben doch viel erreicht und hätten einiges beizutragen.

Wir hätten eine Geschichte zu erzählen, wenn es um die Frage geht: „Wie legt man Konflikte in einer Art und Weise bei, dass letztlich alle davon profitieren?“ Ich denke, Afrika insgesamt hat der Welt etwas zu geben. Ich liebe diesen Kontinent. Und ich bin überzeugt, dass Afrika dazu beitragen kann, der Welt ihre Seele zurückzugeben.

Zuletzt eine persönliche Frage: Was ist Ihr größter Wunsch für Ihre Kinder?

Maimane: Wir haben so ein Mantra, das wir jeden Abend vor dem Schlafengehen wiederholen: Mögen wir einen Weg finden, um diesem Land zu dienen und das Leben eines anderen Menschen besser zu machen.

Das ist sozusagen eine Mission für die gesamte Familie. Und ich würde mir genau das für sie wünschen: dass sie ihre Bestimmung finden, ein sinnerfülltes Leben führen und dazu beitragen können, dass auch andere ein besseres Leben haben.

Mmusi Maimane (geb. 6 Juni 1980) ist ein südafrikanischer Politiker, Geschäftsmann und Parteiführer von BOSA (Build One South Africa). Bei den bevorstehenden Parlamentswahlen am 29. Mai 2024 kandidiert er für die Präsidentschaft. Aufgewachsen im Township Soweto kam er 2011 in die Politik. Er war unter anderem Parteiführer der oppositionellen Democratic Alliance (DA) und deren Fraktionsführer im südafrikanischen Parlament.

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