Die 80-jährige Ursula Oberndörfer im Portrait
Ob bei Ernährung oder Regiogeld: Die 80-jährige rüstige alte Dame Ursula Oberndörfer prägt ihren Heimatort Utting und die Region am Ammersee seit fast einem halben Jahrhundert. Sie sitzt in jeder Gemeinderatssitzung und engagiert sich für die Transition-Bewegung.
In Utting am Ammersee sind rund 60 Flüchtlinge aus Syrien und Eritrea in einem ehemaligen Hotel untergebracht. Ursula Oberndörfer kann sich in deren Situation gut einfühlen: „Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie das ist, wenn man in einem fremden Land leben muss und nicht akzeptiert wird.“ Sie weiß auch, wie wichtig es ist, diesen Menschen Wertschätzung zu geben. „Wenn wir jeden Tag auch nur einem Menschen unsere Wertschätzung geben, dann ist das doch schon ein erfülltes Leben“, sagt sie überzeugt.
Die zierliche alte Dame mit den blitzenden blauen Augen beginnt, von ihrer Kindheit in China zu erzählen, die nicht leicht war. Aufgewachsen ist sie in Shanghai und dort in die deutsche Schule gegangen. Als Halbjude musste der Vater, von Beruf Kinderarzt, mit der Familie vor den Nazis dorthin fliehen.
Doch auch in China waren die Nazis im deutschen Konsulat tätig und drangen auf ihren Schulausschluss, den die Mutter nur mit Mühe verhindern konnte. Wegen der großen Repressalien floh der Vater dann erneut – von China nach Amerika – und verstarb aus Kummer früh, sagt sie. Erst 1946, im Alter von zehn Jahren, kam sie mit der Mutter und den zwei älteren Geschwistern nach Deutschland zurück.
Selbstverantwortung als Tor zur Freiheit
„Ich führe eigentlich ein Dennoch-Leben“, sagt sie heute selbstbewusst. Denn von ihrer Mitwelt wurde sie von klein auf als krank bezeichnet. Auch aufgrund einer Nierenerkrankung war sie immer schwächlich und mager gewesen. Nach dem Schulabschluss als Aupair in der Schweiz las sie in einer Zeitschrift von den Ernährungsreformen des Arztes Bircher-Benner. Diese veränderten ihr Leben. Der Schweizer Arzt hatte das Birchenmüesli entwickelt und gilt als Pionier der Vollwertkost. Die neue Gewohnheit, vor jeder Mahlzeit eine Rohkost zu essen, bekam ihr gut. „So bin ich auf vegane Ernährung gekommen.“
Ihre Gesundheit stabilisierte sich dank der Ernährungsumstellung zunehmend. Für sie selbst war diese Entdeckung eine Befreiung. Sie eröffnete ihr ein Gesundheitsbewusstsein und die Einsicht, dass sie sich durch bewusste Ernährung selbst helfen könne. Allmählich entwickelte sie eine neue Lebenseinstellung und begrüßte diesen Schritt zur Selbstverantwortung als Tor zur Freiheit. Oberndörfer, die stets bescheiden auftritt und dabei dennoch so würdevoll und resolut wirkt: „Es kann keiner die Welt verändern, außer er verändert sich selber.“
Hinter ihrer neuen Ernährungsphilosophie, die ursprünglich aus Leidensdruck geboren wurde, konnte sie nun aus eigener Erfahrung voll und ganz stehen. Mutig eröffnete sie 1968 am Dorfbrunnen in Utting Ortsmitte ein kleines Reformwarenlädchen auf 13 Quadratmetern. Die Kunden vertrauten ihr und suchten immer öfter ihren Rat, weil sie spürten, dass es ihr nicht ums Geldverdienen ging.
„Früher kaufte man nur im Reformhaus, wenn man alt und krank war“, so Ursula Oberndörfer. Als Ernährungsberaterin war es ihr stets ein großes Anliegen, ihre Kunden authentisch davon zu überzeugen, dass sie durch eine bewusste Ernährung sehr viel für die eigene Gesundheit tun und gewissen Zivilisationskrankheiten vorbeugen können.
Oberndörfer über ihr eigenes Engagement: „Der Mensch sollte nichts machen, wo er nicht ganz authentisch dahinter steht. Sonst hat es keine Wirkung.“ Nach und nach kamen immer mehr Kunden, auch von weither, um von ihr beraten zu werden. Heute führt ihre Tochter bereits den vierten Laden im Heimatort Utting, ein großes Reformhaus, in dem man beim Einkauf Behälter von zu Hause mitbringen kann, um die Ware wie Linsen, Reis etc. umweltbewusst nach Bedarf abzufüllen und ohne Plastikmüll nach Hause zu transportieren.
Regiogeld: Taler, Taler, du musst wandern
„Ein Baustein für meine alternative Einstellung war die Ernährung. Da passte das Regiogeld dazu“, sagt sie. Sie faszinierte die Idee von einem Geldumlauf von Menschen, die sozial denken nach dem Motto „Taler, Taler, du musst wandern“. Mit Regiogeld könne es keine Korruption geben. Das Geld wird nicht gehortet, sondern getauscht, so wie es der ursprüngliche Zweck des Geldes einmal war. Das Nehmen von Zinsen hält sie für kriminell und unethisch. „Diese Haltung kann nur von einem Geist erfunden werden, der statt mit Arbeit mit Geld sein Auskommen finden will.“
Ihre Kunden konnten fortan an der Kasse mit dem Regiogeld AmmerLechTaler bezahlen oder später mit der AmmerLechTaler-Bürgerkarte elektronisch. Mit der Einführung des Regiogeldes in ihrem Laden wollte sie so zur Förderung der regionalen Wirtschaft und durch eine Regionalgebühr von zwei Prozent auf die Produkte zur Unterstützung von gemeinnützigen und sozialen Projekten in der Region beitragen. „Leider wird das Regiogeld nur schwer angenommen, weil der Tausch von vielen als zu umständlich empfunden wird.“
Aber Ursula Oberndörfer bleibt aufgrund ihrer Lebensweisheit gelassen. „Den Menschen kann man nicht verändern, er muss schon in Not kommen, bevor er etwas verändert.“ Ihr Credo: „Authentizität wirkt mehr als alles Reden.“
Ursula Oberndörfer war nie jemand, der sich in den Vordergrund geschoben hat, obwohl sie für viele die Seele des Ortes ist. Auch heute noch unterstützt sie mit ihren 80 Jahren tatkräftig alle Menschen in der Region, die sich sozial oder ökologisch engagieren. So war sie bei der Gründung der Waldorf-Schule oder anderen gemeinnützigen Vereinsaktivitäten dabei. Auch können die Ortsansässigen als Service die kostengünstigen grünen MVV-Karten bei ihr ausleihen. „So können die Menschen umweltbewusst mit der S-Bahn in die Stadt fahren und das Auto stehen lassen“, sagt sie.
Der Uttinger Gemeinderat Christian Strohmeier über Frau Oberndörfer: „Sie ist die ´Mutter` aller alternativ denkenden Menschen in Utting, praktisch das Urgestein aller alternativ- ökologisch-spirituellen Bewegungen in der Region. Sie ist einfach interessiert und nimmt noch heute an nahezu allen Gemeinderatssitzungen teil.“
„Ein richtiger Mensch“
Gerda Schlosser-Doliwa von der ökologischen Transition-Bewegung am Ammersee über „die ungewöhnliche, kleine Grande Dame“: „Sie liebt das Dorf und hat einen Blick für dessen Probleme und die Leiden der Menschen.“ Schlosser-Doliwa, die das „Grüne Kino“ der Transition-Bewegung organisiert, berichtet, dass die 80-Jährige bei fast jeder Kinovorstellung dabei ist. Oberndörfer bezeichnet sie als „die Frau in der Dorfmitte“, die durch ihre lebenslange Arbeit hinter der Theke auch heute noch als Vernetzerin fungiert.
„Während Ursula Oberndörfer mit großer Bereitschaft zum Hinschauen, z. B. beim Thema Atommüll oder Urangewinnung, das Grüne Kino besucht, wollen junge Menschen – vielleicht schon resigniert – diese Bilder nicht sehen“, so Schlosser-Doliwa. Und setzt bewundernd hinzu: „Sie setzt sich für die Gemeinschaft ein, hat einen wachen Blick für die Nachbarschaft und ist hilfreich, wenn sie gebraucht wird. Sie schaut nicht weg und steht mitten im flüchtigen Schwirren unserer schnelllebigen Zeit für schwindende Werte wie Beständigkeit.“
In einer sich rasant beschleunigenden Konsumwelt, in der viele Menschen kurzsichtig nur noch ihren privaten Eigeninteressen nachgingen, wirke Ursula Oberndörfer wie ein wie ein Fels in der Brandung, da sie hinter ihren Überzeugungen stehe und altruistisch für die Gemeinschaft handele. – „Eben ein richtiger Mensch.“
Michaela Doepke
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