Unternehmer baut Schiffe im Pazifik
Vaka Moanas nannten die Polynesier ihre Segelschiffe, mit denen sie schon vor 3.000 Jahren den Pazifik überquerten. Die Stiftung Okeanos mit ihrem Stifter Dieter Paulmann lässt die traditionellen Boote mit umweltschonenden Materialien und Erneuerbaren Energien wieder bauen. Mit den Sonnen-Seglern können die Insulaner im Pazifik ihre alte Kultur wiederbeleben.
Dieter Paulmann ist ein Herzblut-Unternehmer. Seine wichtigste Unternehmung startete der 78-Jährige nach dem Ende seiner beruflichen Laufbahn: Er ließ 2008 das erste Vaka Moana (Polynesisch: Boot des Meeres) nachbauen, ein traditionelles Segelschiff, mit dem die Polynesier vor 3.000 Jahren im Pazifik unterwegs waren. Mit dem Aufkommen der Dampfschiffe im 19. Jahrhundert wurden die alten Vakas ins Abseits gedrängt.
Die Idee für den Neubau entstand auf den Reisen, die Dieter Paulmann mit seiner Frau Hanna im Pazifik unternahm. Im Jahr 2007 hatten die beiden die Stiftung Okeanos gegründet, die sich für den Schutz der Meere und Wale engagiert und im Pazifik aktiv ist. 2008 begegneten sie Nainoa Thompson, einem berühmten Segler und Navigator aus Hawai, der 1975 ein traditionelles Vaka gebaut hatte, das er Hokule´a nannte. Der Neubau elektrisierte die ganze Region und war wie eine Initiatlzündung, um das Bewusstsein für die polynesische Kultur wiederzubeleben.
„Ich nahm mir Thompson zum Vorbild und wollte die alten Vaka Moanas nachbauen. Denn sie stehen für die Kraft, aus der die Tradition ihre Zukunft gestalten kann. Zukunft braucht Herkunft“, so Paulmann. Sie besorgten sich Bilder von alten Booten, die der Seemann James Cook (1728-1779) überliefert hatte. Nach den alten Zeichnungen war bereits ein Vaka gebaut worden, das als Wrack am Strand der Cookinseln lag. An diesem Desgin orientierte man sich. So begann das Projekt, das den Unternehmer noch heute, zehn Jahre später, in Atem hält.
Nur eine verrückte Idee?
Paulmann setzte sich mit seinen Freunden im Pazifik zusammen, um sie von der Idee zu überzeugen und sich mit ihnen zu beraten. Unter ihnen Nainoa Thompson und die Chiefs der Inseln. Die Idee war, sieben Vakas für die fünf Hauptinseln zu bauen: Tahiti, Fidschi, Samoa, Cookinseln und Neuseeland. Weitere Insel-Gruppen stellten Crew-Mitglieder: die Osterinseln, Tonga, Vanuatu, Papua-Neuguinea, Tuvalu und Kiribati. Mit den 12 Inseln war fast der gesamte Süd-Pazifik in das Projekt eingebunden.
Tatsächlich glaubte außer Paulmann niemand, dass es machbar war, die alten Vakas nachzubauen, noch dazu in so kurzer Zeit, wie er es vorhatte: sieben Boote in einem Jahr. Doch als Unternehmer war es sein tägliches Brot, Ideen umzusetzen und alle nötigen Bedingungen dafür zusammenzubringen. Eine wichtige Voraussetzung brachte er selbst mit: Er war bereit, erhebliche Mittel zu investieren, ohne materielle Erträge zurückzubekommen, aus purem Idealismus.
Zuerst hielt er Ausschau nach einer Werft in Neuseeland, die den ersten Prototypen herstellte. „Wenn man erst einmal eine Form hat, ist der Rest wie Kuchenbacken“, scherzt Paulmann. Das Vaka entsprach dem traditionellen Schiffsmodell, sollte aber ausschließlich neueste, umweltfreundliche Materialien enthalten.
Würden die Boote den rauen Stürmen trotzen?
„Das Beste der Vergangenheit mit dem Besten der Zukunft verbinden“, nennt Paulmann das. So nahmen die Schiffbauer für die Rümpfe Glasfaser statt kosbares Tropenholz. Für die übrigen Teile der Boote verwendeten sie Hölzer aus lokalen Wäldern. Auch setzten sie zum großen Teil auf fossilfreie Energie wie Solarpanels. So war man nicht auf Diesel angewiesen, der aus entfernten Regionen der Welt herbeigeschafft werden musste und die Umwelt belastet. Nur bei Flaute kommt ein mit Batterien auf Basis von Sonnenenergie betriebener Elektormotor zum Einsatz.
Der Bau war kein Zuckerschlecken. Vor allem war die Frage, ob die Boote den Stürmen und mächtigen Strömungen der rauen pazifischen See trotzen würden. Die gesamte Konstruktion, die man den traditionellen Plänen entnahm, entpuppte sich als äußerst robust. Das Ruder war mit ca. 300 Kilogramm Gewicht und fünf Metern Länge nahezu unverwüstlich. Die Frage, wie sicher und seetauglich die Boote waren, entschied über Wohl und Wehe des Projekts. Nicht auszudenken, wenn ein Unglück geschähe und ein Mensch in Gefahr geriet. Es hätte das Ende bedeutet.
Sieben Vakas gebaut
Ende 2009 war das Wunder geglückt: Sage und schreibe sieben Vakas von 22 Metern Länge waren gebaut. Doch es warteten weitere Herausforderungen, bis die Boote in See stechen konnten. Wie findet man eine geeignete Mannschaft? Jedes Boot brauchte 16 Seeleute. Die Ausbildung war anspruchsvoll und brauchte Zeit. Die Stiftung Okeanos gründete ein Ausbildungszentrum in Neuseeland, um die Crews zu trainieren. Ein Drittel waren Frauen, darunter auch Steuerfrauen. Später sollte ein Boot ausschließlich mit Frauen in See stechen – eine Sensation im Pazifik.
Ein zentrale Frage war: Wer konnte die schwierige Aufgabe der Navigation übernehmen? Die Navigationskunst der Polynesier war fast in Vergessenheit geraten. Die alten polynesischen Seeleute konnten mit Hilfe der Sterne navigieren und Wellenmuster, Wolken und Vögelzüge deuten, um die Richtung zu bestimmen. Im wissenschaftlichen Zeitalter ist unvorstellbar, wie es möglich ist, ohne Kompass, Sextant, Seekarte, geschweige denn GPS-Gerät über die Weltmeere zu navigieren. Dieses Wissen galt es wiederzubeleben. Der Job des Navigators gehört auf den Vakas zu den schwierigsten.
Trailer zu dem Film Te Mana o Te Moana über die erste Reise der sieben Vakas. Filmaufnahmen: Gianna Savoie
Effizienz trifft Lässigkeit
Für Paulmann war es nicht einfach, so ein großes Projekt in einer anderen Kultur zu realisieren. In Polynesien wurde gern improvisiert und nicht vorausschauend geplant. Nordische Effizienz, Strenge und Verlässlichkeit trafen auf südländische Lässigkeit, Kreativität und Ungezwungenheit.
Das wohl größte Hindernis waren die vielen Verletzungen und Narben aus der kolonialen Vergangenheit. Paulmann und sein Team mussten das Vertrauen der Polynesier gewinnen. „Ich habe am Anfang oft zu rational gedacht und konnte mich nicht in die Menschen hineinversetzen. Es gab viele Missverständnisse“, so der Unternehmer nachdenklich. „Die Zusammenarbeit mit den Polynesiern hat mich Demut gelehrt“.
Es ist Dieter Paulmanns großem Mut zu verdanken, dass das Projekt überhaupt realisiert werden konnte. „Mit fröhlichem Gesicht von Niederlage zu Niederlage gehen“, nennt er das.
Freudenfest auf Hawaii
Im April 2011 war es so weit: Die Flotte mit den sieben Vakas brach auf zur ersten Pazifik-Überquerung von Neuseeland nach San Francisco – mit Zwischenstopps auf verschiedenen Inseln. Die Boote erwiesen sich als seetüchtig und haben Wind und Wetter gut überstanden.
An Bord führte man ein einfaches Leben, ohne Luxus – ganz so, wie es auf den Inseln üblich war. Ein Modell, mit wenig auszukommen und die Ressourcen der Erde zu schonen. Die Nahrung bestand aus Bananen, Kohl, Fisch und Kokos, drei Mal täglich. Müll fiel kaum an. Die Crews richteten sich nach dem Ethik-Code der traditionellen Schiffe: Es gab keinen Alkohol, keine Zigaretten, und vor den Mahlzeiten wurde ein Gebet gesprochen. Körperliche Berührungen waren für die Zeit der Reise tabu.
Eine der ersten und wichtigsten Etappen war Hawaii. Die Ankunft war ein Freudenfest. Die Hawaiianer nahmen die Crews mit einem Ritual und traditionellen Tänzen und Gesängen in Empfang, auch als Zeichen ihres Stolzes. Die Vakas spenden Lebensmut, Identität und Sinn. Nainoa Thompson sagte bei der feierlichen Zeremonie auf Hawaii, an Dieter und Hanna Paulmann gerichtet: „Mit den Vakas retten Sie unsere Kultur, Sie retten das Leben unserer Kinder und bewahren unsere Kultur vor der Auslöschung“. Ein ergreifender Moment für das Ehepaar aus Darmstadt.
Auf den Boden der Tatsachen kamen sie erst wieder, als die Vaka-Flotte im August 2011 in San Francisco einlief. Immerhin hatten die Boote von Auckland aus 10.000 Seemeilen zurückgelegt. Doch niemand nahm Notiz davon, es interessierte nicht die Bevölkerung und auch nicht die Presse. So spektakulär die Ankunft in Hawaii gefeiert wurde, so deprimierend war die Ignoranz im Westen. „Nur das Meer hat uns nicht enttäuscht“ siniert Paulmann, denn kurz vor San Francisco gesellten sich Blauwale zu den Vakas, als wollten sie die Schiffe begrüßen und feiern.
Die Reise geht weiter
Wer rastet, der rostet, mag sich Dieter Paulmann gedacht haben. Es ist ja schön, dass wir jetzt sieben Schiffe gebaut haben, aber damit ist unsere Aufgabe noch längst nicht erledigt. Denn die Vakas Moanas sind keine Arbeitsschiffe, sie dienen eher der Kultur und der Ausbildung von Seeleuten. Sie sind nicht dafür gemacht, Passagiere an Bord zu nehmen oder Ladungen transportieren.
Wäre es nicht möglich, in Anlehnung an die traditionellen Pläne kleinere Boote für den täglichen Bedarf zu bauen, mit denen die Bewohner von Insel zu Insel fahren könnten – wie früher? Eine neue Idee war geboren: Etwas kleinere Boote, Vaka Motu (Polynesisch: Boot der Insel) von 15 Metern Länge mit umweltschonenden Materialien zu entwickeln, die mit einer Crew von vier Leuten auskommen und acht Passagiere und drei Tonnen Fracht transportieren können.
Dies könnte die Basis für die wirtschaftliche Entwicklung der pazifischen Inseln sein, denn dort gibt es zu wenig Boote, der Transport ist teuer und liegt in den Händen einiger Monopolbetriebe. Früher fungierten die Schiffe als Verbindungsglieder, doch heute sind die Inseln weitgehend isoliert. Das führt dazu, dass Menschen in die urbanen Zentren abwandern und viele Regionen verwaisen. Manche Atolle haben die Hälfte ihrer Einwohner verloren. Die Arbeitslosgikeit liegt mancherorts bei 40 Prozent.
2013 machten sich Paulmann und die Schiffbauer daran, die Passagier-Vakas zu bauen und auf hoher See zu testen. Mittlerweile sind sieben Fracht- und Personen-Vakas unterwegs. Die Crews werden weiterhin in Neeseeland ausgebildet. Der Plan ist, dass die Ausbildung künftig auf eine der Inseln zu verlegen.
Katalysator für ganz Polynesien
Dieter Paulmann denkt langfristig: Ein Netzwerk von Vakas könnte ein Katalysator für ganz Polynesien werden. Denn der Süd-Pazifik ist auch vom Klimawandel bedroht. Der Anstieg des Meeresspiegels etwa trifft die Bewohner der pazifischen Inseln unmittelbar und hart. Überschwemmungen führen dazu, dass salziges Meerwasser ins Trinkwasser und in die Böden dringt und die Lebensgrundlagen bedroht.
Die Vaka Motus können dazu beitragen, eine marine Infrastruktur zu schaffen und in Notsituationen Trinkwasser und Nahrungsmittel zu transportieren. Ein entscheidender Vorteil: Die Katamarane brauchen keinen Hafen, sondern können direkt am Strand landen.
Mittlerweile interessieren sich auch Regierungen und Regierungsorganisationen für die Schiffe. So haben die Marshall Inseln einen Vertrag mit der Stiftung Okeanos gemacht. Sie nutzen ein Vaka Motu, um ihre Inseln zu versorgen und junge Menschen zu Seeleuten auszubilden. Mit anderen Regierungen in der Region stehen weitere Verträge in Aussicht.
Fünf pazifische Staaten haben beim Green Climate Fund der Vereinten Nationen Geld für den Bau von Vakas beantragt. Und die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) sucht Projekte für den nachhaltigen See-Transport, ohne oder mit geringem Einsatz fossiler Energie. Hier könnte es in nächster Zeit zu einer Kooperation kommen.
Was ist das Geheimnis des Erfolges? Dieter Paulmann muss nicht lange nachdenken: „Bei solchen Projekten gibt es immer Hindernisse. Wer aufgibt, hat verloren. Wir haben Rückschläge akzeptiert und immer weitergemacht. Nach einem maorischen Sprichwort: Move your paddle silently through the water. Bewege dein Paddel lautlos durch das Wasser.“ Für Paulmann bedeutet das schlicht und einfach: Mach´ nicht so viel Wind, bewege dich sanft durch´s Wasser. So kommst du ans Ziel.
Birgit Stratmann
Mehr Infos (englisch) auf der Website der Stiftung Okeanos
Kurzer Film über die Arbeit von Okeanos
Die Stiftung produzierte 2009 den Film „Racing Extinction“, ein aufrüttelnder Dokumentarfilm über den Zusammenhang von Erderwärmung und Artensterben