2. Spirit of Humanity Forum in Reykjavik
Mehr als 230 Teilnehmer aus über 40 Ländern versammelten sich vom 10. bis 12. April 2014 in Reykjavik, um gemeinsam über „The Power of Love and Compassion in Governance“ (Die Kraft von Liebe und Mitgefühl in der Führung) nachzudenken.
Auf dem 2. Spirit of Humanity Forum in der isländischen Hauptstadt wurde deutlich: Wirtschaft und Politik brauchen ein neues Paradigma. Nicht kurzfristiger Profit, sondern eine dauerhafte Blüte des Lebens muss das Ziel kollektiver Anstrengungen der Zukunft sein.
„Das Forum gehört den Teilnehmern, es ist nicht ein Event wie alle anderen.“ David Cadman, einer der Gründer des Spirit of Humanity Forums, ist stolz auf das Konzept der Veranstaltung. Eine „Gemeinschaft von Handelnden“, erklärt der britische Autor, wolle man stiften: ein „Netzwerk der Netzwerke knüpfen“,. Es gehe auch darum, einen Gegenpol zum Weltwirtschaftsforum in Davos etablieren und sich wechselseitig zu inspirieren und zu ermutigen:
„Listen and learn“ (Zuhören und lernen), darauf komme es an, um im offenen Austausch von Unternehmern und Aktivisten, Wissenschaftlern und spirituellen Vordenkern, Politikern und Künstlern neue Handlungsperspektiven zu erschließen.
Mehr als 230 Menschen aus aller Welt haben sich von dieser Idee anstecken lassen und sind zum 2. Spirit of Humanity Forum nach Reykjavik gekommen. Bereut hat es offenbar keiner von ihnen. Als zum Ende der Veranstaltung die Teilnehmer per elektronischer Abstimmung befragt wurden, was sie vom Spirit of Humanity Forum 2014 mit nach Hause nehmen, lauteten die meist gegebenen Antworten: „Ermutigung zum Handeln“ und „wichtige neue Bekanntschaften“. Dies war sicherlich eine Frucht der avancierten Kongress-Dramaturgie, die viel Raum für Gesprächskreise und bilateralen Austausch ließ und so jedem Anwesenden das Gefühl gab, nicht nur Konsument, sondern in erster Linie Mitwirkender zu sein.
Die Idee zum Spirit of Humanity Forum verdankt sich dem ehemaligen schwedischen Diplomaten Ragnar Ängeby. Dieser hatte beobachtet, dass dauerhafte Konfliktlösungen erst dann möglich werden, wenn die Opponenten sich mit ihrem eigenen inneren Frieden und Mitgefühl verbinden – mit dem Geist der Menschlichkeit, der aus dem bewussten Augenblick entsteht, wenn Zorn und Schmerz über die Vergangenheit ebenso wie die Angst vor der Zukunft zeitweilig ausgeblendet sind. Vor diesem Hintergrund sah Ängeby die Notwendigkeit, all diejenigen zusammenzubringen, die an neuen Formen der Konfliktlösung, Regierung und Führung interessiert sind.
Die Idee wurde vom europäischen Zweig der Brahma Kumaris aufgegriffen, einer Organisation, die ein globales Netzwerk von spirituellen Zentren unterhält. Nun entstand die Idee, ein Forum zu schaffen, das die Ausrichtung an menschlichen Werten unterstützen und deren Anwendung in unterschiedlichen Bereichen des Lebens beflügeln sollte. Verschiedene Organisationen konnten als Partner dafür gewonnen werden. Als schließlich Bürgermeister und Stadtrat von Reykjavík beschlossen, das Projekt zu unterstützen, war der Weg frei, es im September 2012 erstmals in der isländischen Hauptstadt zu veranstalten.
„Das Eis in den Herzen der Menschen schmelzen“
So sehr das Gespräch und der Austausch im Zentrum des Forums stehen, ganz ohne Keynote-Speaker geht es auch hier nicht. Und das ist gut so, denn was in Reykjavik von der Bühne aus kund getan wurde, verdiente durchaus die ungeteilte Aufmerksamkeit des Plenums –
selbst wenn es sich dabei um verlesene Botschaften von Rednern handelte, die nicht vor Ort sein konnten:
vom ehemaligen Generaldirektor der UNESCO Federico Mayor, der betonte, wie notwendig es für die Weltgemeinschaft sei, sich ihrer essentiellen Werte zu erinnern und ihrer gemäß zu handeln. Oder von Prinz Charles, der die Relevanz des Tagungsthemas unterstrich: „Worte wie ‚Liebe‘ und ‚Mitgefühl‘ werden gerne als ‚weiche
Begriffe‘ verspottet, dabei ist nichts schwieriger und härter, als sie zu verwirklichen“, mahnte er und warnte zugleich vor dem, was er gegenwärtig als „größte Gefahr von allen“ wahrnimmt: der „Weigerung, die menschlichen Werte zu umarmen“.
Doch wie soll das gehen? Wie können Werte – oder besser: Tugenden – wie Liebe und Mitgefühl in einem ökonomischen, politischen und sozialen Klima gedeihen, das von Gier und Geiz, Konkurrenz und Kampf beherrscht ist? Wie lässt sich das „Eis in den Herzen der Menschen schmelzen“, so dass sie ihr Wissen und ihre Technik in den Dienst des Lebens stellen, wie es der aus Grönland herübergekommene Eskimo-Älteste Angaangaq formulierte?
Leidenschaft für die Erde anfachen
An Vorschlägen und Ideen fehlt es nicht: Ruud Lubbers, der ehemalige niederländische Premierminister, erinnerte an die von ihm mitverantwortete Earth Charta, die Unternehmen und Regierungen gemeinsam in die Pflicht nimmt, um den Herausforderungen der Zukunft konstruktiv zu begegnen. Social Corporate Responsibility sei immer noch das Gebot der Stunde, auch wenn er inzwischen eine gewisse „Nachhaltigkeits-Ermüdung“ wahrnehme.
Polly Higgins, Vorsitzende der „Eradicating Ecocide Global Initiative“ aus Großbritannien, dringt deshalb auf eine Verrechtlichung der Beziehung vom Menschen zu seiner Erde: Der „Ökozid“ müsse durch Erd-Rechte verhindert, eine gesetzliche Verpflichtung zum Schutz der Erde etabliert werden.
Fürsorge und Mitgefühl für die Erde – neue Werte für die Zukunft? Vielleicht. Doch Mitgefühl allein wird nicht genügen. Daran erinnerte mit Verve der argentische Unternehmer Pedro Tarak. Nicht compassion, sondern passion – brennende Leidenschaft und Hingabe – seien für unsere Beziehung zur Erde erforderlich.
Ganz in dieselbe Kerbe schlägt Stewart Wallis von der Londoner New Economics Foundation, wenn er als zentrale Forderung für die Zukunft der Menschheit formulierte, es brauche eine neue Geschichte, einen neuen Mythos und eine neue Sprache, um das herrschende, verhängnisvolle Paradigma des Neoliberalismus von Sockel zu stoßen.
Eine „vollentblühte Welt“ als Ziel
„Es ist durchaus möglich, eine Wirtschaft im Dienste der Lebendigkeit zu haben“, ermutigte er seine Zuhörer: „eine Wirtschaft des Blühens“ (Economy of Flourishing), bei der die Märkte und Unternehmen nicht länger Herren über die Menschheit, sondern Diener der Lebens sein würden. Dieses Motiv griff der Ökonom Chris Laszlo auf und entwickelte es weiter, indem er für den neuen ökonomischen Mythos der Zukunft die Idee entwickelte, dessen Kernziel dürfe nicht einfach nur „Nachhaltigkeit“ sein, sondern nicht mehr und nicht weniger als „das Blühen des Lebens“: eine „vollentblühete Welt“, um es mit den Worten Friedrich Hölderlins zu sagen.
Darüber, dass dies leichter gesagt als getan ist, täuschte sich in Reykjavík niemand. Doch ebenso wenig darüber, wie wichtig es ist, eine gemeinsame Vision zu entdecken, der zu folgen einen jeden Menschen beflügeln und begeistern kann – eine schöne Vision, die unsere Leidenschaft und Liebe weckt, der zu dienen Lust macht und Kreativität entfesselt.
„Love and Compassion in Governance“, so wurde im Verlauf der zahlreichen Diskurse des Spirit of Humanity Forum immer deutlicher, meint viel mehr als eine bloße Kultur der Wertschätzung, Solidarität und Anerkennung. Es meint eine Kultur der Leidenschaft und Passion, eine erotische Kultur, die ein Feuer in den Herzen der Menschen entfacht und ihnen so die Energie bereitstellt, die sie brauchen werden, um ihrer Vision zu folgen: der Vision eines blühenden Lebens.
Christoph Quarch