Einige Gründe für´s Shoppen
Jeder Dritte in Deutschland besitzt mehr als 200 Kleidungsstücke. Billigmode macht´s möglich. Ines Eckermann hat die Gründe für das Shoppen erforscht: Manche suchen Aufregung im tristen Alltag, andere wollen Stress kompensieren. Auch die sozialen Medien tragen zu übermäßigem Konsum bei.
„Ich will mehr Sachen!“, quäkt sie. In einem pastellfarbenen Rüschenkleidchen sitzt sie wie eine schicke junge Dame auf den Steinstufen, ebenso elegant wie einsam. Ihre großen Kulleraugen starren in die Ferne. Bis Momo sie dort entdeckt. Mit einer roboterhaften Stimme ruft sie Momo entgegen: „Hallo. Ich bin Bibigirl, die perfekte Puppe.“
Momo erschrickt. Eine solche Puppe hat sie noch nie gesehen. Eine, die spricht und dabei sogar den Mund bewegt. „Ich gehöre dir. Alle beneiden dich um mich“, verkündet die Puppe mit ihrer Roboterstimme. „Ich möchte noch mehr Sachen haben!“ verkündet sie.
Doch die nach eigenen Aussagen perfekte Puppe wirkt auf Momo so ganz und gar nicht wie die perfekte Spielkameradin. Ihr ständiges Gequengel und Genörgel machen es Momo schwer, die Puppe gern zu haben. ii
Mit Bibigirl erschafft Michael Ende in seinem Kinderbuch Momo ein Spielzeug, das zum Tyrannen im Kinderzimmer werden könnte, indem es, den Verstand betäubend, nach immer mehr Zubehör schreit. Die wuschelköpfige Figur Momo, die viele Kinder der 80er und 90er noch aus der Romanverfilmung vor Augen haben, macht jedenfalls klar: So wirklich genug haben wir nie.
Fast Fashion: Verführung auf Social Media
Auch jenseits der Welt der Kindergeschichten flüstern uns Medienschaffende und Werbende immer wieder ins Unterbewusstsein: „Ich möchte noch mehr Sachen haben“ – bis wir es selbst glauben. Vor allem Social-Media-Plattformen wie YouTube oder Instagram verführen dazu, zu Anhängern schnell verblühender Wünsche und Moden zu werden.
Über Millionen vor allem junge Menschen folgen den Videokanälen der Fashion- und Lifestyle-Influencer. In ihren Videos geht es darum, an Duschgelflaschen zu schnuppern, mit Lippenstiften rote Streifen auf Handrücken zu malen – und massenhaft Billigkleidung vorzustellen.
“Haul” nennt sich das: Einkaufen, um es frisch aus der Einkaufstüte in die Kamera zu halten. Hauls ermuntern dazu, sich schön zu machen. Und oftmals zeigen sie uns, dass wir langsam aus der Mode geraten, wenn wir einfach so weitermachen. Und so gelangt Fast Fashion erst ins Bewusstsein und bald auch in die Kleiderschränke tausender Menschen.
Oft ist die Mode so billig, dass die Kundschaft sie nicht mal anprobiert und oft gleich mit mehreren vollgestopften Papierbeuteln aus dem Laden geht. Diese Art des Einkaufens wird für manche Menschen zur Belohnung für harte Arbeit, zum Trost an schweren Tagen oder zum Hobby, wenn nichts Besseres ansteht. Etwas Trauriges oder Nerviges ist passiert? Das Trostpflaster landete in der Einkaufstüte. Endorphine und Adrenalin durchfluteten das Gehirn.
Shoppen fürs Gehirn
Beim Shopping schüttet das Gehirn Botenstoffe aus, die ein gutes Gefühl geben. So sagt der Marketing-Professor Scott Rick, dass Shopping traurige Menschen wieder fröhlicher machen kann. Der Grund dafür ist ein anderer, als wir spontan vielleicht gedacht hätten: Wer shoppt, kauft sich das Gefühl von Kontrolle. Und das sorgt dafür, dass wir uns besser fühlen.
Wissenschaftliche Studien deuten in die Richtung, dass Shoppen tatsächlich gegen Traurigkeit hilft. Die Forschenden begründen das damit, dass wir in manchen Lebenssituationen das Gefühl haben, die Kontrolle über die Situation oder gleich unser ganzes Leben zu verlieren. Durch Einkaufen fühlen wir uns wieder als Herren und Herrinnen der Lage. Einfach nur zu bummeln, ohne etwas mit nach Haus zu nehmen, hat keinen vergleichbaren Effekt. iii
Manche Forschende nehmen an, dass der Überlebensinstinkt Menschen dazu bringt, einen Impulskauf zu tätigen: Für die seit der Steinzeit nicht viel weiter entwickelten Gehirne fühlt sich der Streifzug durch die Klamottenläden an, als würden wir auf die Jagd gehen.
Und wenn wir mit Schnäppchen wieder aus dem Dickicht aus billigen Textilen auftauchen, wähnt sich das Gehirn als großer Jäger. Besonders wenn ein Angebot nur für kurze Zeit zu haben ist oder die Stückzahl begrenzt ist, wollen wir das Teil umso mehr haben – sozusagen als Jagdtrophäe.
Vergleich und Selbstbild
In anderen Studien zeigte sich Shopping dagegen als stressig für die Probanden oder verstärkte den Stress, den sie ohnehin schon hatten. Das gilt vor allem für Menschen, denen materielle Dinge besonders wichtig sind. iv
Bei diesen Menschen fanden die Wissenschaftler Stress, Ängste und Lebensprobleme, die sie durch das Shoppen ausgleichen wollten. Insgesamt waren sie eher unglücklich, weil sie nicht an ihren Problemen arbeiteten, sondern die Symptome für kurze Zeit durch das Shoppen betäubten.
Ein weiterer Grund für den Spaß am Shoppen liegt darin, dass wir uns unwillkürlich vergleichen. Mit der Beute eines Einkaufsbummels können wir den finanziellen Status, die Zugehörigkeit zu einer Subkultur oder einen bestimmten Lebensstil nach außen kehren. So hilft das Einkaufen indirekt auch dabei, das eigene Selbstbild zu schärfen und das Selbst nach außen sichtbar zu machen.
Entsprechend gleichen wir uns anschließend selbst anderen ab – und schauen, ob wir besser gekleidet, reicher oder individueller sind als die Menschen in unserem Umfeld. Diesen Vergleich ziehen wir jedoch mehr oder weniger bewusst auch mit den Darstellungen in der Werbung oder in Social Media. Und diesen Vergleich verlieren wir meist.
Ob wir unsere Schränke tatsächlich mit Billigkleidung oder mit Qualitätsware füllen, scheint weniger eine Frage des Gelds als vielmehr des Charakters zu sein:v Wer mehr Wert auf sein Äußeres und vor allem auch auf die Aktualität seiner Kleidung legt, neigt eher zum Kauf von Fast Fashion als Menschen mit Hang zu Klassikern. Das ökologische und soziale Gewissen bleibt bei den meisten Shoppingtouren dagegen meist zuhause.
Ines Maria Eckermann machte einen Doktor in Philosophie. Nebenbei heuerte sie als freie Mitarbeiterin bei verschiedenen Medien an und engagiert sich im Umweltschutz.
Lesen Sie einen weiteren Beitrag der Autorin über Fast Fashion: Mode zum Wegwerfen – Wie Shein, H&M und Co. Mensch und Umwelt schädigen
Quellenangaben
i Vgl. Greenpeace: Selbstreflexion Modekonsum, online: https://www.greenpeace.de/files/publications/20151123_greenpeace_modekonsum_flyer.pdf, abgerufen am 30.11.2018.
ii Michael Ende: Momo.
iii Vgl. Scott, Rick: The Benefits of Retail Therapy: Making Purchase Decisions Reduces Residual Sadness, in: Journal of Consumer Psychology, 24 (3), Juli 2014, S. 373–380.
iv Vgl. Huffingtion Post: Shopping to conquer stress, online: https://www.huffingtonpost.com/2013/09/25/shopping-stress-materialistic-self-esteem_n_3990007.html und New Dream: High price materialism, online: https://www.newdream.org/resources/high-price-of-materialism, abgerufen am 30.11.2018.
v Vgl. https://psychology.fashion/i-shop-therefore-i-am-the-science-behind-why-we-shop-and-shop-and-shop