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Warum Verdrängen manchmal gut ist

Milles Studio GU/Unsplash
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Neue Forschung

Verdrängen macht krank, so lautet eine These Sigmund Freuds. Eine neue Studie der Universität Cambridge hat nun herausgefunden, dass das Verdrängen negativer Gedanken und Gefühle in manchen Fällen nutzen und die psychische Gesundheit stabilisieren kann.

Die These Sigmund Freuds, dass Verdrängen generell schadet, steht schon länger auf dem Prüfstand. Wissenschaftler erforschen, ob es möglich ist, negative Gedanken gänzlich zu verdrängen und ob die Verdrängung als „seelischer Abwehrmechanismus“ vielleicht sogar hilft.

In seinem Achtseiter „Die Verdrängung“ postulierte Sigmund Freud 1915: Wer fortwährend verdrängt, wird früher oder später krank (1). Denn, so der Analytiker, wenn wir verdrängen, kreisen unsere Gedanken danach erst recht um das, was wir nicht denken wollen. Schließlich klopfe das Verdrängte regelmäßig aus dem Unterbewusstsein heraus erneut an.

Das Unbewusste würde uns dann regelmäßig plagen, meinte Freud: sei es durch Krankheiten, Albträume oder Fehlleistungen. Und zahlreiche Studien, allen voran die des großen Harvard-Professors Daniel Wegener, besagen tatsächlich, dass sich Gedanken zwanghaft aufdrängen, die krampfhaft vermieden werden.

Neue Studie korrigiert Freud

Kann es trotzdem manchmal gut sein, sich nicht in die Gedanken hineinzusteigern? Ist es hilfreicher als gedacht, sich abzulenken, Netflix zu schauen, Musik zu hören oder an einen Ausflug zu denken, wenn hässliche Gedanken aufkommen? „Manchmal doch!“ besagt nun eine vielbeachtete Studie, die im September 2023 auf ScienceAdvances veröffentlicht wurde.

Die Studienleiter Zulkayda Mamat und Michael C. Anderson haben getestet, wie die Psyche reagiert, wenn wir unerwünschte Gedanken absichtlich verdrängen. Hierfür wurden 120 Probanden aus 16 Ländern genauer beobachtet. Inmitten der COVID-19-Pandemie konzentrierten sich Mamat und Anderson auf eher depressive und belastete Menschen.

Die Studienleiter baten ihre Teilnehmerinnen und Teilnehmer, an nichts Negatives zu denken, wenn sie Begriffe wie „Krankheit“ oder „Atmung“ lasen. Wenn Freud Recht hatte, müssten die Personen umso mehr an Krankheit und Tod denken, je mehr sie die Gedanken daran verhindern wollten. Das käme jenem Bumerang-Effekt gleich, den Freud befürchtet hatte.

Das Erstaunliche: Nach dreitägigem „Training“ konnten die Probandinnen und Probanden Gedanken an schwere Erkrankungen besser vermeiden. Ebenso konnten sie neutrale oder positive Gedanken besser verdrängen. Sie waren angstfreier – und erinnerten Ängste weniger lebendig.

Aus dem Gedankenkarussel aussteigen

Das Gedankenexperiment deutet eine weitere Leistung des neuronalen Netzwerks an. Es hat nicht nur die Fähigkeit, bewusst Dinge zu vergessen oder sich hiervon abzulenken – etwa indem man sich positiven Dingen zuwendet. Die Studie bot eine dritte Möglichkeit, mit negativen Einflüssen umzugehen. So können wir schlechte Gedanken möglicherweise bewusst blockieren und sozusagen mit der Kurznotiz „Gar nicht erst denken“ versehen.

Bei einem Schlüsselwort, visuellen Reiz oder einem ersten Gedanken lassen sich weitere gedankliche Assoziationen offenbar blockieren. Das gelingt zum Beispiel, indem man auf den eigenen Atemfluss, das Gefühl auf der Haut oder ein ablenkendes Objekt achtet. Diese Technik verhindert, dass negative Denkmuster aufkommen. Je öfter wir dies wiederholen, umso einfacher gelingt der positive Fluss im Denken.

Gedanke verschwinde!

Bis zu der Studie von 2023 war bereits bekannt, dass Menschen Erinnerungen absichtlich vergessen können, das heißt den Zugang zu Informationen neurologisch überlagern und so verlieren können. Verdrängen schien Forschern aber ungleich schwieriger.

Denn der bekannte Harvard-Psychologe Daniel Wegner hatte herausgefunden, was lange in Stein gemeißelt schien: Wenn wir bestimmen, dass wir beispielsweise nicht an ‘weiße Eisbären’ denken wollen, muss eine Kontrollinstanz quasi minütlich überprüfen, ob wir noch an ‘Eisbären’ denken. Und schon denken wir sie wieder.

Wie genau quälende Gedanken aber verdrängt und somit blockiert werden und welche Tragweite das für die Psychoanalyse und Tiefenpsychologie hat, ist noch unklar. Schleicht sich etwa ein Gefühl, minderwertig zu sein, ins Gespräch mit der Nachbarin, helfen aber offenbar sofortige Gedanken wie: „Komplex verschwinde“ oder „Einatmen, ausatmen“.

Genau das geschieht, wenn Menschen Achtsamkeit oder Meditation üben, wobei hier von psychisch gesunden Menschen ausgegangen wird. Sie üben, Grübelspiralen zu durchbrechen, also Gedanken zu stoppen und immer wieder in den gegenwärtigen Moment zurückzukehren. Dies stärkt die mentale Gesundheit. Allerdings muss das nicht unbedingt für akute psychische Krisen gelten, bei denen psychische Belastungen immer wiederkehren.

Zusätzlich zu Meditation und Achtsamkeit schlug der bekannte Sozialpsychologe Wegner vor, unerwünschte Gedanken durch das Verschieben auf später zu verdrängen: „Versuchen Sie sich selbst zu sagen: Ich werde daran nicht denken – bis zum nächsten Mittwoch.“

Das könne verhindern, für den restlichen Tag unnötig zu grübeln. Auch zwei weitere Tricks könnten Wegner zufolge helfen, freier von Gedankenspiralen zu werden: Multitasking sei zu vermeiden, denn es verhindere, dass man gut abschalten kann.

In manchen Fällen jedoch sei die Konfrontation mit negativen Gedanken zwar schmerzvoll, doch heilsam. Wegner erklärte hierzu: „Wenn du dir selbst erlaubst, in kontrollierter Weise über etwas nachzudenken, das du verdrängen möchtest, dann wird es weniger wahrscheinlich erneut in deinen Gedanken auftauchen.“

Die Bedeutung von Verdrängung für uns

Grundsätzlich ist die kognitive Fähigkeit zur Verdrängung wohl vererbt. So sollten Betroffene vermeiden, traumatische Prozesse wieder ins Bewusstsein zu holen. Wenn sie das tun, dann in therapeutischer Begleitung.

Die neue Studie ergänzt eine Reihe neuerer Studien, die Freuds negative Sicht auf Verdrängung relativeren. Schon im Jahr 2011 konstatierten Marcus Mund und Kristin Mitte in ihrer Metanalyse über gute Gefühlsunterdrücker: „Interessanterweise sind Represser (gute Gefühlsunterdrücker) weitaus ängstlicher als sie selbst glauben oder zugeben wollen.“

Oft reagierten sie mit erhöhtem Puls auf psychischen Stress. Daher könne ein Schlüssel zur mentalen und körperlichen Gesundheit sein: Wer dazu neigt, seine Gefühle oft zu kontrollieren, fährt besser damit, sich öfter mit seinen Gefühlen zu konfrontieren. Wer aber schnell gestresst und deprimiert ist, kann in schwierigen Zeiten Gefühle lieber verdrängen.

Die neue Studie zeigt, dass es mit einiger Übung möglich ist, den eigenen Gedankenfluss zu verändern und negative Gedanken aktiv zu verdrängen. In der Achtsamkeitspraxis zum Beispiel geschieht genau das: Statt sich in Gedanken zu verfangen, bringt man den Geist immer wieder ins Hier und Jetzt.

Bei psychisch Kranken könnte es anders aussehen: Unangenehme Gefühlem, negative Erinnerungen, Belastendes aus der Vergangenheit, das wiederholt ins Bewusstsein gespült wird, sollte unter fachkundiger Betreuung bearbeitet werden.

Lesen Sie auch das Interview mit dem Psychiater und Achtsamkeitslehrer Dr. Michael Huppertz: “Wer häufiger achtsam ist, beugt Depressionen vor”

Foto: privat

Maria Köpf arbeitet als Journalistin und Dozentin in Klagenfurt. Sie hat Germanistik und Judaistik studiert und schreibt u.a. für Magazine wie Spektrum Gesundheit oder Onlinemedien wie Ethik-heute.org oder Spiegel Online.

Quellen:

Improving mental health by training the suppression of unwanted thoughts | Science Advances

https://www.psychanalyse.lu/Freud/FreudVerdrangung.pdf

https://www.zeit.de/zett/2019-12/so-koennt-ihr-versuchen-negative-erinnerungen-schneller-zu-vergessen

https://www.apa.org/monitor/2011/10/unwanted-thoughts

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/22081940/

 

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