Ein Essay der Philosophin Ina Schmidt
Der Aufstieg des Rechtspopulismus im Westen, der mit der Wahl Donald Trumps einen weiteren Höhepunkt erreicht, zeigt, wie groß die Ängste der Menschen sind. Die Philosophin Ina Schmidt ermuntert in ihrem Essay, sich der Angst zu stellen und bewusst Zuversicht zu entwickeln. Denn nur wer hofft, kann Sinn im Leben finden.
In unsicheren, unübersichtlichen Zeiten sehnen wir uns nach Stabilität und Sicherheit, nach konkreten Antworten auf unsere Fragen und Sorgen. Viele Menschen haben Angst vor der Zukunft und kein Vertrauen in die herrschende politische Klasse. Wie kann ein amerikanischer Milliardär mit widersprüchlichen Parolen zum Vertreter des einfachen weißen Mannes werden? Einer, der Hass schürt und Minderheiten beschimpft? Wie groß muss die Angst sein, um all das zu übersehen – und zwar nicht nur in den USA? Auch in Europa hat Rechtspopulismus Hochkonjunktur, wohin man auch blickt.
Wir dürfen nicht wegschauen. Wir müssen endlich die Ängste und Nöte der Menschen ernst nehmen. Genau so gilt es, das Bewusstsein dafür wach zu halten, dass Freiheit eine demokratische Errungenschaft ist, die es gegen jedes populistische Geschrei zu verteidigen gilt.
Schauen wir uns in unserer Welt um, stimmt uns vieles von dem, was wir da sehen, nicht sehr zuversichtlich – und das nicht erst seit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA. Denn obwohl die Deutschen laut dem aktuellen „Glücksatlas“ glücklicher sind als in den letzten Jahren, werden auch bei uns populistische Stimmen immer lauter, die AFD-Parolen nachplappern und „den anderen“ die Schuld an ihren Lebensumständen geben.
Die Kriminalitätszahlen steigen ebenso wie fremdenfeindliche Übergriffe und sogenannte „Hassdelikte“, Menschen beklagen Kränkungen und fühlen sich beleidigt. Juristen erkennen eine eigenartige „Straflust“ in öffentlichen Forderungen und Stellungnahmen. All das ist allein mit der Flüchtlingsthematik in unserem Land nicht zu erklären. Und selbst wenn ein Zusammenhang bestünde, dann bringen die Flüchtlinge nur etwas zum Vorschein, von dem wir vorher offenbar zu wenig Notiz genommen haben. Amerika lässt grüßen.
Wo ist unsere Zuversicht geblieben ?
Wo aber ist unsere Zuversicht geblieben? Oder haben wir wirklich keinen Grund mehr, zuversichtlich zu sein? Eine Kraft, die sich vor allem dann zeigt, wenn es schwierig wird, wenn die eigene Komfortzone auf dem Prüfstand steht und die stärker sein muss als das Aufbranden einer mehrwöchigen emotionalen Welle der „Willkommenskultur“. Was macht eine Figur wie Donald Trump in Amerika oder eine Partei wie die AfD in Deutschland überhaupt möglich und hat das eine überhaupt etwas mit dem anderen zu tun?
Irgendetwas brodelt offensichtlich unter der Oberfläche der Demokratie liebenden westlichen Kultur. Wenn wir mutig genug sind, dann nennen wir es nicht Verunsicherung oder Zweifel, sondern Angst. Wovor genau haben wir Angst und warum glauben so viele von uns offenbar sehr viel weniger an Werte wie Freiheit, Toleranz und Weltoffenheit, als es notwendig wäre, um zuversichtlich zu bleiben?
Angst als Grundbefindlichkeit des Menschen
Was bedeutet es, Angst zu haben? Gehen wir diese Frage philosophisch an, so ist Angst, eine sogenannte Grundbefindlichkeit des Menschen, also etwas, das jedem von uns innewohnt. Es ist trotz all unserer rationalen Vermeidungsstrategien nicht möglich, ohne Angst durchs Leben zu gehen. Dies ist eine wichtige Einsicht – es ist menschlich und sogar notwendig, Angst zu haben und sich dazu auch bekennen zu dürfen.
Die Philosophie sieht in diesem Bekenntnis sogar eine ihrer existenziellen Antriebskräfte, denn nichts macht uns mehr Angst, als das Wissen um die eigene Vergänglichkeit, das unvermeidliche Ende. Wir sind wahrscheinlich das einzige lebendige Wesen, das um den eigenen Tod weiß – und damit wissen wir, dass am Ende wenig von unseren Bemühungen bleibt. Die Menschen um uns herum werden ebenso sterben, wie wir selbst, jeden Tag sind wir in Gefahr und allein diese Tatsache reicht, um uns gehörig Angst einzujagen.
So sah z.B. der Philosoph Michel Montaigne im 17. Jahrhundert die wesentliche Bereicherung des philosophischen Denkens darin, das Sterben zu lernen. Nicht erst im Angesicht des Todes, sondern bereits mitten im Leben – immer wieder aufs Neue, im Umgang mit Wandel und Veränderung, mit Aufbruch und Abschied von Menschen und Dingen, die uns lieb und teuer sind. Immer wieder geht es darum, mit dem Ende von etwas umgehen, etwas Neues begrüßen zu lernen und nicht zu wissen, ob wir darin wirklich eine Verbesserung, eine Bereicherung erkennen können.
Und das betrifft nicht nur die persönlichen und privaten Momente: Auch in politischen Umbruchsphasen gilt es gerade vor dem Hintergrund der eigenen demokratischen Werte und Vorstellungen vom guten Leben, auch ungeliebte, aber freiheitlich getroffenen Entscheidungen als Ergebnis der Freiheit aller anzuerkennen.
Hoffnung bewahren
Vor dieser Herausforderung stehen wir als Individuum, als Teil einer Familie, als Geschäftsführerin oder Fußballtrainer, aber eben auch als Teil einer Gesellschaft – als mündiger Bürger und Vertreterin einer politischen Haltung. Wie aber finden wir eine solche Haltung im Angesicht von Wut und Ärger, von Angst, Bedrohung und Unsicherheit? Wie viel Anlass gibt uns das, was um uns herum vor sich geht, zuversichtlich zu sein, oder eben auch nicht?
Der US-Psychologe und Kognitionswissenschaftler Steven Pinker beschreibt in seinem Buch „Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschen“, dass die äußeren Umstände uns derzeit zwar beunruhigen, dass aber die Nachkriegsjahre mit Abstand die längste Zeit des Friedens zwischen den Großmächten darstellt und das seit über 500 Jahren – auch wenn dieser Frieden hauptsächlich ein europäisches Phänomen beschreibt.
Auf der Weltbühne tun die Vereinten Nationen seit 1971 ihre Arbeit und verhindern wieder und wieder, dass der Krieg als opportunes Mittel einer Fortsetzung des Krieges gedankenlos erklärt wird. Das verhindert nicht die Ausbreitung von Terrorismus und extremistischer Gewalt an vielen Orten dieser Erde, aber es ist mehr als „nichts“ oder nur das hilflose Rudern eines globalen Papiertigers.
Es wird sich zeigen, ob diese Tradition nicht stärker ist, als wir denken, wenn wir uns von den irrationalen Wutausbrüchen und Drohungen eines politischen Dilettanten im Weißen Haus bedroht fühlen. Die politischen Mittel der Zuversicht sind andere, leisere – etwa die Diplomatie, der Dialog und die Förderung der Bildung. Es sind Mittel, die wir gerade in einer solchen Lage hochhalten und standhaft einsetzen müssen, besonders das Bemühen, im „Gespräch zu bleiben“, wie es der jüdische Denker Martin Buber in seinen Schriften über die Kraft des Dialogischen ausführt.
Ein Dialog bedeutet nicht, sich in weichgespülten Phrasen der eigenen Verantwortlichkeit zu entziehen, sondern meint den souveränen Umgang mit der eigenen Zuversicht, dass es immer besser ist, miteinander zu sprechen, als es nicht zu tun. Ein Dialog ist nicht die Lösung, aber er ist die Voraussetzung dafür, dass Lösungen gefunden werden können.
Eine solche Haltung verlangt allen Beteiligten viel ab, vor allem Zeit, und die haben wir gerade in Konflikten oft nicht. Es ist jedoch klar, dass die schnelle Eskalation eines Konflikts das schlechteste aller möglichen Resultate ist. Es geht also aber weniger darum, sofort wissen zu müssen, was zu tun ist, als darum, die Hoffnung nicht zu verlieren, dass wir es herausfinden können.
Wer frei sein will, muss hoffen können
Das, was diese Ansätze eint und was sie so wertvoll macht, ist ihr Glaube an einen anderen Weg, die Zuversicht und Hoffnung, dass sich etwas auf andere Weise verändern kann. Der Philosoph und Mediziner Giovanni Maio sieht in der Fähigkeit, zu hoffen, die Voraussetzung dafür, an die eigene Fähigkeit als wirksame Gestaltungsfähigkeit zu glauben. Es geht nicht um einen weltfremden, naiven Glauben, der stets das „Gute“ hofft und sich von der Wirklichkeit abkehrt, sondern um die Bereitschaft, sich selbst in der Hoffnung auf das Gute auch dafür einsetzen zu wollen.
Es geht um die Zuversicht, dass wir als Menschen handeln können – egal wie groß der Gegenwind oder die vermeintlichen Widerstände sind. Besonders wenn wir uns zusammenschließen und politisch, kollektiv handeln, können wir in Demokratien Einfluss nehmen, vielleicht gegenwärtig nicht auf jede Demokratie, aber auf die eigene, die europäische Idee davon, in welcher Welt wir leben wollen.
„Die Hoffnung stirbt zuletzt“ ist keine zynische Einsicht vermeintlicher Realisten, sondern die Grundlage für ein anständiges Miteinander, die sich auch von Unwahrscheinlichkeiten und Konflikten nicht komplett aus dem Gleichgewicht bringen lässt.
Giovanni Maio fasst diese Einsicht in einem Interview mit dem Magazin ZEIT Wissen sehr schön zusammen: „Wir leben in einer Zeit, in der wir vor lauter Rechnen das Hoffen verlernt haben. Wenn dann die Unabsehbarkeit der Zukunft deutlich vor Augen tritt, verzweifeln wir, weil wir verlernt haben, Vertrauen in eine ungedeckte Zukunft zu haben. Hoffnung ist eine Loslösung vom Anspruch auf eine Erfolgsgarantie und die Gewissheit, dass es Sinn macht, an das Morgen zu glauben.“ (ZEIT Wissen, Nr. 6, Okt/Nov 2016, S.26)
Das, was wir in der westlichen Welt als einen wichtigen Wert hochhalten und von dem wir glauben, dass gerade wir ihn als Säule der Demokratie verteidigen müssen, ist die Freiheit. Es kann nicht gelingen, in Freiheit zu leben, wenn wir die Hoffnung aufgeben, gute Bedingungen für ein Leben in Freiheit schaffen und bewahren zu können. Hören wir auf zu hoffen, dann geben wir die Freiheit zugunsten der eigenen Ängste auf, kein guter Tausch.
Wir haben die Wahl
Bewahren wir also unseren Glauben an den Wert der Freiheit, dann gilt es noch einen Schritt weiter zu gehen: Wir müssen lernen, uns der Realität als einem Wirklichkeit stiftenden Prozess zu nähern, an den wir keinerlei Ansprüche haben. Wir haben kein Recht auf einen anderen amerikanischen Präsidenten oder eine Gesellschaft, in der die AfD nicht gewählt würde. Wirklichkeit entsteht durch das, was wir tun, durch das, was wir entscheiden und durch die Verwirklichung bestehender Möglichkeiten.
Dabei richten sich diese Möglichkeiten nicht immer nach unseren Wünschen – und das ist keine Binsenweisheit. Würden wir der Welt, wie sie ist, keinerlei Bedeutung zumessen, ihr moralische Setzungen und Werte zur eigenen Orientierung geben, dann wäre sie mit der Philosophin Hannah Arendt nur ein „Haufen beziehungsloser Dinge“. Die Wirklichkeit ist keine Festung, die wir beschützen müssen, sondern ein Prozess, der gestaltet werden will. Wir können nicht ausschließen, uns bedroht zu fühlen: Von der Unsicherheit der Zukunft, von der eigenen Angst, von der Tatsache des eigenen Todes oder der Angst vor Verlust und Veränderung.
Wir haben aber die Wahl, und diese Wahl trifft jeder von uns ganz allein: ob es diese Bedrohlichkeit der Welt ist, die unser Handeln bestimmt, oder der Glaube daran, dass es auch etwas anderes gibt, das wir eben dieser Bedrohlichkeit entgegensetzen können – etwas, das wir jeden Tag erleben, in dem, was gelingt, was gut läuft, in den Handlungen von uns selbst und anderen aus Hilfebereitschaft, Liebe oder dem Glauben an das Gute.
Der Philosoph Ernst Bloch hat während des Zweiten Weltkriegs von 1936-1947 sein dreibändiges Werk „Das Prinzip Hoffnung“ geschrieben, in dem er dazu aufruft, all die großen Fragen zu stellen. Er appelliert, den Mut aufzubringen, die Angst auszuhalten, die diese Fragen mit sich bringen, und gerade deswegen die Hoffnung nicht zu verlieren. Er schreibt in seinem Vorwort Appell, der heute wieder sehr aktuell erscheint:
„Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Was erwarten wir? Was erwartet uns? Viele fühlen sich nur als verwirrt. Der Boden wankt, sie wissen nicht warum und von was. Dieser ihr Zustand ist Angst, wird er bestimmter, so ist er Furcht. Einmal zog einer aus, das Fürchten zu lernen. Das gelang in der eben vergangenen Zeit leichter und näher, diese Kunst ward entsetzlich beherrscht. Doch nun wird, die Urheber der Furcht abgerechnet, ein uns gemäßeres Gefühl fällig. Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern.“
Das bedeutet nicht, dass wir nicht mehr scheitern, stolpern, hinfallen und alles hinschmeißen wollen. Wenn es aber das Gelingen ist, in das wir verliebt sind, dann haben wir die Chance, den Bedrohungen in der Welt die Stirn zu bieten, weil wir die Kraft haben, an das Gute zu glauben.
Ina Schmidt
Dr. Ina Schmidt ist Philosophin. Sie hat denkraeume ins Leben gerufen, eine Initiative für philosophische Praxis. Buchautorin, Referentin der Modern Life School und freie Mitarbeiterin des Philosophiemagazins „Hohe Luft“.
Ina Schmidt unterrichtet auch im Weisheitstraining des Netzwerks Ethik heute.