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Gefühle in Balance bringen

Robert Collins/ Unsplash
Robert Collins/ Unsplash

Über einen guten Umgang mit Gefühlen

Gefühle helfen, die Wirklichkeit zu ordnen. Doch manchmal passen Gefühle nicht zur aktuellen Situation, dann kommt es zu unangemessenen Reaktionen. Die Psychotherapeuten Christiane und Guido Peltzer erklären, wie sich schwierige Gefühle mit Achtsamkeit, Hinwendung und Weisheit transformieren lassen.

Wie kommt das Baby auf die Welt? Das Baby hat schon im Mutterleib Gefühle, aber es kann diese Gefühle nicht benennen. Wenn es aufwächst, lernt das Kind im Kontakt mit den Eltern über die Sprache sich selbst kennen und sich über die benannten Gefühle in der Welt zurechtzufinden.

Somit sind Gefühle wie ein Filter, der dabei hilft, die Wirklichkeit zu bewerten und zu ordnen. Aber Gefühle können noch mehr: Sie sind Ausdruck von Lebensfreude und Lebendigkeit, sie modellieren unsere Persönlichkeit und regulieren den Umgang mit mir und mit Anderen.

Alte Gefühle, die nicht zur aktuellen Situation passen

Manchmal ist unser gegenwärtiges Empfinden von früheren Empfindungen in ähnlichen Situationen geprägt. Das Gehirn schlägt uns ein Gefühl vor, das wir schon einmal hatten. Und das ist ein Problem. Denn dieser Vorschlag aus der Vergangenheit ist nicht immer passend. Das kann dazu führen, dass wir in vielen Situationen unpassende, unangemessene Gefühle haben und unangemessen reagieren.

Das Gehirn legt das alte Bild über das aktuelle Bild und bewertet die Situation wie in der Vergangenheit. Da die Seele in Bildern denkt, bringt sie so die alten Gefühle hervor. Die Herausforderung liegt darin, dies wach zu bemerken und zu korrigieren.

Wenn es mir nicht gelingt, das vorgeschlagene Gefühl mit der aktuellen Situation zu vergleichen und entsprechend zu korrigieren, reagieren wir oft unangemessen und mit unvernünftigen Reaktionen. Das kann leicht zu Missverständnissen und Schwierigkeiten führen. Kommunikation und respektvoller Umgang mit dem Gegenüber werden so erschwert.

Es ist wichtig, den Zusammenhang zwischen Gefühlen und Wahrnehmungen zu sehen. Unterschiedliche Blickwinkel führen zu verschiedenen Wahrnehmungen. Zeugenaussagen nach einem Autounfall können sehr unterschiedlich sein, denn die Wahrnehmung des Geschehens wird von unseren Gefühlen beeinflusst.

Wir bewerten mit den Gefühlen unsere Wahrnehmung und umgekehrt verändert Wahrnehmung unsere Gefühle. Wenn wir etwas sehen, was uns normalerweise ängstigt, werden wir in ähnlichen Situationen mit Angst reagieren.

Es gibt eine Pause zwischen Wahrnehmung und Gefühl

Wenn wir die Wahrnehmung und die Gefühle verändern wollen, brauchen wir Aufmerksamkeit und Wachheit für die Art und Weise, wie wir wahrnehmen und welche Gefühle wir damit verknüpfen.

Im Innehalten können wir mehr und mehr feststellen, dass zwischen der Wahrnehmung und dem Gefühl eine kleine Pause ist. Die Wahrnehmung ist immer vor dem Gefühl. Das Gefühl ordnet die Wahrnehmung ein und bewertet sie.

Durch Übung können wir diese Pause verlängern und bemerken, dass das Gefühl immer nach der Wahrnehmung kommt. Manchmal gelingt es, in diese Lücke einzutauchen und die Stille in dieser Lücke zu bemerken. Dann gelingt es mehr und mehr, zu einem anderen Gefühl und damit zu einer anderen Bewertung der Wahrnehmung und der Situation zu kommen. So können wir uns einem weisen Umgang mit den Gefühlen annähern.

Viele schwierige Emotionen entstehen aus Angst

Leider sind Gefühle hartnäckig. Unsere Erziehung schlägt vor, dass Menschen versuchen sollen, „sich zu beherrschen“, ihre Gefühle zu kontrollieren. Dabei werden die Gefühle dann meistens unterdrückt. Dadurch verschwinden die Gefühle aber nicht, sondern sie tauchen an anderer Stelle wieder auf.

In diesen Zeiten erleben wir eine große Verunsicherung durch die vielen Veränderungen und Belastungen, die wir erleben. Der Krieg in der Ukraine, die sich zuspitzende Klimakatastrophe erfordern schnelles Handeln. Dies führt zu einer Beschleunigung, die leicht zu überstürzten und unangemessenen Reaktionen führt. All dies beinhaltet weitere Verunsicherung und steigert die innere Angst in uns allen.

Diese Angst ist das grundlegende Gefühl, aus dem unsere Schwierigkeiten mit unseren Emotionen herrühren. Woher kommt die Angst? Leboyer, ein Geburtshelfer, hat gesagt:“ Was geboren wird ist die Angst.“ Natürlich ist da erst mal die Angst vor dem Tod, der Vergänglichkeit, der ständigen Veränderung. Wir leben im Bewusstsein, dass sich alles verändert und ich mich an nichts festhalten kann. Daher verwenden wir viel Energie darauf, in unserem Leben alles unter Kontrolle zu bringen.

Wir identifizieren uns, damit wir uns an etwas festhalten können. Das kann aber kaum gelingen. Immer bleibt ein Rest von Unsicherheit und Befürchtung. Daraus entsteht die Angst um das Selbst, ein Gefühl von Bedrohung des Ichs. Das ist mit einer dauernden Alarmreaktion verbunden.

Um Stress abzubauen, brauchen wir Bewegung und Gynmastik, Entspannungstechniken wie Qi Gong,Thai Chi und Yoga oder die Meditation. Diese regelmäßig geübt, helfen, sich innerlich zu beruhigen. Wir kommen wieder ins Gleichgewicht und in unsere Mitte. Besonders unter Druck hilft diese Selbstregulation, um zu einem angemessenen Umgang mit mir und anderen zu kommen.

Manchmal gibt es aber auch tiefer gehende Störungen. Wenn starke Verletzungen oder Traumatisierungen vorliegen, braucht es in aller Regel eine professionelle Psychotherapie.

Hinschauen in der Meditation hilft, Gefühle zu bewältigen

Eine gute Möglichkeit zum Umgang mit Gefühlen bieten die meditativen Traditionen. In der Meditation üben wir vor allem hinzuschauen. Denn normalerweise tun wir das gerade nicht, wenn wir unter Druck geraten.

Dann greifen wir zu alten Reaktionsmustern: fliehen, kämpfen oder einfrieren, auf Englisch: fly, fight, freeze. Eine besser Möglichkeit wäre face, also hinschauen, konfrontieren.

Wir stellen uns der Situation und dem Gefühl, so wie es gerade ist, radikal und ehrlich. Wir betrachten die Situation ohne Bewertung ganz direkt. Diese Form von Konfrontation ist nur im Jetzt möglich.

Gewöhnlich ziehen wir Schlüsse aus der Vergangenheit und versuchen damit, die Zukunft vorherzusagen. Wir glauben, uns so auf die Zukunft einstellen zu können, uns auf sie vorbereiten zu können und sie zu kontrollieren. Das gaukelt uns Sicherheit und Vorhersagbarkeit vor.

Dabei geht jedoch die Wahrnehmung für den gegenwärtigen Augenblick in der Regel verloren. Die Gegenwart wird zwischen Vergangenheit und Zukunft erdrückt. Nur wenn es mir gelingt, im gegenwärtigen Moment des Jetzt zu schauen, kann ich meine Wahrnehmung der Gegenwart verändern.

Das braucht die Bereitschaft, die Vergangenheit loszulassen. Wenn ich mir klarmache, dass alles, was ich erlebt habe, endgültig vorbei ist, kann ich aufhören, danach zu greifen. Es geht auch nicht darum, die Vergangenheit zu begreifen. Es ist einfach nur loslassen.

So können sich Gefühle verändern und damit ist auch eine andere Zukunft möglich. Dabei lernen wir, wie von außen auf uns selbst zu schauen und Weisheit zu entwickeln.

Gefühle verändern, indem man den Blickwinkel weitet

Die Kunst liegt darin, mit viel Geduld auf das zu schauen, was wir bemerken. Wenn wir in Not sind, wenn wir Angst haben und nicht weiter wissen, verengt sich die Wahrnehmung. Wir lassen keine Alternativen zu und verlieren die Flexibilität, die Beweglichkeit. Wir geraten in eine Sackgasse. Beim konfrontativen Betrachten – face – geht die Tür am Ende der Sackgasse plötzlich auf und der Blick weitet sich. Dadurch verändern sich meine Absichten und mein Handeln in der Welt.

Thomas Metzinger behandelt dieses Thema in seinem Buch „Bewusstseinskultur“. Er spricht darin von „Redlichkeit“. Meditation könne dazu einen Beitrag leisten. Ein Weg zum weisen Umgang mit Gefühlen wäre die Meditation, die mir das „face“ ermöglicht.

Indem wir aus dem Kampf um die Stabilisierung und die Kontrolle der Umwelt heraustreten, können wir entdecken, dass es keinen Unterschied zwischen mir und den anderen gibt. Wir sind alle Menschen, wir haben Bewusstsein und alles geht vom Bewusstsein aus. So verändert sich das Getrennt-sein in ein Verbunden-sein. Das Entweder-oder wird zu einem Sowohl-als-auch.

Im Blick auf den Anderen entdecke ich mich selbst. Daraus ergibt sich ein völlig neuer und veränderter Umgang mit mir selbst und der Welt. Jetzt erlebe ich, dass ich die Welt, die ich kreiere, selber bin. Die Welt entfaltet sich in meinen Absichten. Wenn diese Absichten nicht mehr allein auf mich bezogen sind, weil ich verstanden habe, dass ich kein eigenständiges Ich bin, dann ist Wohlergehen nichts Individuelles mehr und meine Gefühle wandeln sich.

Dafür ist es wichtig die Gewohnheiten gehen zu lassen, Vertrauen zu fassen und in den Prozess der Kreativität hinein zu leben. Mit Jean Gebser:

das uns ein Sanftes geschehe,

wenn uns der Himmel berührt,

wenn seine atmende Nähe

uns ganz zum hier sein verführt.“

Schauen Sie auch den Vortrag von Christiane und Guido Peltzer zum Thema, mit Übungen:

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Dr. Guido Peltzer und Christiane Peltzer sind Ärzte für Psychotherapeutische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie. Sie waren viele Jahre in eigener Praxis tätig. Sie haben darüber hinaus eine langjährige Meditationspraxis in der indischen Tradition.

Heute bieten sie Meditationskurse und Begleitung in der Meditation an. Weitere Informationen auf www.parasamvit.de. Sie leiten auch Workshops im Weisheitstrainings vom Netzwerk Ethik heute

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