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„Der Zusammenhalt hat uns gerettet“

Foto: Spitz
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Ein Besuch in Israel

Hilda Simcha, 95, gehörte zu den ersten Einwanderern nach Israel nach dem Zweiten Weltkrieg. Nachdem sie die Hölle von Auschwitz überlebte, gründete sie den Kibbuz Netzer Sereni nahe Tel Aviv mit, in dem sie heute ihren Lebensabend verbringt. Birgit Stratmann hat sie besucht und war beeindruckt von der starken inneren Kraft Hildas.

„Wir sind nicht mehr viele“, sagt Hilda (95) zu Beginn des Gesprächs, als ich sie in ihrem Kibbuz Netzer Sereni in Israel besuche. Das Kollektiv wurde 1948 von Überlebenden des Holocaust in der Nähe von Tel Aviv gegründet: Hilda Simcha, Horst Efraim Goldschmidt und anderen Weggefährten, die der Hölle von Auschwitz entkamen. Sie haben es geschafft, ein neues Leben zu beginnen, frei von Verbitterung und Hass.

Hilda wurde 1923 in Berlin geboren und hatte, wie sie sagt, „eine gute, sorgenfreie Kindheit“. Sie besuchte das jüdische Gymnasium Moses Mendelssohn in Berlin Mitte – bis die Nazis die Macht ergriffen. Das Leben änderte sich schlagartig.

„Wir haben uns immer als Deutsche gefühlt“, sagt Hilda nachdenklich. Und dann plötzlich blanker Hass, Ausgrenzung, Verfolgung und eine nie gesehene Brutalität.

Zunächst musste sie Zwangsarbeit in einer Rüstungsfabrik in Fürstenwalde nahe Berlin leisten. Immer mehr Freunde und Familienmitglieder wurden in die Konzentrationslager deportiert. Sie selbst und ihre „Berliner Gruppe“, wie sie den Kreis ihrer zionistischen Freunde nennt, wurde am 19. April 1943 nach Auschwitz abtransportiert – dem Geburtstag Adolf Hitlers. Es sollte „ein Geschenk für den Führer sein“, wie sie bemerkt. Sie war erst 20 Jahre, alle kamen in den gleichen Block.

Wer von den Nazi-Schergen nicht sofort in die Gaskammern geschickt wurde, musste auch hier Zwangsarbeit leisten. Manche haben sich selbst getötet, indem sie den elektrischen Zaun des Lagers berührten, andere starben an Krankheit oder Hunger.

Ihr musikalisches Talent hat Hilda gerettet: Zuerst spielte sie Geige im Orchester. Jeden Morgen und jeden Abend musste musiziert werden, wenn die Lagerinsassen den Weg zur Arbeit und zurück antraten. Die Entkräfteten mussten im Takt der Musik marschieren, damit der Transport nicht zu viel Zeit in Anspruch nahm.

Hilda hasste ihren Job und die Tyrannei gegenüber ihren Freunden. Sie hasste es mitanzusehen, wie die Nazi-Schergen schwarze Hunde auf Menschen losließen, die zu schwach zum Gehen waren. Die verstörenden Bilder hat sie noch heute im Kopf. Seit dieser Zeit hat sie keine Geige mehr angerührt.

Jedes Stück Brot miteinander geteilt

„Irgendwann hatte ich glücklicherweise einen Abszess am Hals und konnte die Geige nicht mehr halten. Sie kommandierten mich ab, um Musikstücke von Klavier auf Orchester umzuschreiben,“ erzählt sie von ihrem Überlebenskampf. Es war ihre Rettung, da sie keine schwere Arbeit verrichten musste wie so viele andere. Und doch litt auch sie unsagbar unter den menschenunwürdigen Lebensbedingungen, der Mangelernährung und der Brutalität der Aufseher.

Wie kann man die Hölle von Auschwitz überleben? Hilda zögert keinen Moment: „Unser Zusammenhalt hat uns gerettet. Wir haben uns umeinander gekümmert, auch in ärgster Bedrängnis. Wir haben jedes Stück Brot miteinander geteilt, zum Beispiel wenn einer in unserem Block etwas mehr Brot bekommen hatte.“

Ihr Weggefährte Efraim Goldschmidt beispielsweise, der im Februar 2018 verstorben ist, wog 1945 nur noch 25 Kilogramm. Als die Alliierten die Nazis bekämpften, beschlossen diese, die Konzentrationslager aufzulösen und alle noch lebenden Juden auf „Todesmärsche“ zu schicken. In Lumpen und Holzschuhen mussten sie zu Fuß durch den eisigen Winter marschieren.

Efraim war zu schwach zu gehen, berichtet Hilda. Den ganzen Weg lang, mehrere Tage, viele Kilometer, nahmen ihn seine Freunde in die Mitte und stützten ihn. „Ohne die gegenseitige Unterstützung wären wir verloren gewesen“, bekräftigt sie. Die Befreiung kam, als sie auf alliierte Soldaten trafen.

Shoah-Überlebende gründen Kibbuz

Nach dem Krieg kamen Hilda, Efraim und die anderen Zionisten, die sich noch aus Berlin kannten, über einige Umwege nach Israel. Auf dem Gebiet Palästinas hatten Juden nach dem „Unabhängigkeitskrieg“ (1947-49) und der Verabschiedung des UN-Teilungsplans einen eigenen Staat Israel ausgerufen. Der UN-Plan beendete die koloniale Herrschaft der Briten und sprach Israelis und Arabern bestimmte Gebiete zu. Er wurde von Arabern, die in Palästina und Umgebung heimisch waren, nicht anerkannt. Bis heute betrauern arabische Palästinenser die Vertreibung aus ihrer Heimat.

Die eingewanderten Juden begannen, das Land aufzubauen. Hilda und ihre Freunde ließen sich auf einem Landgut in der Nähe von Tel Aviv nieder und wandelten es Schritt für Schritt in eine Kibbuz-Siedlung um, die sie zunächst „Kibbuz Buchenwald“ nannten und 1949 umbenannten in „Netzer Sereni“.

Die Kibbuzidee war schon Anfang des 20. Jahrhunderts als Teil der zionistischen Bewegung in Russland entstanden. 1910 gründeten russische Zionisten, die sich im Norden Palästinas niedergelassen hatten, den ersten Kibbuz, Degania. Die Idee war, genossenschaftliche Siedlungen gleichberechtigter Mitglieder zu schaffen, in denen es kein Privateigentum gab und das tägliche Leben kollektiv organisiert werden sollte.

Hilda und ihre Freunde teilten diese Vision und wollten sie nun, zumindest in ihrem eigenen Leben, in die Tat umsetzen. Sie sehnten sich nach einer Gemeinschaft, die auf Solidarität beruhte, mit geteiltem Eigentum und basisdemokratischen Entscheidungsprozessen.

So begannen sie, Landwirtschaft für den Eigenbedarf ihrer wachsenden Gemeinschaft zu betreiben, errichteten gemeinsam Häuser, später die gesamte Infrastruktur des Kibbuz mit Werkstätten, Schulen, Kinderhäusern und Gemeinschaftsräumen. Heute ist es eine Siedlung mit rund 600 Mitgliedern.

In Netzer Sereni ist das Gedenken an den Holocaust allgegenwärtig. Hier leben noch einige Menschen wie Hilda, die die Shoah überlebten, ihre Söhne und Töchter sowie die Enkelkinder. Viele bleiben im Kibbuz, das Gemeinschaftsgefühl ist stark ausgeprägt.

In der Mitte der Siedlung befindet sich das Denkmal Von der Shoah zur Wiedergeburt: aus der Asche der Konzentrationslager entsteht der Staat Israel – als Zeichen der Hoffnung und Sicherheit für Juden aus aller Welt.

Von der Welt allein gelassen

Nie wieder will man in die Lage kommen, von der Welt abhängig zu sein. Womit Hilda am meisten hadert: „Alle haben so getan, als hätten sie von der Judenverfolgung und den Konzentrationslagern nichts gewusst – nicht die Deutschen, nicht die Briten, nicht die Amerikaner. Wir waren von der Welt allein gelassen.“

Hilda und ihre Weggefährten sind nicht verbittert und nicht gebrochen, aber sie hatten den unbändigen Willen, sich eine neue Heimat aufzubauen und diese gegen alle Widerstände, die ein Leben in dieser Region mit sich bringt, durchzusetzen.

Über ihre Gefühle spricht sie kaum. Sogar, wenn es um ihre Zeit in Auschwitz geht, bleibt sie betont sachlich. Sie hat es Zeit ihres Lebens abgelehnt, als Zeitzeugin über den Holocaust zu sprechen. „Ich wollte mich nicht aufregen und die anderen nicht damit belasten,“ erklärt sie. Ganz anders als andere Zeitgenossen wie Esther Bejarano, die dafür brennt, alles Wissen an die heutige Generation weiterzugeben.

Erst in den letzten Jahren, da nur noch wenige Überlebende des Holocaust übrig sind, fühlt sie eine zunehmende Verantwortung, öffentlich Zeugnis abzulegen und die Erinnerung wach zu halten. „Ich habe ja kaum noch Konkurrenten, die etwas berichten können“, sagt sie mit ihrem trockenen Humor.

Vielleicht war dies für Hilda die beste Strategie, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und in Israel ein neues Leben zu beginnen, auch wenn ihre Erinnerungen noch unglaublich klar und präzise sind. Dieser Lebensmut macht die 96-Jährige aus und verleiht ihr eine innere Stärke und einen Lebensmut, für die man sie bewundern muss.

Ob sie glaube, dass sich eine Katastrophe wie der Holocaust wiederholen könne? „Nicht wenn die Menschen wachsam sind“, ist sie überzeugt. Wenn man aber wegschaut und sich taub stellt, könne jederzeit wieder rassistisch motivierte Grausamkeit großes Unheil anrichten.

Birgit Stratmann

Verse eines Dichters aus dem Hinterhof

Efraim Goldschmidt (1921-2018), ein Weggefährte von Hilda Simcha, mit dem sie zusammen den Kibbuz Netzer Sereni gründete, hat folgendes Gedicht verfasst:

 

 

Gestatten Efraim, Dichter.

Ein Hinterhof-Dichter mit Hinterhof-Hebräisch:

Die Syntax ist falsch.

Das Versmaß hinkt auf einem Bein.

Nichts reimt sich.

Die Wörter so falsch buchstabiert wie bei einem Erstklässler.

Von A bis Z ist meine Sprache dürftig.

Auf mein Gedächtnis ist kein Verlass.

Was hat er eigentlich gelernt, der Mann vom Hinterhof?

An welcher Universität hat er studiert?

Der Universität von Auschwitz. Leider.

Eine Universität der ewigen Schande.

Zuerst einen B.A. im Zementkommando.

Dann einen M.A. in der Wissenschaft des Überlebens.

Schließlich ein Doktortitel im Verhungern und in den Wissenschaften der Unterernährung,

erworben auf dem Todesmarsch.

Hebräisch aber hab ich kaum gelernt.

Mein Akzent ist ein Witz.

Aber ich habe Chuzpe.

Und so bin ich ein hebräischer Dichter.

Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Breit.

Lesen Sie auch den Artikel von Efraim Goldschmidt “Ganzheitlich denken”

 

 

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Eine ergreifende Geschichte – unpathetisch und dennoch sehr emotional.

[…] die die Scham, ein Mensch zu sein „Der Zusammenhalt hat uns gerettet“ Ganzheitlich […]

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