Online Magazin für Ethik und Achtsamkeit

“Mein Luxus ist, Zeit zu haben”

Foto: Christof Spitz
Foto: Christof Spitz

Portrait eines Lebenskünstlers

Der vierfache Familienvater Michael Feike führt ein unkonventionelles Leben in einem Dorf in Oberbayern. Er macht nur Gelegenheitsjobs, verbringt viel Zeit mit seinen Kindern und meditiert zwei Stunden täglich. Das macht er nicht, um sich zwei nette Stunden zu machen, sondern um für das Leben gerüstet zu sein.

Es duftet nach Gemüse und Kräutern. Die Küche von Michael Feike steht voll mit Gemüsekisten: frische Bioware vom Markt. Mittwochs ist Markttag und der Famlilienvater aus Finning in Oberbayern hilft beim Abbau eines Standes in einem nahe gelegenen Ort. Für seine Arbeit bekommt er eine Gemüseration, mit der die Familie eine Woche auskommt. Ein guter Deal, findet der 38-Jährige, der seit 20 Jahren ohne festen Job lebt.

Das war eine bewusste Entscheidung. Kurz vor dem Abitur schmiss er die Schule, weil er fand, dass ein geordnetes Leben mit Abitur, Ausbildung, Beruf nicht zu ihm passe. Er wollte frei sein – und darunter versteht er die Freiheit von gesellschaftlichen und beruflichen Zwängen. Über seine Zeit selbstbestimmt zu verfügen – dieser Wunsch hat ihn seitdem nie mehr verlassen.

So nimmt der vierfache Vater auch heute noch ausschließlich Gelegenheitsjobs an: Zurzeit arbeitet er jeden Monat einige Tage am Stück auf einer Baustelle als Verputzer, hilft auf einem nahe gelegenen Bauernhof beim Ausmisten des Stalls und hat eine Schwangerschaftsvertretung in einem Jugendtreff übernommen. Insgesamt arbeitet er nicht mehr als 20 Wochenstunden für Geld.

Zeit zu haben ist sein höchstes Gut: Er kümmert sich um seine vier Kinder im Alter von 1 bis 11 Jahren. Er werkelt in Haus und Garten, liest gern und meditiert täglich zwei Stunden. „So kommt keine Langeweile auf“, schmunzelt Feike, während der Hahn kräht, der in seinem verwilderten Garten umherstolziert.

Nehmen, was das Leben gibt

Ob er nie das Bedürfnis hat, sich über den Beruf einen Halt im Leben, eine Identität zu schaffen? „Ich versuche ja gerade, mich immer weniger mit äußeren Dingen und Rollen zu identifizieren“, kontert Feike. Und das gelinge am besten ohne festen Job.

Dies ist sogar für einen Familienvater möglich. Mit rund 2.000 Euro im Monat kommt die Familie auf dem Land aus, da ist sogar ein Jahresurlaub im umgebauten Van drin. „So zu leben ist für mich kein Verzicht“, bekundet Feike. „Wir haben alles, was wir zum Leben brauchen, ernähren uns überwiegend mit Biolebensmitteln und tragen Second Hand-Kleidung. Viel Zeit und Freiraum zu haben, ist mein Luxus.“ Feike und seine Frau tragen in gleichen Anteilen zum Einkommen bei.

Das Wichtigste sei das Vertrauen: „Ich lasse das Leben auf mich zukommen. Meistens werden mir Jobs angeboten. Und aus den Aktivitäten und Kontakten entstehen wieder neue Möglichkeiten. Es ist ein dynamisches Sein“, beschreibt der jugendlich wirkende Mann seine Art zu leben.

Sein Leben wirkt wie ein Gegenentwurf zur Konsumkultur, doch Feike hält nicht viel von solchen Kategorien. Vielmehr habe er seinen Lebensstil aus dem Elternhaus mitgebracht: Vater und Mutter waren beide kritisch, was den Konsum angeht. Es gab zu Hause kein Fernsehen, keine Berieselung mit Werbung und damals auch noch kein Internet.

„Eigentlich würde ich mein Leben gern noch weiter vereinfachen. Im Moment bewohnen wir ein Haus, und es ist immer viel zu tun. Ein einfaches Zimmer oder eine Jurte würden mir auch ausreichen, aber mit Familie braucht man einfach mehr Platz.“

Jeden Morgen zwei Stunden Meditation

Während ihm äußere Dinge wie Karriere, Reichtum, Konsum nichts bedeuten, interessiert sich Michael Feike für die innere Welt. Mit 12 Jahren begegnete er einem buddhistischen Mönch, mit 13 nannte er sich „Buddhist“. Die heitere, ruhige Ausstrahlung hat ihn beeindruckt. Und so begann er, sich der buddhistischen Philosophie und Meditation zuzuwenden. Besonders attraktiv fand er am Buddhismus, dass man aufgefordert sei, selbst zu denken und dass Techniken zur inneren Arbeit erklärt werden, die leicht anzuwenden seien.

Seit dem 16. Lebensjahr meditiert Feike regelmäßig, da ist er eisern: Jeden Morgen sitzt er zwei Stunden, komme, was da wolle. Muss er einmal früher aus dem Haus, steht er noch früher auf. Die Zeit auf dem Kissen ist ihm heilig. Hier übt er sich darin, wach zu sein, tief sitzende Gewohnheiten zu erforschen und aufzulösen. „Meditation ist eine Methode, die gut funktioniert. Sie bringt große Freude in mein Leben und lehrt mich, den Gegebenheiten auf immer feinere Art zu begegnen.“

Eine Flucht aus dem Alltag ist das für den vierfachen Familienvater nicht. „Ich übe 90 Prozent im Alltag. Die zwei Stunden auf dem Kissen helfen mir, mit dem täglichen Wirrwarr an Gedanken und Emotionen konstruktiv umzugehen“, schildert er seine Erfahrung. Denn dafür sei die Meditation ja gerade gedacht: nicht um sich zwei nette Stunden zu machen, sondern um für das Leben gerüstet zu sein.

Foto: Spitz

Das zeigt sich für ihn zum Beispiel darin, dass er „aus seinem inneren Film aussteigen kann“, wie Feike es nennt. „Wenn ich früher eifersüchtig war, habe ich das Gefühl durch Erinnerungen, Gedanken und Bilder weiter angeheizt. Seit ich meditiere, gelingt es mir immer häufiger zu sehen: Es ist mein eigener Film. Dann muss ich auch nicht agieren, sondern warte ab, bis sich Gedanken und Emotionen von allein wieder auflösen.“

Sein großer Eifer im Meditieren rührt sicher auch daher, dass Krankheit in seiner Ursprungsfamilie ein großes Thema war. Seine Geschwister haben eine lebensbedrohliche Erbkrankheit. So hat er sich früh mit dem Tod und der Endlichkeit des Lebens auseinandergesetzt.

Partnerschaft und Familie seien „das ideale Trainingsfeld“. Gerade in der Beziehung zu Partnerin und Kindern entstehen jeden Tag viele und starke Emotionen. Kinder sind gut darin, die Knöpfe zu drücken und Schwachpunkte zu erspüren. Doch Feike sieht die Gefühle als Teil seiner Lebendigkeit. Sie sind das Lernfeld, um mehr Bewusstheit zu entwickeln und tiefer zu verstehen.

Zwar sieht er ein wenig wie ein Asket aus mit seiner schlanken Gestalt und dem schmalen Gesicht. Aber Meditation als Rückzug aus der Welt – das wäre nichts für ihn. Von Askese hält er nicht viel, lieber feiert er Partys und genießt das Leben. Nach dem offenen Meditationsabend, den er in seinem Dorf jede Woche kostenlos anbietet und zu dem viele jüngere Menschen kommen, wird ausgiebig gefeiert.

Die bunte äußere Welt und die vielfältige innere Welt – das gehört für ihn zusammen: „Ein Alltag ohne formale Meditationspraxis bedeutet, dass man in seinen Gewohnheiten gefangen ist. Doch eine Meditationspraxis ohne Interaktion und den Spiegel im Außen kann sich nicht bewähren und weiterentwickeln.“

Birgit Stratmann

Mehr von Michael Feike:

Seine Artikelreihe “Live simply”

Besprechung seines Buches “We will die”

 

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