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Achtsamkeit – von MBSR bis Dalai Lama

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brize99/ shutterstock.com

Achtsamkeit liegt im Trend. Sogar Deutschlands berühmter Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx hat sich mit diesem Thema beschäftigt. Das Thema, so resümiert Horx, wird wissenschaftlich erforscht, von Medien dankbar aufgegriffen und ist in den Bereichen Lebenshilfe, Psychologie und Gesundheit ebenso ein Thema wie in Kunst und Literatur.

Für einen Trend Achtsamkeit spreche auch, dass es in die „Business-Kultur vordringt“ und Firmen ihren Mitarbeitern Achtsamkeit zur Stress-Prävention anbieten. Aus Sicht von Horx geht es nicht um Wellness, sondern um innere, reflexive Prozesse: „die Arbeit der mentalen Selbstveränderung.“ Daher bedeute Achtsamkeit auch eine neue Freiheit. Hier geht es zu dem Artikel von Horx.

Verbreitung im Westen durch Jon Kabat-Zinn

Es war der amerikanische Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn, der Achtsamkeit in der westlichen Welt verbreitete. Er begründete Ende der 70er Jahre das achtwöchige MBSR-Training (Mindfulness-Based Stress Reduction, im Deutschen: Stressbewältigung durch Achtsamkeit genannt).

Achtsamkeitstrainer Jon Kabat Zinn
Arbor-Verlag

Kabat-Zinn definiert Achtsamkeit in seinem Buch: “Gesund durch Meditation – Das große Buch der Selbstheilung mit MBSR” so: “die Bewusstheit, die sich durch gerichtete, nicht wertende Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Augenblick einstellt”. Danach geht es darum, mit dem, was ist, präsent zu sein. Zu beobachten, wie alles, was einem begegnet, entsteht, eine Weile andauert und wieder vergeht.

Ursprünglich hatte Kabat-Zinn das Programm für Menschen konzipiert, die unter Stress, ja sogar burn-out leiden. Der Arbeitsalltag ist heute für viele von Hektik und hohem Termin- und Leistungsdruck geprägt. Jeder fünfte Arbeitnehmer leidet unter gesundheitlichen Stressfolgen. Achtsamkeit kann heilen, so Kabat-Zinn, und zwar nicht nur das Individuum, sondern die Gesellschaft als Ganzes. In einem längeren Interview mit Ethik heute sprach er über seine Vision der Achtsamkeit. Einen zehnminütigen O-Ton von Kabat-Zinn hören Sie hier.

Dr. Martina Aßmann, Arbeitsmedizinerin, Therapeutin und MBSR-Lehrerin hält Achtsamkeit deshalb für so wertvoll, weil diese Praxis eine Lücke zwischen Erfahrung und gedanklicher Reaktion entstehen lässt. So eröffne sich ein Freiraum, in dem die Erkenntnis gedeiht, dass Gedanken nicht die Realität sind. Dies sei der entscheidende Schlüssel, Leiden zu verringern, so die Ärztin. Genau diese Erfahrung machte Michaela Doepke in einem Retreat mit Kabat-Zinn, von dem sie in einem Artikel berichtet. Das achtsame Wahrnehmen, die Pausen und Stillemomente in längeren Praxisphasen ermöglichten, lebendig zu sein. Der intensive Kontakt lässt Wertschätzung für Mensch und Natur entstehen. Zum Erfahrungsbericht von Doepke.

Wie der Dalai Lama es sieht

Ursprünglich kommt die Achtsamkeit aus dem Buddhismus, wie die Indologin Jowita Kramer in einem Vortrag an der Universität Hamburg darlegte. In den verschiedenen buddhistischen Traditionen hat sie weitere Bedeutungen, die über das bloße Beobachten und nicht-bewertende Gewahrsein hinausgehen. Das Besondere ist, dass sie hier nicht als alleinige Praxis geübt wird, sondern im Zusammenhang mit Ethik und Weisheit steht.

Foto: Jens Nagels
Foto: Jens Nagels

Entsprechend definiert der Dalai Lama in seinem Buch „Rückkehr zur Menschlichkeit“ Achtsamkeit so: „Achtsamkeit ist die Fähigkeit eines Menschen, sich geistig zu sammeln und sich auf diese Weise auf seine zentralen Werte und seine innere Motivation zurückzubesinnen“.

Damit verknüpft der Dalai Lama Achtsamkeit und Ethik. In einem kurzen Text erklärt der Friedensnobelpreisträger, was er unter Ethik versteht: “die anderen als Brüdern uns Schwestern zu sehen” und die Interessen anderer stärker zu berücksichtigen. Achtsamkeit wäre also, sich immer wieder an die ethischen Werte zu erinnern und entsprechend zu handeln.

Ein neuer wissenschaftlicher Forschungszweig beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von MBSR und Ethik. Sozialpsychologe Simon Schindler von der Universität Kassel untersucht den Zusammenhang von Achtsamkeit und ethischem Verhalten. In Studien wurden Menschen, die Fleisch essen, mit Tierleid konfrontiert. Die „Achtsamen“ zeigten weniger Gewissensbisse und waren weniger bereit ihr Verhalten zu ändern. Fazit von Schindler: “Achtsamkeit macht uns nicht zu besseren Menschen”. Dies ist allerdings keine Aussage gegen die Achtsamkeit, sondern für die Ethik.

 

Die fünf Achtsamkeits-Übungen von Thich Nhat Hanh

Wenn man an Achtsamkeit denkt, kommt man an dem vietnamesischen Meister Thich Nhat Hanh nicht vorbei, dessen Buch „Wunder der Achtsamkeit“ ein Klassiker und in viele Sprachen übersetzt ist.

Plum Village
Plum Village

Für Thich Nhat Hanh steht Achtsamkeit nicht allein. Das Verweilen im gegenwärtigen Moment bewirkt, dass im Geist des Menschen Ruhe und Frieden einkehren. Diese ermöglichen ein tieferes Verstehen der Wirklichkeit und so entsteht Weisheit. Das ist aus seiner Sicht das Wesentliche bei der Achtsamkeit.

Ausdruck dieser Weisheit im Sinne eines tieferen Verstehens sind die fünf Achtsamkeits-Übungen, die Thich Nhat Hanh entwickelt hat: Leben schützen, großzügig sein, der achtsame Umgang mit Sexualität, liebevolle Kommunikation und der achtsame Konsum.

Sie scheinen zunächst ethische Regeln zu sein, wie sie in allen Weltreligionen vorkommen, etwa nicht zu töten und Leben zu schützen. Doch bei Thich Nhat Hanh sind sie weiter gefasst und drücken damit ein tieferes Verstehen der Vernetztheit allen Lebens aus. Artikel über die fünf Achtsamkeits-Übungen

Pater Steindl-Rast unterscheidet in einem Beitrag die Achtsamkeit von der „Rechten Achtsamkeit“. Die Praxis dürfe nicht dazu führen, das Ego aufzublähen, sondern solle eine tiefere Selbsterkenntnis ermöglichen. Rechte Achtsamkeit müsse dem Leben insgesamt dienen und Mitgefühl mit anderen und Dankbarkeit einschließen. Ein Artikel mit Zitaten von Steindl-Rast

Auch die buddhistische Meditationslehrerin Sylvia Kolk stellt die Achtsamkeit in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang. Achtsamkeit stelle das innere Gleichgewicht her, doch wir sollten sie nicht nur für uns selbst, sondern für die Gesellschaft als Ganzes üben: “Wir müssen die Achtsamkeit nach außen bringen”, so ihre Kernaussage.

Weisheitstraining: von der Achtsamkeit zur Weisheit

Das Netzwerk Ethik heute bietet ein interdisziplinäres Weisheitstraining an, das Achtsamkeit – sowohl im Sinne von MBSR als auch weiter gefasst – integriert und die Brücke zur Weisheit schlägt.

logo_weisheitstraining_cmyk_kl_ohneDas Training gibt Impulse für inneres Wachstum und bietet den Raum, sich mit wichtigen Lebensfragen aus verschiedenen Perspektiven zu beschäftigten. Referenten sind Philosophen, Therapeuten und Meditationslehrer. Die Workshops bestehen aus Wissen, Dialog und Meditation.

 

Das Weisheitstraining besteht aus vier Modulen:

Achtsamkeit und Selbsterkenntnis

Die Arbeit mit Emotionen

Positive Kräfte stärken

Freiheit und Verbundenheit in vernetzter Welt

Die Module können einzeln belegt werden, Voraussetzung für den Einstieg in die Module 2 bis 4 sind Erfahrungen mit der Achtsamkeitspraxis. Die Module werden immer wieder angeboten.

Mehr Infos
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Ursula Baatz I Foto: Katrin Bruder
Ursula Baatz I Foto: Katrin Bruder

Dr. Ursula Baatz

Ursula Baatz ist Religionswissenschaftlerin und Philosophin, mit Lehraufträgen an verschiedenen österreichischen Universitäten. Sie arbeitete viele Jahre als Religions- und Wissenschaftsjournalistin bei Radio Ö1/ORF. Gelegentlich schreibt sie auch Bücher (z.B. Achtsamkeit – der Boom. Hintergründe, Methoden, Perspektiven V&R 2023).

Foto: privat
Foto: privat

Kirsten Baumbusch

Kirsten Baumbusch ist Journalistin und arbeitet in der Kommunikation einer großen Stiftung in Heidelberg. In ihren Ausbildungen zur Coach und Mediatorin hat sie erkannt, wie viel Freude es machen kann, Menschen bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu fördern. Sie ist stets auf der Suche nach Mutmachergeschichten. Mehr Infos

Jo Magrean
Jo Magrean

Dr. Heidi Bennent-Vahle

Dr. Heidemarie Bennent-Vahle ist Philosophin und Logotherapeutin, sie betreibt eine Philosophische Praxis in Henri-Chapelle/Belgien. Sie ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der IGPP (Internationale Gesellschaft für Philosophische Praxis), Mitherausgeberin des Jahrbuchs und Mitglied des BVPP (Berufsverband Philosophische Praxis). Autorin mehrerer Bücher, u.a. “Besonnenheit – eine politische Tugend” 2020 und “Weltverflochtenheit, Verletzlichkeit und Humor” 2022.

Foto: privat
Foto: privat

Sabine Breit

Sabine Breit ist Unternehmerin, Beraterin, Autorin und Konferenzdolmetscherin. Die studierte Sprachwissenschaftlerin beobachtet und analysiert mit Leidenschaft, wie die Dinge funktionieren und wie es besser gehen könnte – in der Arbeitswelt und darüber hinaus. www.logoslogos.de

Foto: Markus Brügge
Foto: Markus Brügge

Dr. Nicolas Dierks

Dr. Nicolas Dierks ist Philosoph und Autor bei Rowohlt, u.a des SPIEGEL-Bestsellers „Was tue ich hier eigentlich?“ (2014) und „Luft nach oben“ (2017). An der Leuphana Universität Lüneburg leitet er das Zertifikats-Studium „Digitale Ethik“. Er erforscht die Frage, wie wir unsere digitale Zukunft verantwortlich gestalten können.

Foto: privat
Foto: privat

Dr. Ines Eckermann

Dr. Ines Eckermann schreibt Essays für Ethik heute. Sie ist fest in die Redaktionsarbeit eingebunden. Zudem arbeitet sie als Journalistin, Illustratorin und Buchautorin. Als ausgebildete Yogalehrerin und Seelsorgerin gibt sie Entspannungs- und Yogakurse. www. satzzeichnerin.de

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