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Dauerbrenner: Fleisch essen – ja oder nein?

Greenpeace Philip Reynaers

Ein Blick auf die Fakten

Viele Verbraucher befinden sich beim Thema Fleischkonsum im Dauerkonflikt. Die Autorin untersucht die Auswirkungen des Fleischkonsums, insbesondere der Massentierhaltung. Fakt ist: Ernährung ist nicht nur Privatsache, sondern hat mehr Auswirkungen, als man denkt.

Fleisch essen oder nicht? Ein Thema, das Menschen in Wallung bringt. Die einen pochen auf ihre Freiheit. Sie wollen sich durch moralische Bedenken den Fleischkonsum nicht verbieten lassen. Nach dem Motto des Philosophen Adorno: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Als Menschen können wir kein ideales Leben führen – ob wir nun Fleisch essen oder nicht.

Die anderen sind entschiedene Gegner des Fleischkonsums, oftmals nicht nur für sich selbst. Als selbsternannte moralische Instanz würden sie am liebsten alle Menschen auf den Pfad der Tugend bringen. Sie verweisen auf die furchtbaren Zustände in der Massentierhaltung, das Leiden der Tiere und was es sonst noch an schädlichen Wirkungen des Fleischkonsums gibt.

Wie wäre es einmal mit einer an den Fakten orientierten Betrachtung des Fleischkonsums in unserer Gesellschaft? Dazu in diesem Artikel ein paar Fakten und Argumente:

Der Appetit auf Fleisch wächst: Von 1980 bis 2008 erhöhte sich der Fleischverzehr pro Kopf weltweit um 40 Prozent. Der Konsum ist allerdings ungleich verteilt: Während ein Inder durchschnittlich unter zehn Kilogramm Fleisch pro Jahr zu sich nimmt, sind es bei einem Amerikaner über 120 Kilogramm. Bei den Deutschen stagniert der Konsum auf hohem Niveau, vor allem die Mittelschichten Chinas und Indiens holen auf. Laut Prognosen soll sich die Fleischproduktion bis 2050 weltweit nochmals verdoppeln, gemessen am Wert von 2006. Was bewirkt der massive Fleischkonsum einiger Teile der Weltbevölkerung?

Mensch und Tier konkurrieren um Getreide

Laut Welternährungsorganisation (WHO) landet ein Drittel der Weltgetreideproduktion nicht auf den Tellern, sondern als Viehfutter im Stall. Die Bilanz des Fleischverzehrs ist ungünstig: Für die Herstellung von einem Kilogramm Rindfleisch müssen sieben bis zehn Kilogramm Getreide verfüttert werden.

Für die intensive Tierhaltung werden enorm viele Flächen benötigt. Laut Weltgesundheitsorganisation (FAO) beansprucht die Haltung der Tiere und der Anbau von Futtermitteln über zwei Drittel aller Weide- und Ackerflächen der Welt.

In Deutschland belegen die Futtermittel 60 Prozent der Ackerflächen. Doch das reicht nicht aus, um den Bedarf zu decken. Es werden Futtermittel importiert. Die weltweite Soja-Ernte beispielsweise wandert zu rund 80 Prozent in den Trog, nur 19 Prozent wird für menschliche Nahrung aufgewendet.

Damit reiche Länder Futter importieren können, werden wertvolle Lebensräume wie Regenwälder kahlgeschlagen und in Ackerland für den Sojaanbau umgewandelt, etwa im Amazonas.

Nutztierhaltung heizt das Klima auf

Die Nutztierhaltung ist für 18 Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich. Sie gehört damit – neben dem Energiesektor und dem Verkehr – zu den Hauptverursachern der Erderwärmung. Kohlenstoff-Emissionen werden frei, wenn zum Zwecke der Viehhaltung Wälder abgeholzt und Landflächen umgewandelt werden.

Darüber hinaus emittieren die Tiere Methan, das wirksamste Treibhausgas überhaupt. Rund ein Drittel aller Methan-Emissionen werden von Wiederkäuern bei der Verdauung erzeugt. Der Löwenanteil aller von der Viehhaltung ausgestoßenen Emissionen geht auf das Konto der industriellen Massentierhaltung. Die Klimabilanz von Ökobetrieben ist besser.

Die Probleme der Massentierhaltung

Die industrielle Tierhaltung, auch Massentierhaltung genannt, ist unethisch. Das Leiden der Tiere ist grenzenlos. Das leuchtet jedem ein, der sich über die Zustände informiert und Bilder gesehen hat. Hier denkt niemand an die Tiere als lebende Wesen, die Schmerz und Leid empfinden, sondern nur an die ökonomische Verwertung.

Doch das ist noch nicht alles, die Massentierhaltung ist mitverantwortlich für große Umweltprobleme: Dazu gehören nicht nur der Klimawandel und der Verlust von Wäldern, sondern auch der Schwund der Arten und die Verschmutzung von Luft, Böden und Gewässern.

In der Massentierhaltung kommen nur wenige Zuchtrassen zum Einsatz. Viele regionale Rassen sind inzwischen ausgestorben oder extrem gefährdet, weil nur noch produktive Hybridrassen gehalten werden. Etwas besser sieht es in der ökologischen Landwirtschaft aus, die das Ziel verfolgt, die Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten zu erhalten. Ökobauern haben oft bedrohte Nutztierrassen im Stall.

Die Intensivhaltung produziert darüber hinaus große Mengen Mist und Gülle, die aufgrund der schieren Masse von Böden und Pflanzen nicht aufgenommen werden können. Durch Regen und Auswaschung gelangt der Überschuss ins Grundwasser und in Oberflächengewässer. Die Grenzwerte für Nitrat, Ammoniak und Methan werden in Gebieten von Massentierhaltung regelmäßig überschritten. Auch hier ist die Bilanz der Ökobetriebe besser.

Fleisch – ein Stück Lebenskraft?

Übermäßiger Fleischkonsum ist nicht zu empfehlen, schon wer nur an die Gesundheit denkt, sollte ein Großteil seiner Nahrung aus pflanzlichen Quellen beziehen. Wer Fleisch aus der Massentierhaltung zu sich nimmt, könnte auch Spuren von Psychopharmaka, Antibiotika und anderen Medikamenten aufnehmen, die gegen Krankheiten und Stress im Stall den Tieren verabreicht werden.

Die dargelegten Argumente sprechen zumindest für eines: Kein Fleisch aus der Massentierhaltung zu verzehren – und das obliegt jedem Einzelnen. Nur wenn die Verbraucher entscheiden, dass sie diese Form der Massenproduktion ablehnen und nicht durch ihren Kauf unterstützen, kann sich etwas ändern.

Fleisch aus ökologischer Landwirtschaft ist erheblich teurer. Artgerechte Tierhaltung, der Verzicht auf schädliche Chemikalien, auf Gentechnik und die prophylaktische Gabe von Antibiotika und anderen Medikamenten haben ihren Preis. Das wirft eine weitere Frage auf: Wie viel Fleisch brauchen wir?

Fleisch aus der Massentierhaltung ist billig. Daher wird heute in Deutschland gedankenlos täglich Fleisch gegessen. In den 1960er und 1970er Jahren gönnten sich die Familien den Sonntagsbraten, unter der Woche kamen sie mit wenig Fleisch aus. Wäre es eine Option, den Fleischkonsums zu reduzieren und dafür Öko-Ware zu beziehen?

Wichtig ist: Bei der Diskussion um Fleischkonsum geht es nicht um moralische Bevormundung, sondern darum, seine Entscheidung auf der Basis einer eingehenden Prüfung bewusst zu treffend: der Prüfung der eigenen Bedürfnisse und der Wirkungen des eigenen Handelns auf andere.

Auch geht es darum zu erkennen, dass in einer globalisierten Gesellschaft das eigene Verhalten globale Auswirkungen hat – und zwar auf Mensch und Umwelt, sogar auf andere Kontinente. Gerade der Konsum ist keine reine Privatsache. Daher sollten wir ihn in einen größeren Zusammenhang setzen und immer wieder neu entscheiden, wie wir leben wollen.

Birgit Stratmann

 

Mit Referenten aus verschiedenen Disziplinen.

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Muss man tatsächlich immer wieder neu entscheiden, wie man leben will? Ich denke nicht. Die Auswahl der Lebensmittel, mit welchen man sich und seine Kinder ernährt, kann man durchaus ein für alle mal bewusst vornehmen und die landwirtschaftlichen Strukturen fördern, welche man für förderwert hält. Doch gilt dies nicht für alle Bereiche unseres Lebens?
Sie schreiben, dass ein Inder durchschnittlich 10 kg Fleisch zu sich nimmt. Nach meiner Meinung kann man diesen Statistiken nicht trauen, weil die meisten indischen Familien immer noch auf dem Land leben und zum großen Teil Selbstversorger sind, gerade Kleinvieh selbst aufziehen und schlachten. Als ich das erste Mal nach Südindien kam, war ich überrascht darüber, dass in den indischen Familien in meinem Umfeld in den Speisen regelmäßig Fleisch enthalten war.

Wer ist im Abschnitt “Mensch und Tier konkurrieren um Getreide” gemeint? WHO oder FAO?
WHO = World Health Oranization = Weltgesundheitsorganisation
FAO = Food and Agriculture Organization of the United Nations = Welternährungsorganisation

Schade, außer deskriptiven Aussagen nichts gewesen. Stattdessen werden die eigentlichen Opfer zu Opfern zweiter Klasse degradiert, denn es ist „ziemlich ungesund zu viele Tiere zu töten“. Im Humankontext wie etwa von Vergewaltigung abzuraten, weil man sich Krankheiten einfangen könnte.